Micachu & The ShapesNever
Ist das zweite Album wie das erste, lässt sich Letzteres wohl schwerlich unter den Teppich kehren. „Jewellery“ kam 2009 heraus, erwarb sich mehr Ver- als Bewunderung, aber von beiden genug, um Mica Levi und ihre Band da weitermachen zu lassen, wo sie aufhörten. Soll heißen: Sie hörten nicht auf, sondern nahmen mit „Never“ ihr selbstproduziertes zweites Album auf.
Und warum auch nicht? „Jewellery“ verpuffte genüsslich und schrottig in den verweisfreien Himmel, mit ein paar knackigen Pophymnen, die auf den Punkt kamen und tausenderlei Holter wie Dipolter, auf Haushaltsgeräten gespielt, unruhig rumpelnd und rastlos ratternd. Homemade-Punk. ADHS-Skiffle. Hausarbeits-Industrial. So in etwa. Wissen wir Dinge nicht zu benennen, so kann von mangelndem Vertrauen im Umgang, vulgo: Neuigkeit, ausgegangen werden. Und Neues verknüpft ja auch nur Bekanntes, je abseitiger, desto neuer.
Aber Kontinuitäten und Brüche, sie sind so zweischneidig wie unabdingbar. 14 Songs, die sich auf 35 Minuten abspielen, sprechen eine deutliche Sprache. In dieser Kürze verdichtet sich ihre Struktur aufs Essenzielle, bis alles abgeschält ist und jeglicher Anspruch an ein Songgerüst dahinschmilzt. Post as fuck. Levi schnoddert ihre dunkle Stimme durch das Gewirr an Geräuschen, durch überreiche Perkussionsvielfalt und durch gern eingesetzte Störgeräusche, mehr oder weniger von ihrer perkussiv verzerrten Gitarre erzeugt. „Easy“ und „Waste“ z.B. beinhalten solche Störwellen. Seltsamkeiten erleichtern den Weg ins Gedächtnis und machen sie sich erst mal im emotionalen Zentrum breit, so tätowieren sie sich in Herzen ein. Also immer her damit: Mit dem Kirmesklang im lang gezogenen „Holiday“, mit dem Keuchsample im hastigen „Nowhere“, mit Gesprächsfetzen in „Glamour“. Na ja, sinister und leger mag es auch mal zugehen („Slick“), am einprägsamsten aber sind dann doch ihre forsch vorgetragenen Riffs: „Heaven“, das pointierte „You Know“ und das bereits erwähnte abschließende Keuchen in „Nowhere“.
Könnte es sich bei Micachu & The Shapes gar um dreckige, bona fide Rockmusik handeln? Als Ausdruck jugendlicher Revolte um Selbstbestimmung und zur Sprengung stilistischer Ketten? Eine wagemutige These, die Neuigkeit zugestehen, sie aber historisch relativieren würde. Aber wer will schon historisch relativiert werden? Micachu & The Shapes sicherlich am wenigsten. Wie einprägsam das ist, d.h. in welche Geschichtsbücher es eingetragen wird, wir wissen es nicht genau. Nein, nicht wir. Mindestens ich. Ich vermute nur, dass es „Never“ da ähnlich geht wie „Jewellery“, nämlich dass es als Album recht schnell aus meiner Aufmerksamkeitsspanne verschwindet, aber sich in ein, zwei Songs, Hooklines, Riffs, Geräuschen dann doch erstaunlich festsetzt. Im inneren emotionalen Geschichtsbuch.
Label: Rough Trade
Referenzen: The Sonics, Metronomy, Le Tigre, Sonic Youth, Xiu Xiu
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VÖ: 20.07.2012
Immer schwer, Alben zu beurteilen, die bei jedem Anhören besser sind als man’s in Erinnerung hatte. Aber mir erscheint’s bislang deutlich stärker und vor allem langlebiger als der Vorgänger, hab nicht wie bei „Jewellery“ zwei, drei stetige Favoriten die herausstehen, sondern bei jedem Durchgang einen anderen.