No Surprises? Der große Radiohead-Coveralbum-Showdown

Der aktuellen Ausgabe des Musikexpress liegt – pünktlich zum 15-jährigen Jubiläum des Albums – die CD „A Tribute To OK Computer“ bei, auf der jeder Song von einer anderen Band oder Solokünstlerin gecovert wird.
Der Impetus ist klar: Radiohead, bedeutende Platte, Rock und Elektronik, Technologie, Paranoia, blablabla kennt man ja. Keine große Überraschung, dass das US-Musikblog Stereogum vor 5 Jahren auf die gleiche Idee kam und mit „OKX“ seine Auswahl zum Gratis-Download feilbot. Im Vergleich der beiden bietet sich die Gelegenheit zu einer tieferen Analyse, über unterschiedliche Herangehensweisen, Historiebewusstsein, verschiedene Stilausprägungen im Indie-Sektor, deren Änderungen im Wandel der Zeit … ach Quatsch, die einzig wichtige Frage ist natürlich: Welche von beiden ist besser?
Und wie sonst sollte so eine hoch subjektive, ästhetischen und stilistischen Vorzügen unterworfene Debatte geklärt werden als mit einem punktgewerteten Duell, Song für Song im Direktvergleich. In der blauen Ecke: „OKX“, der amtierende Champion mangels Konkurrenz. In der roten: Der deutsche Herausforderer. Die Gewinner jeder Runde sind farblich markiert, Ring frei!
Doveman (USA) vs Diagrams (ENG)
So ehrfurchtgebietend bestimmt, wie „OK Computer“ sich eröffnend aufbaut, beginnen seine Tribute ehrfürchtig. Arg respektvoll ziehen sich beide Stücke in atmosphärische Länge, allerdings fällt die bei Diagrams erheblich kürzer aus und überspannt die Nerven nicht wie Dovemans finales Rumgeklimper.
Slaraffenland (SWE) vs Austra (CAN)
Slaraffenland erinnern in rhythmischen Komplexitäten eher an spätere Radiohead, fügen aber vor allem mit Blechbläsern einen schönen Eigencharakter hinzu. Austra glänzen dort, wo Katie Stelmanis die volle Dramatik ihrer Stimme heraushängen lassen kann, fallen aber in den Zwischenspielen ihrer etwas plumpen Synth-und-Drum-Instrumentals ab. Knapper Sieg für die stimmigeren Schweden.
Mobius Band (USA) vs School Of Seven Bells (USA)
Interessanterweise spielen Mobius Band süß falsettierten, leicht krautigen Dronerock auf, wie man ihn auch von School Of Seven Bells erwarten könnte. Wo der aber vor allem im Refrain zu generisch ausfällt, entfalten SVIIB eine wahre Architektur aus delikat arrangierten Vocals, teils als texturierende Loopchöre, teils als Melodienmeer oder Leadvocals, die kunstvoll über multiple Einzelstimmen wandern.
Vampire Weekend (USA) vs Emika (ENG)
„A Tribute To: OK Computer“ ist klar die stärker elektronische der beiden Compilations, doch in der Regel kommt immer noch irgendwo eine Gitarre zum Einsatz. Nicht so bei Emikas angewobbelter 2-Stepperei, ohnehin so losgelöst von den Strukturen des Originals, dass sie mehr eigenständiges Werk denn bloßes Cover ist. Etwas schwer also zu vergleichen mit der Version von Vampire Weekend, deren Rhythmussektion sie schon fast mechanisch antreibt. Umso zarter wirkt daneben Ezra Koenigs Bubenstimme, doch der große Clou ist die kleine, stimmungsvolle Flötenmelodie, von der man nach genügend Hördurchläufen überzeugt ist, dass sie schon im Original existiert hat.
David Bazan’s Black Cloud (USA) vs Ada (GER)
Bazan liefert mit seiner klaren Aussprache den Beweis: „Let Down“s Text besteht nicht nur aus Vokalen! Bewegender ist aber Adas beatlos-pianobegleitete Interpretation, deren die leidend höchsten Töne aussparenden Vocoder-Vocals ein wenig an die Robostimmen im originalen „Paranoid Android“ oder „Fitter Happier“ erinnern, jedoch seelenvoll statt dystopisch wirken.
John Vanderslice (USA) vs Tu Fawning (USA)
Beide Parteien setzen auf ein ungewöhnliches Klangdesign: Vanderslice mit abgewürgten, komprimierten Drums und ungemütlich verzerrter Akustikgitarre, Tu Fawning mit post-tierkollektivem Unterwassersound, durchklackert von kleinen Perkussionselementen nebst dem leisesten Saitenspiel der Welt. Spätestens im zweistimmigen Refrain zeigt der Ansatz der Portlander doch deutlich mehr Variationsfähigkeit, wobei ihr „For a minute there, I lost myself“ so unbeeindruckt wirkt wie Vanderslices.
