Der Liedschatten (69): Nicht mehr als nur ein Ort

Bee Gees: “Massachusetts“, November 1967 – Januar 1968

Neben den in den letzten beiden Folgen behandelten Hippies und arg ambitionierten Rockbands wie Genesis, Yes oder Dire Straits diente für Punks Ende der 1970er Jahre die Discokultur als Feindbild. Als deren populärste Vertreter galten zu dieser Zeit die Bee Gees.

Mit ihrer Vorliebe für stupide Rockismen vermochten einige Punks jeglichen Verdacht des Elitarismus zu zerstreuen.

Die Bee Gees töten? Das haben sie bestimmt nicht so gemeint, nicht wortwörtlich. Es vermochte zu schockieren und war damit punktauglich.

Allerdings gäbe es auch szeneimmanente, „sachliche“ Gründe. Die Musik der Bee Gees war professionell produziert und schien kein ernsthaftes Anliegen wie zum Beispiel das Töten von Menschen, denen man die Abwesenheit ernsthafter Anliegen unterstellt, zu haben. Und sie verkaufte sich sehr gut, was angesichts des Fehlens einer Botschaft Raum zu der Vermutung gab, es würde den Beteiligten um nicht mehr als das gehen.

Dazu noch sangen hier modisch gekleidete Männer mit gepflegtem Haar in „unmännlichen“ Tonlagen, und das behagte weder Punks noch anderen, letztendlich doch sehr konservativen Rockern. Solche konnten den Bee Gees obendrein zusätzlich nachtragen, dass sie ja einst, damals, Ende der 1960er, eine „richtige“ Band mit Gitarren usw. gewesen seien, nun aber Clubmusik spielten. In dieser Hinsicht hätten sogar Punks und Hippies einer Meinung sein können.

Doch nicht nur szenige Jugendkulturen waren ihrer Musik überdrüssig, auch reaktionäre Radio-DJs und sogar ein Teil ihrer Käuferschaft: nämlich jener, der aus den Deppen bestand, die sich allem, was eine große Masse unternimmt, anschließen. In etwa 15 Millionen Exemplare des „Saturday Night Fever“-Soundtracks kaufen, sich danach aber möglichst ungebührlich gebärden und Disco in teilweise arg würdeloser Art ablehnen. „(…) they proceeded to storm the pitch, where they smashed and burned their Bee Gees vinyl. ‚They wore Led Zeppelin and Black Sabbath T-shirts,‘ writes Knopper, then a 13-year-old disco-hater ’smashed bottles on the ground, smoked God knows what and chanted their almighty rallying cry: ‚Disco sucks‘!'(…) disco music was for homosexuals and black people. Not only that, but, as Knopper notes, in the disco era „to make it with a lady a guy had to learn how to dance. And wear a fancy suit!“(…)“ Nein, das war zu viel, das ging nicht an. Rassismus, Sexismus, Homo- und Neophobie waren durch den Discoboom nicht merklich gemindert worden und brachen nun, da dieser abebbte, wieder vor und bedienten sich der einst als progressiv geltenden Rockmusik.

Bereits ungefähr 6 Jahre vorher hatte die Band zwar nicht Ähnliches, aber Vergleichbares erlebt. Damals zeigte sich die Missbilligung auf eher klassische Art, nämlich, indem man ihre Platten einfach nicht mehr erwarb. Damit schien die in Australien aufgewachsenen Briten kein schwereres Schicksal als zahlreiche ihrer Kollegen aus den 1960ern zu ereilen: Viele Karrieren versanken zu diesem Zeitpunkt in der Bedeutungslosigkeit oder nahmen peinliche Wendungen wie bei den Beach Boys, die sich zu einer tourenden Oldierevue entwickelten.

Von 1967 bis ungefähr 1971 hingegen galten die Gebrüder Gibb manchen als die einzige Band, die es hinsichtlich des Erfolges (sie hatten in diesen Jahren 9 internationale Nummer-Eins-Hits), aber auch der Kunstfertigkeit mit den Beatles aufzunehmen vermochte.

Dieser Vergleich entbehrt natürlich jeglicher Grundlage. Die Bee Gees besaßen niemals die Klasse der Beatles, allein schon aufgrund ihres zwar markanten, aber in diesem Zeitraum doch sehr beschränkten Sounds. Sie waren äußerst fähige Songwriter, Produzenten, Arrangeure, Instrumentalisten und Sänger, verließen aber, anders als die Beatles, nie die Sphäre klassischer Unterhaltungsmusik. Sie waren keine Künstler, die es in den Bereich der Popmusik verschlagen hatte, sondern begabte, fleißige Arbeiter.

