Odd Future hin, Kendrick Lamar her, HipHop zeigte sich in den letzten Jahren in einem insgesamt bedauernswerten Zustand. Schuld an dieser Misere ist allerdings weniger das Fehlen von talentierten, jungen MCs und Produzenten, sondern vielmehr, dass kaum einer von diesen dazu dazu bereit oder in der Lage scheint, Reimskills, Beats und Inhalte zu relevanten Statements in Albumform aufs Vinyl zu pressen.

Während einige der jüngeren Hoffnungsträger den Ausweg schon in reinen Instrumentalalben suchen, machen sich nun ein paar alte Recken daran, die Lücke zu füllen und dem Genre auch jenseits des Chart-Mainstreams ein frisches und angriffsfreudiges Gesicht zu verleihen. Was Shabazz Palaces (aus der Asche der Digable Planets) zuletzt eindrucksvoll vormachten, scheint nun unter anderem auch die Ex-Mitglieder von Company Flow wieder auf den Plan zu rufen, denn sowohl Bigg Jus als auch El-P glänzen dieser Tage mit mehr als beachtlichen LPs. Überraschende Unterstützung bekommt dieser Rückschlag des Independent Rap nun allerdings von jemandem, mit dem in diesem Zusammenhang wohl nur die allerwenigsten gerechnet hätten. 

Killer Mike dürfte uns so nebenbei an HipHop interessierten Indietypen wohl hauptsächlich als Sidekick von Outkast ein Begriff sein. Und obwohl sich über seine Qualitäten als MC kaum streiten lässt, war er bisher eher weniger als großer Impuls- und Stichwortgeber der Genre-Avantgarde bekannt. Bis jetzt, denn in einer, um es vorsichtig auszudrücken, ziemlich unwahrscheinlichen Kollaboration mit El-P als alleinigem Produzenten gelingt es ausgerechnet Killer Mikes fünftem Album „R.A.P. Music“, dem schwächelnden Genre des rebellischen und latent agressiven Leftfield-HipHop zwar keine neuen Inhalte, aber zumindest wieder die musikalische Durchschlagskraft alter Tage zurückzuverleihen.

Bomb Squad, Boogie Down Productions und Ice Cube sind nur einige der Referenzen, an denen sich Killer Mike und El-P hier ganz unverhohlen messen lassen.  Ohne dabei gewollt retro zu klingen, erinnern sie mit diesem Album im besten Sinne an jene Tage, als Rapmusik dem konservativen, weißen Establishment noch als das Böse per se galt. Gleich der Opener stellt die Fronten klar. „Big Beast“ fegt ohne Warnung in einer donnernden Basslawine über den Hörer hinweg und setzt dabei vor dem inneren Auge sämtliche Mülltonnen Atlantas und ganz real den einen oder anderen Subwoofer in Brand. Die zunächst noch recht unspektakulären Gastbeiträge von Trouble, Bun B und T.I. scheinen sich dabei von Strophe zu Strophe auf endgültiges Kampfgewicht zu steigern. Am Ende steht fest: Das Alter Ego von „R.A.P. Music“ ist ziemlich angepisst und sein Rundumschlag hat gerade erst begonnen.

Im zweiten Stück „Untitled“, das auf einer fies groovenden Bassline und orientalisierten Klapperdrums klaustrophobische Stimmung verbreitet, stellt Mike klar, dass er weder Gott und Kirche, noch Republikanern oder Demokraten vertraut. Mit diesem Album positioniert er sich ganz am Rand und zu keinerlei Kompromissen bereit. Leider etwas verschwörungstheoretisch wird dieser Ansatz dann in „Reagan“, wo Killer Mike seine anprangernden Fäden um Öl, Macht und den „War On Drugs“ von den 80ern bis zur Obama-Administration spinnt. Nicht die originellsten und auch nicht immer die klügsten Gedanken zur Lage der Nation, aber für politisch durchaus bedenklichen  Zündstoff waren schließlich auch die nachträglich heilig gesprochenen Public Enemy immer mal wieder zu haben. Apokalyptischer und musikalisch beeindruckender als hier hat man derartig ungefilterte Hasstiraden jedenfalls schon lange nicht mehr serviert bekommen.

