Der Liedschatten (75): Standard Wandlung

Bee Gees: “Words”, April 1968

Worte, ach ja. Dass ein Tim Bendzko mitteilte, es wäre besser, „Wenn Worte meine Sprache wären“, hattet ihr gewiß verdrängt – und nein, das soll nun nicht angeprangert werden. Sehr viel Ruhm ließe sich mit der allzu naheliegenden Zerfledderung eines solchen Wirrsinns auch nicht einheimsen und außerdem ist dessen Dümmlichkeit nichts, was ihn gegenüber einem Schlager wie zum Beispiel „Kleine Annabell“ hervorhebt.

Vom Musikalischen abgesehen, das sich jedoch damals wie heute an den Vorlieben des größtmöglichen potentiellen Publikums orientiert, unterscheidet sich Tim Bendzko im Vergleich mit Schlagern aus den 1950ern und 1960ern nur hinsichtlich der Einheit von Texter, Komponist und Interpret. Er „macht alles selbst“ und wird deshalb, ganz unabhängig von der Schöpfungshöhe seiner Stücke, als Künstler angesehen. Während Freddy Quinn, Peter Alexander oder Roy Black ganz offenbar nicht mehr als Interpreten von Unterhaltungsmusik ohne jeglichen Anspruch außer einem handwerklichen waren, wird heute jeder, der Verständliches singt, zum Tiefsinner, solange nur Tempo und Klangfarbe passen. Und klar, es sollten Worte wie „fühlen“, „Weg“, „selbst“, „Ziel“, „ewig“, „Welt“, „retten“, „Glück“, „wagen“, „Wahrheit“, „Liebe“, Augen“, „vertrauen“ fallen. Ist das schlimm? Mitnichten, es ist schade und traurig, weil sich hier wieder einmal zeigt, dass Geschichte kein linearer Zeitablauf mit Tendenz nach oben ist.

Als nachdenklich erklärte junge Männer gab es seit jeher – siehe Dylan, der keiner sein wollte, oder auch Donovan, der sich darum zu bemühen schien, denn Marketing war schon immer Teil des Pop. Interpreten und Bands vergangener Jahrzehnte schrieben zwar oft die besseren Songs, sie waren aber nicht deshalb besser, weil sie eine bestimmte Art von Musik das erste Mal gespielt hätten (siehe Dylan und der amerikanische Folk, Donovan und Dylan) oder nicht „so kommerziell“ gewesen wären (wir reden ja von Popmusik), sie waren in ihrem Stil einfach unberechenbarer und brüchiger. Weniger technische Möglichkeiten als heute brachten eine in Relation größere Vielfalt hervor, die Variationen des Produktes „Popsong“ waren zahlreicher, die Abfolge von Veränderungen viel schneller.

Das beste Beispiel dafür sind mit Sicherheit die Beatles, doch auch andere – und wir sprechen hier die ganze Zeit von wirtschaftlich relevanten, keinen nischigen Bands – wandelten sich beinahe den Jahreszeiten entsprechend. Tim Bendzko zum Beispiel hingegen war von Anfang an „fertig“ und steht damit stellvertretend für eine reichlich fertige Musikindustrie.

Ein schönes, weil nicht sehr drastisches, geradezu durchschnittliches Beispiel für den allgemeinen Hang zur Weiterentwicklung in der zweiten Hälfte der 1960er sind die Bee Gees. Ihre Songs bis 1965, zu finden auf „Bee Gees Sing And Play 14 Barry Gibb Songs“, orientierten sich noch stark am Beat der frühen Beatles, gut zu hören im Song „Claustrophobia“.


It’s not about Gruppenkuscheln: Monogamie macht manchmal auch einsam.

Anfang 1966 wird der Beat grooviger, die Harmonien wabern fein psychedelisch und auch von den Mods scheinen die Brüder Gibb etwas mitbekommen zu haben.