Was sie als Band und Autorenteam an Bemerkenswerten zwischen britischem Pop, Psychedelic, Progressive Rock, blue-eyed Soul und Ballladen zu schaffen vermochten, ist bereits vor den Glanztaten ihrer Discozeit beachtlich. „Spicks And Specks“, „New York Mining Desaster 1941“, „To Love Somebody“, „I Started A Joke“ und „I’ve Gotta Get A Message To You“ sind beispielhaft schöne Popsongs, fein arrangiert und mit durchdringenden, aber leichten Harmoniegesängen ausgeschmückt.

Selbst ohne eigenes Können hinsichtlich Songwritings und Produktion wären die Stimmen der drei 1967 noch nicht einmal zwanzigjährigen Bee Gees auffällig gewesen. Sie sind, wenn auch nicht unschön, so doch unüblich, leicht quäkig, besitzen viel Vibrato und klangen bereits in den 1960ern vergleichsweise hoch. Außerdem hatten sie hin und wieder Soul, dessen Zahmheit sich vorteilhaft mit ihren Stimmen verband, in etwa bei „I Can’t See Nobody“ .

Von diesem gibt es in „Massachusetts“, ihrer ersten Nummer Eins in der BRD, recht wenig. Der ursprünglich für die australische Vokalgruppe The Seekers geschriebene Song ist mehr gemüt- als seelenvoll, eher wehleidig denn bewegt.

Mehr als nur ein Ort, nämlich auch noch ein Wort: Massachusetts.

bee_massaFindet man sich erst einmal mit der Süßlichkeit der Streicher und dem Schmelz, mit dem die Silben des Wortes „Massachusetts“ gekostet werden, ab, dann könnte nur noch der sehr simple Text eine zumindest wohlwollende Sympathie für die gefällige Ballade verhindern. Doch besteht die Möglichkeit zur Aussöhnung, man muss den Song nur bis zum Ende (und die gut zweieinhalb Minuten sind nun wirklich nicht arg lang) hören: „And the lights all went out in Massachusetts / and Massachusetts is one place I have seen“ mag zwar keine große Kunst sein, deutet aber mit „(…) is one place I have seen“ eine berührende, ja erschreckende Verlorenheit und Bezugslosigkeit an. Schließlich ist es alles andere als schön, wenn der Ort der Sehnsucht, die Heimat, in der einst die Geliebte zurückgelassen wurde, nicht mehr mehr als nur einer der Plätze ist, die man sah.

Eine andere Herangehensweise an diese Zeilen aber wirft Fragen auf. Erst wird von der Vergangenheit an einem Ort gesungen, dann dessen erlöschenden Lichter, und die Pointe ist einzig: Ich habe diesen Ort gesehen. Überrascht? Eben. Zu Vergleichbarem werden wir aber an anderer Stelle noch einmal kommen.

Vergessen wir bis dahin nicht, dass viele Bewohner des deutschsprachigen Raumes zu diesem Zeitpunkt kein Englisch gesprochen und mit Sicherheit nicht auf Feinheiten geachtet haben werden, sondern sich hier wie auch beim Konsum anderer Lieder einfach nur in eine für sie angenehme Stimmung versetzen lassen wollten.

Beim Song „Massachusetts“ dürfte es sich dabei allein schon aufgrund des exotischen Klanges des Namens um Fernweh und Sehnsucht gehandelt haben. Diese Wirkung wurde durch die Erwähnung des Ortes „San Francisco“ noch verstärkt, Scott McKenzies Song „San Francisco (Be Sure to Wear Flowers In Your Hair)“ war der direkte Vorläufer in den Hitparaden und ebenfalls eine sanfte Ballade des schweifenden Geistes mit Ortsnamen, wodurch beide Stücke in den Ohren der Hörer mehr Gemeinsamkeiten besessen haben dürften als dies tatsächlich der Fall war. Für „San Francisco (…)“ gab es einen konkreten Anlass, das Stück der Gibbs hingegen basiert laut deren Aussagen einzig auf der Schönheit des Wortes. In den kommenden Wochen werden wir sehen, dass sich Ähnliches über die weiteren Hits der Bee Gees sagen lässt.

 

Eine kurze Anmerkung bezüglich des Liedschattens: Am 31. 05. 2012 findet in der Gesellschaft / Hamburg eine Feier anlässlich des Erscheinens der zweiten Ausgabe des Fanzines Transzendieren Exzess Pop statt. Zu diesem Anlass werden (unter anderem) Texte des Liedschattens durch musikalische Darbietungen ergänzt gelesen.

2 Kommentare zu “Der Liedschatten (69): Nicht mehr als nur ein Ort”

  1. […] von diesen hatten sie eine ganz Menge, und das, wie wir bereits bei der Betrachtung des Songs „Massachusetts“ feststellen konnten, schon lange vor ihrer eigenmächtigen Neuerfindung als Discobeschaller […]

  2. […] Ende 1967 schienen die Farben jedoch wieder sortiert gewesen zu sein. „Massachusetts“ und „World“, ihre bis dahin größten Singleerfolge, klangen fokussierter, gleichzeitig aber […]

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