Lower DensNootropics
Erwartungen sind – besonders in Form der noch stärkeren Vorurteile – nicht ungefährlich, vermögen sie doch das Urteilsvermögen des ohnehin nicht vollends rationalen Menschen aus der Balance zu bringen. Wer etwas erwartet, mag stärker erfreut oder enttäuscht sein, wenn dies nicht eintrifft, als wenn er diese Erwartung vorher gar nicht erst gehabt hätte. Und selbst beim naiv-neutralen Herangehen kann ein Anfangseindruck entstehen, anhand dessen man den Verlauf eines Prozesses auf einmal mit ganz anderer Gewichtung bewertet.
„Nootropics“, das zweite Album der Band um die langjährige Solo-Folkerin Jana Hunter, eröffnet mit „Alphabet Song“. Deutlich im Vordergrund ein Schlagzeug, das sanft und doch in kompaktem Wechselspiel seiner Komponenten einen repetitiven Strom erzeugt, in dem fortan ein zirkelndes Dreiton-Keyboardmotiv und vier lange hallende Saitenanschläge dahintreiben. Im Nu ist ein stimmiges, vereinnahmendes Klangbild aufgebaut, die körperlich nur halb präsente Stimme Hunters und dezente Backing-Vocal-“Ha“s fügen sich perfekt darin ein.
Wer danach Großes erwartet, wird nicht enttäuscht: „Brains“ lässt die Rhythmussektion ihren motorischen Drive entfalten, es werden Erinnerungen an die Zeit wach, als Deerhunter noch diese Krautrock-Band auf Kranky waren. Doch im Mittelteil entpuppt sich hypnotische Monotonie nur als Grundbaustein, die Synth-und-Gitarrenwolke wechselt ein ums andere Mal Form und Farbe, im verhallten Stimmduett erhebt sich der Song zu einer glorreichen psychedelischen Fieberfantasie. Spätestens als der Groove nahtlos ins nächste Stück übergeführt wird, macht man gedanklich schon die “Meisterwerk“-Schublade auf, hier zeigt sich eine Band in voller Kontrolle ihrer überaus eigenen Kräfte.
„Propagation“ lässt die Instrumente abwechselnd diskret-dünn in den Raum hallen und ihn zum Refrain vereint füllen, erinnert in seiner Trägheit ein wenig an Lower Dens‘ Baltimorer Nachbarn von Beach House – was kein Problem wäre, würden dies „Nova Anthem“ und „Lamb“ nicht noch mehr machen. Die Eigenheit der ersten Songs lässt auf einmal nach, schlimmer aber, die Arrangements wirken unterentwickelt, die Melodien wenig ausgereift. So hängt eine simpel-repetitive Tonfolge, wie sie sich anderswo subtil ins Bewusstsein bohrte, in „Lion In Winter Pt. 2“ penetrant-störend im Vordergrund, nachdem „Pt. 1“ schon wie atmosphärisches Füllmaterial wirkte. „In The End Is The Beginning“ setzt eine düstere Schlussnote, doch während man sich bei „Brains“ noch wünschte, dass es unendlich lang laufen könnte, gerät das 12-minütige Finale zur Geduldsprobe, einer Gitarre beim langsamen Dehnen zuzuhören.
Ist „Nootropics“ also eine Enttäuschung? Nur relativ zu den hohen Erwartungen, die es zu Beginn weckt. Wäre die Reihenfolge der Stücke eine andere, entstünde bereits ein neuer Eindruck wenn es mal zu viel aus zu wenig macht und im nächsten Stück den Hörraum aufs Wunderbarste anfüllt. Unterm Strich bleibt kein schlechtes Album, sondern eine Band mit großem Potential, das sie teilweise bereits realisiert hat. Was wohl eine gesunde Messlatte für die Zukunft ist – erwartungsgemäß.
Label: Domino
Referenzen: Deerhunter, Stereolab, Beach House, Can, Jana Hunter
VÖ: 27.04.2012