Ausgehen! Er tut, was sie tut: blaues oder rotes Kleid? Und dann aber schnell heim!

Auf „Bee Gees‘ 1st“ vom Juli 1967 schließlich regiert der Zeitgeist uneingeschränkt. Dieses (ihr drittes) Album enthält veritablen Psychedelic Pop, in etwa über eine Zeitmaschine („Turn Of A Century“, Zitat: „There are a lot of things to do / on a bicycle built for two / at the turn of a century“). Möglicherweise wussten die Bee Gees mittlerweile ein gutes High zu schätzen. Wir hören nun „Red Chair Fade Away“ mit der hübschen Zeile „I can feel the speaking sky“.


Ob sie wohl ihre Arme nicht mehr spüren konnten?

Bereits Ende 1967 schienen die Farben jedoch wieder sortiert gewesen zu sein. „Massachusetts“ und „World“, ihre bis dahin größten Singleerfolge, klangen fokussierter, gleichzeitig aber auch ambitionierter und opulenter. Die Tendenz ging weg vom psychedelischen Trip, hin zum reifer wirkenden Song mit Tiefgang, ähnlich wie wiederum bei den Beatles, deren weißes Album ebenfalls 1968 erschien.

Die Bee Gees verfügten zwar über eine große Befähigung zum Songwriting und bemerkenswerte Stimmen, eine gewisse Ungelenkheit im Verfassen von Texten war ihnen aber stets zu eigen. Es scheint, als hätten sie die Plattitüden, nach denen ihre Musik teilweise verlangt, vermeiden wollen, ohne sich letztendlich von der großen Geste lösen zu können. Die dadurch vorkommenden Seltsamkeiten lassen die Worte falls notwendig, in etwa bei „World“, als nebensächlich erscheinen und lenken die Aufmerksamkeit auf das Musikalische, das zum Glück stets für vorhandene Mängel in die Bresche springen kann. Bei „Words“ aber wollen wir, allein schon wegen des Titels, zuhören.


Wenig seriös: versuchte Überredung zur Liebe.

„Words“ ist eine dem flehenden Text angemessen vorgetragene Ballade, die zwar reichlich instrumentiert ist, aber fast vollständig von Barry Gibbs Gesang lebt, dessen Vibrato je nach Belieben als eindringlich oder schmalzig bezeichnet werden könnte. Und wenn auch das „Myhy lohove“ bitte nie in gesprochener Form existieren möge: Hier, in einem Song, vermag es zu berühren. Vor allen Dingen, da „Words“ ein Liebeslied ist und Liebe gut und gerne etwas lächerlich sein kann – das lässt sich manchmal nicht vermeiden und schadet ihr nicht, zumindest dann, wenn die Offenbarung mit Wohlwollen aufgenommen, ja gar erwidert wird. Dann ist, was gerade noch lächerlich war, auf einmal lustig, da wird gekichert und gescherzt, Letzteres womöglich gar im biblischen Sinne.

Ob das nach dem Vortrag des obigen Stücks der Fall sein könnte, wird aus dem Text nicht ersichtlich, immerhin lauten die zentralen Zeilen „it’s only words / and words are all I have / to take your heart away“.

bee_wordsEs handelt sich hier also um eine Liebeserklärung mit verzweifeltem, flehendem Unterton, vor allen Dingen, da (wir gehen davon aus) sich das Lied an eine skeptische Person richtet. „You think that I don’t even mean / a single word I say“, klagt er an und vermag es doch nicht zu widerlegen. Interessant ist, dass ihre Verfassung keine Rolle spielt. Liebt sie ihn? Wir erfahren es nicht, wir wissen einzig, dass hier gebalzt wird, und zwar mit Worten, einem Verfahren, dem der Protagonist nicht recht glaubt, sich aber dennoch mächtig ins Zeug legt. „This world has lost its glory / let’s start a brand new story / now my love“, wie wunderbar übertrieben, beinahe verzweifelt ist die Geste! Da, die Welt, verworfen ist sie, aber Du und Ich, wie lassen sie neu erstehen, und zwar „right now / there’ll be no other time / and I can show you how / myhy lovhove“, er wird ihr schon zeigen, wie!

