Passion PitGossamer

Der Satz, dass „XY in einer gerechten Welt doch längst schon Superstars sein“ müssten, gehört sicherlich zu den Phrasen, die man viel zu häufig in Texten über Popmusik liest. Im Falle von Passion Pit scheint diese Frage allerdings durchaus berechtigt. Ihr Debütalbum „Manners“ war die richtige Platte zur richtigen Zeit und traf eigentlich genau den Nerv, den unter anderem MGMT mit ihrer schamlosen Version von knallbunt überladenem Glampop zuvor offengelegt hatten.

Warum anstelle der Jungs um Michael Angelakos trotzdem lediglich MGMTs immer einfältiger werdende Epigonen den ganz großen Erfolg ernteten, wird wohl auf ewig ein Rätsel bleiben. Vielleicht waren Passion Pit einfach zu gut, denn ihr Erfolgsrezept erschöpfte sich nicht in einzelnen Hitsingles, sondern versteckte elegantes Popkönnertum unter einem als Naivität getarnten Zuviel aus Filtern und hochgepitchten Chören.

Wie dem auch sei, Passion Pit ließen sich nicht ins Bockshorn jagen und das nun folgende „Gossamer“ hat das Zeug dazu, auch ihr großer Durchbruch jenseits der Indiegemeinde zu sein. Ein gutes, erstes Anzeichen ist die auf dem Album als Eröffnung fungierende Single „Take A Walk“, die vorab schon jede Menge Facebook-Shares und Likes auf sich vereinen konnte. Viel cleverer kann man so einen Sommerhit eigentlich nicht zusammenschustern: Ein stampfender Marschbeat, der bestimmt auch noch jenseits aller Promillegrenzen in der Indiedisco funktioniert, eine quietschende, verdammt eingängige Keyboardmelodie und ein rührender Michael Angelakos, der hier ein bisschen klingt wie der junge Ben Gibbard.

Dieser insgsamt doch recht unambitionierte Auftakt ist aber bei weitem nicht der beste Song auf „Gossamer“. Schon Nummer 2 schichtet derart viele Synthiefanfaren, Filter und hochgepitschte Stimmen übereinander, dass einen nur die euphorisch tragende Hookline vor dem sicheren Schwindelanfall bewahrt: „…I’ll be alri-iiight!“. „Carried Away“ hingegen freut sich anscheinend so sehr über die von ABBA geklaute Keyboardline, dass es später eine ganze Busladung singender Schulkinder über den Tanzflur toben lässt. Eine kurze Verschnaufpause bietet „Constant Conversations“, natürlich nicht ohne ausführlich von seinen kürzlich bei den Dirty Projectors entliehenen Chören Gebrauch zu machen.

Passion Pit stehen stellvertretend für eine Generation von Pop-Acts, die Vorsilben wie „Electro-“ oder „Dance“ längst in der Mottenkiste entsorgt haben. Ihr Alleinstellungsmerkmal ist allerdings, dass sie in diesem offenbar wahllosen Zusammenklauben von bunt glitzernden Popresten immer zu wissen scheinen, was sie tun. Das hier ist kein mit schludrigem Genie angehäuftes Potpourri aus Allem und Nichts. Das hier ist auch weniger die Selbsthilfegruppe ADHS-gestörter Pop-Romantiker, die in den Texten immer wieder mal durchschimmert. Nein, „Gossamer“ ist vielmehr das mit reichlich Zuckerguss überzogene Ergebnis detailverliebten Pop-Handwerks. Hier sitzt jede übersteuerte Melodie, jeder hyperaktive Chor, jedes explodierende Effektgewitter. Dieses wohlkalkulierte Zuviel mag zwar auf dem falschen Fuß erwischt ein wenig Bauchschmerz verursachen, versprüht aber in den richtigen Momenten immer wieder eine tolldreiste Euphorie, der man sich nur schwer entziehen kann. „Don’t call me crazy, I’m happy.“ Widerstand zwecklos.

74

Label: Columbia

Referenzen: MGMT, The Naked And Famous, Empire Of The Sun, Miike Snow, Hot Chip, Cut Copy, Yeasayer, M83

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VÖ: 20.07.2012

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