Eine andere Seite Killer Mikes zeigen dann Stücke wie „Southern Fried“, die als beinahe typischer Southern pimp flavor mit Themen irgendwo zwischen Familienidyll und Stripclub daherkommen. Hier enthüllt sich letztendlich auch, wie sensibel und durchdacht der notorische El-P „R.A.P. Music“ produziert hat. Indem er seinen bekannten Industrial-, Elektro- und Subbass-Wahnsinn mit maschinengewehrartig ratternden MPCs an den Südstaatenstyle seines MCs anpasst, katapultiert er streng genommen  nicht nur den klassischen Rap der Boom-Bap-Era in die Zukunft, sondern versöhnt diesen auch noch mit scheinbar unvereinbar hedonistischem Party-Crunk aus der Gegenwart. Ähnlich variabel zeigt sich Mike selbst, der wie kaum ein zweiter Rapper zwischen bollernden Doubletime-Anheizern und teilweise anrührenden, persönlichen Tracks hin- und herspringt. Die eigensinnige „Fuck The Police“-Variante „Don’t Die“ und vor allem „Anywhere But Here“  gehören zu letzteren und sind auch inhaltlich besonders gelungen, da sie die diffuse Wut auf institutionelle Verhältnisse, die alltägliche Mischung aus Korruption und Rassismus, auf eine klarer nachvollziehbare, lokale Ebene herunterbrechen. Ob nun auf den Straßen New Yorks oder dem vermeintlichen „a black man’s heaven“ Atlanta, „Black Blood still gets spilled.“

Die drei Großbuchstaben im Albumtitel stehen für Rebellious African People, eine Tradition, die sich, wie im abschließenden Titeltrack erläutert, von Robert Johnson über u.a. Miles Davis, Nina Simone und George Clinton bis hin zu Outkast erstreckt. Und dafür, dass diese Linie hoffentlich niemals auslaufen wird, ist „R.A.P. Music“ zumindest mal ein deftiger Arschtritt in die richtige Richtung.

85

Label: Williams Street

Referenzen: Public Enemy, Company Flow, Ice Cube, Boogie Down Productions, El-P, N.W.A., Shabazz Palaces

Links: Twitter | Williams Street Soundcloud

VÖ: 15.05.2012

5 Kommentare zu “Killer Mike – R.A.P. Music”

  1. Pascal Weiß sagt:

    Prima, Basti. Bin komplett bei Dir.

    2012 ist für den HipHop sicherlich (jetzt schon) das beste Jahr seit ganz, ganz langer Zeit. Und diese Platte ist unter zahlreichen sehr guten (Quakers, Action Bronson, El-P etc.) vermutlich sogar noch die beste.

  2. […] auch wenn zur Frühlingszeit mit den Japandroids, Killer Mike, Actress oder Zammuto schon einige prächtige Werke erschienen sind, der ganz große Wurf war 2012 […]

  3. […] Bigg Jus und El-P ist Aesop Rock der Dritte, der sich nach langer Zeit aus dem Def-Jux-Untergrund zurückmeldet. Für […]

  4. […] Beim Opener „Love And Respect“ gesellt sich das in der Tat Respekt einflößende Organ von Killer Mike zu Nikolaj Manuel Vonsilds Falsettgesang. Auch sonst wagen When Saints Go Machine auf „Infinity […]

  5. […] nächster Schritt, kann aber in der Umsetzung (zumindest dieses Gratis-Albums) nicht ganz an „R.A.P. Music” und „Cancer 4 Cure” anknüpfen. Vielmehr scheinen vor allem die Beats eher Ausschussware von […]

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