Doch ach, es sind ja nur Worte, mehr kann er nicht bieten. Oder könnte er doch? Vermutlich schon, nur gewährt sie ihm ja nichts und vielleicht bleibt er deshalb geschwätzig, aber untätig. Das ist immerhin besser als tätlich, macht aber die stereotype Rollenverteilung werbender Mann / passive Frau auch nicht wett.

Es mag sein, dass euch das Stück in der Coverversion von Boyzone aus dem 1996, die tatsächlich weitaus unappetitlicher als das Original ist und euch den Song in jedweder Form verleidet haben könnte, bekannt ist. Nichtsdestotrotz solltet ihr bei sich bietender Möglichkeit die Single der Bee Gees erwerben, die B-Seite enthält nämlich einen wunderhübsch-seltsamen Popsong namens „Sinking Ships“ mit Alliteration und der stets berechtigten Frage „Can I feel?“, vor allen Dingen wenn „only the eyes of the doomed / with a smile on their face“ zu sehen sind.


Großes Thema Mitte der 1960er: die Fragwürdigkeit, der, welcher eigentlich, Realität?

4 Kommentare zu “Der Liedschatten (75): Standard Wandlung”

  1. „Das ist immerhin besser als tätlich, macht aber die stereotype Rollenverteilung werbender Mann / passive Frau auch nicht wett.“ <- Woran machst du fest, dass die umworbene Frau passiv ist? Vielleicht ignoriert sie den Schwätzer nur und fühlt sich unheimlich selbstbestimmt.

    Gehöre zu denen, die weder das Original noch das Verbrechen von Boyzone mögen. Ich mag die späteren Bee Gees freilich schon, aber in Sechzigern sind sie vernachlässigbar. Das war nicht ihr Jahrzehnt, das war Mitläufertum.

  2. Klar, das ist nur eine Vermutung, da sie selbst nicht handelt, wobei „you think that…“ tatsächlich eine Handlung sein könnte. Der Song klingt, und da gehe ich vom Vorhandenen aus, für mich einfach nach stenzigem Balzen. Daraus folgere ich dann etwas, das nicht gesagt oder beschrieben wird. Unfehlbarkeitsansprüche spielen dabei keine Rolle, aber wenn ich etwas schreiben möchte, muss ich wohl etwas schreiben, und das fußt dann auf Vermutungen. Ist am Ende wohl so eine Art „freie Interpretation“, die ganze Chose hier.

  3. Ach nee, das war doch nicht böse gemeint. Vielmehr mit nem Augenzwinkern. Natürlich ist alles Interpretation und Ansichtssache. Fakt ist freilich, dass dies Lied nicht gerade zur Krone der musikalischen Schöpfung zählt. Was mich freilich fasziniert: Hätte man das zu dieser Zeit nur ansatzweise ahnen können, dass so ne Band wie die Bee Gees 10 Jahre später zu Disco-Kings werden. Moden und neue Genres machen Dinge möglich, die man nie auch nur erahnen kann.

  4. Nee, zur Krone zählt es nicht, tatsächlich aber hege ich, ähem, also, ein guter Freund von mir, dessen seiner Schwester Schwagers Opas Segellehrer, na, also, eine Schwäche für das Lied, da ich in jungen Jahren die Bee Gees sehr, sehr gerne und ausgiebig gehört habe. So ist das. Und das mit dem Discozeugs kam ja nicht ganz aus dem Nichts, das ging schon ab ca. 1974, wenn auch dezent, los. Seltsam ist es aber, und am allerseltsamsten sind die Pressfotos aus der Discophase.

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