Aesop RockSkelethon
Auf seinem sechsten Studioalbum outet sich Ian Bavitz als Misanthrop. Allen Zorn, der sich auf seinen Vorgängerwerken noch gegen die Welt richtete, kanalisiert er wirksam gegen sich selbst: Existenzieller Selbstzweifel, Suizidgedanken und persönliche Apokalypse. Was anderswo Apathie verursacht, entfacht bei Aesop Rock ein Wutfeuer in beängstigender Größe.
„Leisureforce“ katapultiert mitten in die omnipräsente Szenerie des Albums, in das rücksichtslose Selbstbespiegelungskabinett, das sich „Skelethon“ nennt. Eine Reise, die von der malerischen Selbstmordfantasie („Postcards from the pink bath paint leisure“) bis zur unerträglichen, schicksalhaften Depression führt. Es geht Schlag auf Schlag in Aesops Songs, die bedrohlich Experimentalsounds und schwarze Worte verquicken und gemeinsam in den Abgrund stürzen. Silbe für Silbe mündet das unabwendbare Scheitern am Alltag („Blue in the menacing grip of a day for which you’re manifestly unfit“) in einer endgültigen Antwort, die bei ihm oftmals nah am Suizid liegt („„not to be“ is right“). Nur das Ungewiss über ein fehlendes Jenseits („to build winged shoes or autophagy“) schürt Ängste, die größer erscheinen als der aktuelle Schmerz. Besser also weiterhin die Körperzellen ihre eigenen Organellen verdauen lassen? Verstörend gut zeichnet Aesop Rock im Albumopener ein komplexes und zutiefst zerrissenes Bild düsterer Verzweiflung, das sich entlang des schwarzen Regenbogens auch durch die weiteren vierzehn Songs zieht.
Seit „None Shall Pass“ (2007) musste sich Ian Bavitz kontinuierlich mit Verlust auseinandersetzen. Seine Ehe scheiterte, er verlor seinen besten Freund. Nicht selten sind es diese nahestehenden Menschen, die Aesop Rocks Texte motivieren. In „Leisureforce“ und „Gopher Guts“ diskutiert er die Rolle seiner Mutter; in „Cycles To Gehenna“ beschreibt er den Versuch, die Trauer über den Tod seines Freundes mit lebensgefährlichen Motorradstunts zu betäuben. Immer wieder enden seine Geschichten an Punkten von Ernüchterung oder Verzweiflung: „Here is how a great escape goes when you can’t take your dead friends names out your phone“, heißt es in „Gehenna“, „PS – I wrote this on a self-destructing memo…“. Seine Songs geraten so in höchstem Maße grüblerisch, verkopft und sind nie vollständig zu durchschauen.
Das begründet sich zum Teil auch darin, dass Aesop Rock Bedeutung und Phonologie in seiner Wortwahl als nahezu identisch wichtige Kriterien zu bemühen scheint. In einem wohlüberlegten Gedankenstrom verwebt er seine Reime zu undurchlässigen Mustern, präzise positionierte und artikulierte Buchstaben kreieren seinen so unverkennbaren Flow. „I have been a hypocrite in sermonizing tolerance while skimming for a ministry to pretzel“ („Gopher Guts“), das „pr“ von „pretzel“ mit perfekt trainierten Gesichtsmuskeln Raum schaffend für dessen volle Entfaltung. Zeitgeist-Poesie mit Sprachkunst auf höchstem Niveau, die sich selbst mit einem Allen Ginsberg in einen Topf werfen lassen darf.
Ihren expliziten Höhepunkt findet Aesop Rocks Selbstgeißelung in der schonungslosen Ehrlichkeit des Abschlusstracks, der nicht an biblischer Symbolik spart. Arabische Vocalsample-Melodien begleiten Aesop Rock auf dem Weg zum unumgänglichen Geständnis. Schwer ist die Last, die er trägt, resigniert klingen die Zeilen, die ihn von seiner selbstauferlegten Schuld erlösen sollen.
„I have been completely unable to maintain any semblance of relationship on any level
I have been a bastard to the people who have actively attempted to deliver me from peril
I have been acutely undeserving of the ear that listen up and lip that kissed me on the temple
I have been accustomed to a stubborn disposition that admits it wish it’s history disassembled
I have been a hypocrite in sermonizing tolerance while skimming for a ministry to pretzel
I have been unfairly resentful of those I wish that acted different when the bidding was essential
I have been a terrible communicator prone to isolation over sympathy for devils
I have been my own worse enemy since the very genesis of rebels“
„Skelethon“ ist ein Album, das sich niemals erschöpft, jedoch durch die emotionale Ernsthaftigkeit und private Perspektive durchaus anstrengt: Aus jeder Zeile erwachsen multidimensionale konzeptionelle Metaphern, deren Referenzspektren über griechische Mythologie und Literaturklassiker in die Gegenwart von Popkultur und moderner Kameratechnik reichen. Das Mash-Up der textlichen Bezüge passt zum eklektischen Stil der Beats und enervierenden Samples, die sich mit quietschendem Saxophon und bedrohlichen E-Gitarren fleißig an Jazz und Rock bedienen. Das ist gewiss nicht minder fordernd. „Skelethon“ saugt Energie im Turbomodus und ist oft nicht mal zur Hälfte vorangeschritten, wenn diese längst aufgebraucht ist.
Nach Bigg Jus und El-P ist Aesop Rock der Dritte, der sich nach langer Zeit aus dem Def-Jux-Untergrund zurückmeldet. Für ihn ist es das erste Album auf Rhymesayers Entertainment, das erste Album, das er vollständig selbst produziert hat. Auch wenn die Blockhead-Beats, die zum ersten Mal fehlen, seine Musik zuvor bereichert haben, kommt nie das Gefühl auf, dass Aesop Rock seinem künstlerischen Anspruch nicht gerecht werden könnte. Mit „Skelethon“ ist einmal mehr ein unverzichtbares Gegengewicht zur flachen Restwelt des Contemporary Hip Hop geschaffen – und damit eine Ode an den Rap. Shakes your brain, bitch!
Label: Rhymesayers
Referenzen: Sage Francis, El-P, Cage, Killer Mike, Saul Williams
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VÖ: 27.07.2012
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