FehlfarbenXenophonie

„Monarchie Und Alltag“ wird im weiteren Verlauf des Textes nicht mehr nominell erwähnt werden, aber als schattiger Geist und geistiger Schatten die Fehlfarben und ihre Rezeption immer begleiten, so dass sie „Das Frühwerk am Hals wie ein Mühlstein“ – „TCM (Polychemie)“ – tragen, eine Last, vor der es kein Entrinnen gibt und die in fast jedem Sound der Band und in fast jeder Bewertung ihrer Musik steckt.

Nein, die Fehlfarben sind nach ihrer Revitalisierung Anfang der Nullerjahre eine gut eingespielte Rockband geworden, die mit Moses Schneider diesmal über einen Produzenten verfügt, der den Sound in eine rockige wie fette Richtung lenken kann, ohne dass er verflacht und an allzu viel Subtilität verliert. Die Fehlfarben sind spielfreudig, so spielfreudig sogar, dass sie die Aufnahmen in den legendenumwitterten Hansastudios aus Geldmangel auf 5 Tage beschränken mussten und auch konnten, und Peter Hein hat allerlei auf dem Herzen, das er ernst und verbissen, in garstiger Integrität und manischer Intensität vorträgt. Kurzum: Die Band ist wohlauf und das hört man auch.

Die Eigenheiten im Rockkontext sind recht schnell erzählt: Ein dunkles Riff zu unglaublich forschem Rhythmus („Dekade 2“), ein paar Synthiespielereien („Platz Da“), ein dreckiges Saxophon („Lang Genug“, „Richtig Ins Falsch (NFS)“, „Bundesagentur“) und ein paar coole Riffs, die auch mal in pathetisch gedehnte Refrains münden („TCM (Polychemie)“). So kann man als Rockband mit Punkkontext 2012 gern klingen, wenn man keine tote Hose ist, so darf würdevoll im Alter gerockt werden und Peter Hein ist immer er selbst. Also weit länger und weit mehr er selbst als andere sie selbst sind und waren.

Wenn man ihnen etwas vorwerfen will, dann müsste man es dem Fehlfarben-Sound generell vorwerfen. Das Hemdsärmelige und Schamlose an Heins Texten (ein Beispiel für die etwas konstruierte und allzu naheliegende Idee: „Glauberei“ – Glauben als Synonym für Krieg führen), die ohnehin immer mehr Arbeiter- als -Lyrik und immer politisch waren. Der Ernst im Vortrag. Den englisch gesungenen Song („The Glag Drops“ – unbestimmter Wave-Rock mit ungewohntem Gesang). Dabei zeugt das ja immerhin vom Willen zum Neuen und wie sollte das denn klingen, wenn ein Peter Hein gelassen werden würde? Gott sei Dank textete und sang schon der junge Hein so altklug und bissig, dass er sich nun im Alter verbissen weigern muss, klug zu sein. Und damit seien noch nicht mal (Alters-)Weisheit und (Alters-)Milde gemeint, um derlei bürgerliche Attitüde haben sich die Fehlfarben nie bemüht und Alter per se kann und sollte kein hinreichender Grund für irgendetwas sein. Stattdessen: „Ich muss doch schon lang nicht mehr probieren,/ die Lage, wie sie ist, zu kommentieren./ Ich hab doch lang genug gelebt vom Kopieren,/ um jetzt noch den Durchblick zu verlieren.“ („Lang genug“) Erkennen und Erkenntnis, verschlungen und verhäkelt ineinander, ohne in schnöde, verfälschende Identität zu verfallen. Oder, und das ist nicht ohne Grund Metier und Qualität des Peter Hein, um es kurz und prägnant zu formulieren: „Der Widerspruch/ tut jedem Leben gut./ Im Widerspruch/ lebt es sich noch mal so gut.“ – „Richtig Ins Falsch (NFS)“ Dass es sich in diesem Fall wieder um einen guten Punkslogan handelt, wirkt allerdings auch etwas gestrig.

Ein Song verdient noch eine Extraerwähnung: „Herbstwind“, der zehnminütige Ausklang des Albums, ein Stück seltsam loungigen Jazz-Rocks, das ausufert in noisige Sounds, ohne Atmosphäre einzubüßen. Ein passender und nicht befremdender Ausklang für ein Rockalbum auf der Halbhöhe der Zeit.

Denn so fremd ist der Klang der Fehlfarben keineswegs, wie der Titel „Xenophonie“ suggeriert. Und Angst vor fremden Klängen hat ja eh keiner. Die Kontexte sind eigen und da, der Sound rockt derbe und Peter Heins Stimme schreit und röhrt sich durch zielgenaue Slogans. Das sind und waren die Fehlfarben, das ist zwar nicht zwingend, aber gut. Um das besser zu finden, muss man wahrscheinlich Fan sein und seit „Monarchie Und Alltag“ die Band vergöttern. Um das schlechter zu finden, muss man „Monarchie Und Alltag“ übermäßig vergöttern. Aber dann „wird zurückgeglaubt, werden Glaubensbrücken gebaut.“ Ach na ja, lassen wir das …

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Label: Tapete

Referenzen: Gang Of Four, Mutter, The Fall, Maxïmo Park, The Robocop Kraus

Links: Homepage | Label

VÖ: 18.05.2012

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