David Cross (USA) vs Anika With Obi Blanche (GER)
„Fitter Happier“ ist quasi der Skit des Albums, doch wirkt Cross‘ (identifiziert im MP3-Tag, ursprünglich trug er wohl das Pseudonym ‚Samson Dalonoga feat. The Found Sound Orchestra‘) affektiertes Gelispel wie ein schwacher Witz. Deutlich mehr Wiederabspielwert und Originalität hat Anikas Revision mit emotionskargem Spoken Word vor einer Klangkulisse und in verschrobenen Beats, deren Verstörungswirkung dem Textinhalt angemessen ist.
Cold War Kids (USA) vs Breton (ENG)
Ich hab keine Ahnung, wie Breton klingen, aber sie gewinnen automatisch weil sie nicht Cold War Kids sind.
The Twilight Sad (SCO) vs Hooray For Earth (USA)
Die meisten Mitwirkenden dieser Compilations scheinen tunlichst die Erinnerung zu vermeiden, dass dies (neben vielem anderem auch) ein Album voller kreischender Gitarren war. Ausgerechnet einem Stück, das zunächst eher durch räumlich diskret verfremdete, austarierte Einzelelemente ein Vorläufer so vieler kontemporärer Produktionsästhetiken ist, werden aber gleich zwei zeitlose Fieporkane gewidmet. Der hätte bei den Schotten deutlich als der Imposantere ausfallen können, wäre die Aufnahme mehr als knapp über Demoqualität. Einen klaren Vorteil hat hier niemand, Unentschieden!
Marissa Nadler Feat. Black Hole Infinity (USA) vs Locas In Love (GER)
Die Arschkarte unter allen Beteiligten haben Locas In Love und Nadler gezogen, mit diesem Song, der nur aus hellem Plinkern und Yorke zu bestehen scheint. Die Kölner gestalten ihre Interpretation indierockiger, doch nicht minder zart als das Original, wenn im Refrain ein falsettierter Minichor auftritt. Nadlers Akustikgitarren-Cover wirkt dagegen wenig einfallsreich, doch mit mehrmaligem Anhören haucht sich der Gesang nachhaltiger ins Ohr und trumpft letzten Endes in Unscheinbarkeit.
My Brightest Diamond (USA) vs Sizarr (GER)
Als man sie schon gar nicht mehr erwartet, tauchen kurz vor Schluss doch tatsächlich noch Frauen auf dem geschlechtlich arg einseitigen „OKX“ auf. Was kurios ist, verströmt gerade Yorkes Stimme mit den prekären Höhen ihres Tonregisters nicht gerade eine 08/15-Kerligkeit. Und siehe da, Shara Wordens mitreißender, faszinierend texturierter Beitrag ist ein klares Highlight, hat aber mit Sizarr einen ebenbürtigen Gegner in Sachen ungewöhnlichen Arrangements und Grandeurs. Letzteres transportieren die Deutschen inmitten von Beatgebreche und Polyrythgeklapper jedoch nicht ebenso sicher in den Hauptvocals, was ihr Stück in toto etwas zu fahrig macht.
Flash Hawk Parlor Ensemble (USA) vs Gravenhurst (EN)
Flash Hawk Parlor Ensemble haben irgendwo ein Banjo dabei. Banjo! Und es ist nicht fürchterlich! Sorry Herr Talbot, da müssen sie schon Ban – ich meine früher aufstehen.
Sie haben richtig mitgezählt, Rot führt mit 7 zu 6. Doch halt, es gibt ja noch die B-B-B-Bonusrunde.
- Titel: Hier kommen die Deutschen entweder zu großkotzig oder unbestimmt rüber. „A Tribute To OK Computer“ – kreativer ging’s nicht? Punkt für Blau.
- Bonus-Tracks: „OKX“ packt noch zwei Extrastücke drauf, Chris Wallas „Polyethylene (Parts 1 & 2)“ könnte es mit so einigen regulären Stücken aufnehmen. Punkt für Blau.
- Artwork: Klarer Vorteil für den Herausforderer, schon allein weil er nicht mit Kais Power Goo erstellt wurde:
Urgh. Punkt für Rot.
Kurz vor Schluss schwingt also die Führung nochmal herum, bis es in letzter Sekunde zum Ausgleich kommt. Die Punktrichter flüchten unter Buhrufen bereits aus der Arena, wir bedanken uns hingegen für ihr zahlreiches Erscheinen und hoffen, sie in fünf Jahren wieder hier zu sehen, wenn es heißt: „OK Computer With Drops – The EDM Tribute By Skrillex, Deadmau5 & Friends“.
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