Der Liedschatten (71): Goo goo g' joob!

The Beatles: “Hello Goodbye“, Januar – Februar 1968

Fangen wir uns, fassen wir uns wieder. Rückfälle in Schlagergefilde wie in der letzten Woche werden uns zwar hin und wieder unterkommen, sich aber niemals so sehr häufen, dass es scheint, die 1950er Jahre hätten nur kurz pausiert.

Und vergessen wir vor allem nicht das Prinzip dieser Reihe hier. „Der Liedschatten“ arbeitet sämtliche Nummer-Eins-Hits der BRD seit dem Jahr 1959 in chronologischer Reihenfolge ab. Selbstverständlich werden uns da hin und wieder Scheußlichkeiten begegnen, die sich im besten Falle zwar zu Seltsamkeiten umdeuten lassen, aber ihres eigentlichen, scheusaligen Wesens niemals verlustig gehen werden.

Das soll uns aber heute nicht bekümmern, es gilt wieder einmal, sich über die Beatles zu freuen. Die soeben gebrauchte Wendung „es gilt“ könnte den Eindruck erwecken, als könne Freude über die Beatles nur mit etwas Anstrengung empfunden werden. Das ist natürlich Quatsch, „Hello Goodbye“, der sechste erstplatzierte Song der Beatles, ist zwar leichte Kost, fällt aber nur dann gegenüber anderen Stücken der Band ab, wenn man all diese in ihrer wahnwitzigen Größe kennt.

http://www.youtube.com/watch?v=T0NuHRMFOiA

George Harrison nahm auch die weniger künstlerischen Aspekte seines Musikerdaseins sehr, sehr ernst (siehe Gesichtsausdruck).

 „Hello Goodbye“ ist also, und mehr würde ein Fan der Beatles (in etwa der Autor) niemals zugeben, ein in Relation weniger berauschendes Stück als zum Beispiel seine B-Seite, „I Am The Walrus“.

Welten besser als der Eiermann: Lennon als Walross. Oder war das Paul?

Anhand dieser Single könnte die Gegenüberstellung von John Lennon und Paul McCartney, wie sie bereits anlässlich der Doppel-A-Seite „Penny Lane / Strawberry Fields Forever“ versucht wurde, nun fortgesetzt werden. Nur ließe sich dieser außer dem Hinweis, auch McCartney könne im Rahmen einer etwas albernen Verspieltheit sehr wohl, wenn auch durch ihre Schlichtheit, fordernde Lyrics wie im heutigen Song schreiben, nichts hinzufügen.

beatles_helloDer Ansatz von „Hello Goodbye“ ähnelt entfernt dem von „All You Need Is Love“, beide basieren auf Aufzählung und Verneinung. „There’s nothing you can do that can’t be done / Nothing you can sing that can’t be sung“ ist dabei ein wenig verschwurbelter und führt die Verweigerung nur auf, um zu zeigen, dass etwas getan werden kann, sozusagen als Aufmunterung zur Handlung im Sinne eines „Du tust eh nichts, was nicht getan werden kann, also tue doch bitte wenigstens, was du tun kannst“.

„Hello Goodbye“ ist simpler und scheint seine Entstehung einem weniger wichtigen Anliegen als der Förderung universeller Liebe zu verdanken. „You say yes I say no / you say stop and I say go (…) You say goodbye / and I say hello (…) I say high you say low / you say why and I say I don’t know (…)“ ist mehr ein verbales Kinderspiel denn eine lyrische Großtat des Menschen, der immerhin auch „Blackbird“ verfasste. Angenehm durchbrochen wird diese arg folgerichtige Reihe hingegen bei ungefähr 1:53 Minuten durch den Backgroundchor.

„You say yes
(I say yes but I might say no)
you say stop
(I can stay till it’s time to go)
and I say go go go“,

so wird Text dann doch etwas unverständlicher, die Rollenverteilung verschwimmt, denn das „you“ könnte auch ganz anders. Warum will es dann aber nicht? Liegt es am „I“? Gut möglich, denn immer sagt es irgendwas, provoziert also die Entgegnung. Doch wie dem auch sei, um Schwerwiegendes geht es dabei anscheinend nicht, letztendlich löst sich alles in Wohlgefallen auf, das legt zumindest der Schlußpart nahe.

Von einer gedrückten Atmosphäre war während des ganzen Songs nicht zu spüren, im Gegenteil. Im ungetrübten C-Dur beginnt er ohne jedes Intro, danach geht’s im direkten, leicht federnden, doch fordernden Rhythmus über unregelmäßige Strophen und Refrains direkt bis zum Outro weiter, ohne dass die Sonnigkeit durch etwas anderes als die ständige, dadurch aber schalkhaft scheinende Verneinung getrübt worden wäre.

Auch die Instrumente werden kräftig gespielt, Gitarre, Bass, Schlagzeug (und wie!), Klavier, Bratsche und Orgel, dazu noch allerlei Percussions, sie alle erfreuen sich großer Präsenz. Feinheiten im Arrangement, zum Beispiel Harrisons kleiner Slide nahe dem “oh no“, lassen sich allerdings erst nach mehrmaligem Hören erkennen.

John Lennons Song „I Am The Walrus“ weist da schon mehr Brüche auf. Der Text ist vollkommen unverständlich, die harmonische Struktur unklar, die Stimmung nicht gänzlich greifbar. Es ist mir deshalb an dieser Stelle wichtig, dass ihr es nicht als „Na, dann hört’s doch halt selbst!“, sondern Ausdruck meiner Begeisterung auffasst, wenn ich euch bitte, das Stück wieder und wieder zu hören. Und dann noch einmal. Dass darin ein Orchester, obskure menschliche Laute und Radiogeräusche verwendet werden, könnt ihr an anderer Stellen nachlesen, am besten bei Alan W. Pollack. Jetzt aber hört bitte noch einmal das famose Stück.

Den Song habt auch ihr daheim, bestimmt. Wenn nicht, hat ihn der nächste Plattenladen. Und: ihr solltet ihn haben.

Zwar ist „I Am The Walrus“ nach wie vor ein Popsong, dazu noch ein kommerziell erfolgreicher, jedoch erzählt er weder eine Geschichte, noch beschreibt er Gefühle oder unterbreitet den Hörern ein Anliegen, weder gekonnt noch gekünstelt noch verlogen oder doppelsinnig. Seine offensive Selbstgenügsamkeit müsste verwirrend, sein Spiel mit der garantierten Aufmerksamkeit abstoßend wirken, beides ist aber nicht der Fall. Womöglich sind es die Vehemenz, mit der sinnfreie Zeilen wie

„I am he as you are he as you are me and we are all together
See how they run like pigs from a gun, see how they fly, I’m crying.
Sitting on the cornflake waiting for the van to come.
Corporation tea shirt, stupid bloody tuesday,
Man, you been a naughty boy, you let your face grow long“

vorgetragen werden, die an ein Kinderspiel erinnernde Dramatik der unverhandelbaren Behauptung, etwas zu sein und zu erleben, das offensichtlich nicht sein kann, die bezaubert, die Unmöglichkeit der Ereignisse, die entwaffnen. Hinter „Semolina pilchards climbing up the Eiffel Tower / element’ry penguin singing Hare Krishna / man, you should have seen the kicking Edgar Allan Poe“ einen Sinn vermuten wollen? Wer es versucht, wird durch die Musik von allzu ernsthaften Überlegungen abgelenkt.

Dennoch ist „I Am The Walrus“ keinesfalls Beleg dafür, mit welcher Konsequenz sich die Beatles zu jener Zeit wirklich alles erlauben konnten. Ihr Film „Magical Mystery Tour“ vom Dezember 1967 zum Beispiel wurde vom Publikum wenig gemocht. Lag es daran, dass der in Farbe gedrehte Film über eine Busfahrt ins mehr als nur Blaue mit Laienschauspielern und improvisierten Szenen in schwarzweiß ausgestrahlt wurde? Oder aber daran, dass es sich um eine Busfahrt ins mehr als nur Blaue mit Laienschauspielern und improvisierten Szenen handelte?

Entscheidet bitte selbst, denn sehen solltet ihr den Film allein schon aufgrund seines grandiosen Soundtracks. Diesen vermochte dann auch niemand ernstlich zu kritisieren: Der Titelsong „Magical Mystery Tour“, „The Fool On The Hill“, „Your Mother Should Know“, „Blue Jay Way“, dazu ein Instrumental namens „Flying“ und „I Am The Walrus“ erschienen als Doppel-EP mit 28-seitigem Booklet, ein für damalige Zeit ungewöhnliches Format.

Spätere Veröffentlichungen des Soundtracks erfolgten als LP. Ergänzt wurde die ursprüngliche Tracklist dabei um die Singles und B-Seiten des Jahres 1967, „Hello, Goodbye“, „Strawberry Fileds Forever“, „Penny Lane“, „Baby You’re A Rich Man“ und „All You Need Is Love.“

Bitte nicht vergessen:

Kommenden Donnerstag findet in der Gesellschaft / Hamburg eine Feier anlässlich des Erscheinens der zweiten Ausgabe des Fanzines Transzendieren Exzess Pop statt. Dabei werden Texte des Liedschattens durch musikalische Darbietungen von Deniz Jaspersen (Herrenmagazin) und Rasmus Engler (auch Herrenmagazin, dazu noch Gary, Das Bierbeben, Dirty Dishes) ergänzt vom Autoren gelesen.

Ebenfalls lesen wird der auftouren.de-Autor Sebastian Schreck, und zwar aus seiner Reihe Vergessene Stile. Es spielen im Anschluss Joachim Franz Büchner (Bessere Zeiten) und Sleeping Policemen kleine Sets.

3 Kommentare zu “Der Liedschatten (71): Goo goo g‘ joob!”

  1. […] andere als einen lauteren Lebenswandel in deren Sinne unmöglich macht, was angesichts Stones, Beatles, Hippies und Studentenbewegung die Sehnsucht nach adretten Sprößlingen gestillt haben […]

  2. […] mit denen sie ihn erlangte, in etwa die Singles „Penny Lane / Strawberry Fields Forever“ und „Hello Goodbye / I Am The Walrus“ und Albumtracks wie „Tomorrow Never Knows“, „Within You Without You“ und „A Day In The […]

  3. […] Of John And Yoko“ wieder zum Nonsens von Stücken wie „Strawberry Fields Forever“ und „I Am The Walrus“ zurückkehrt. Damit eröffnet er einen Spielraum für eben die Interpretationen, die er in […]

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