Nathan (XIV): Kopfrede

‚Ich habe heute schon schöne Sachen gesehen, ja, doch. Ja, da gab es etwas Schönes. Sonnenlicht am Morgen zum Beispiel.
Die meisten Stunden sind nicht voneinander zu unterscheiden. Aber Morgenstunden erkenne ich immer.
Vielleicht, weil ich mich dann immer frisch und wach fühle, nein, frisch wach, frisch und wach und frisch wach, das ist doch nicht dasselbe… da einen Unterschied erklären, frisch, und wach, aber nicht frisch wach … das ist ja das Gegenteil, nein … frisch wach ist müde. Gerade erst wach.
Links gucken, rechts, noch mal links … kein Auto.
Arrivierte Freunde besuchen, sehr schön und beruhigend war das gestern. Mit Leuten reden, denen es gut geht … und die sagen: ‚Nur an etwas Gutes denken, das ist alles, und es geht einem gut.‘ Klar, wenn es gut geht, dann an Gutes denken.
Aber nein, wollte ich ja mal machen. Die Sonne. Sonne, ich denke an dich, deiner ich, dir, gedenke dich, deiner. Da bist du ja.
Aua, nicht rein gucken … sie hat Kraft, am Morgen schon, nicht erst mittags.
Dass die Sonne wärmt, habe ich dann schon vergessen … nur Hitze im Büro. Und sie selbst, am Abend, nur ein Abglanz, matt und zufrieden. Groß.
An einigen Tagen scheint die Sonne nur zur Arbeitszeit … ja, schön scheint sie. Draußen. Draußen scheint die Sonne schön. Und drinnen nicht.
Aber noch ist ja morgens, und ich auf der Straße, verschwinde gleich bis zum Abend. Wenn noch immer alles hell ist. Es fehlen ein paar Stunden bis dahin, wenn ich es ganz vergessen könnte … so wie Schlaf. Regen sich Leute auf, ihr Leben zu verschlafen. Was sie müssen. Arbeit aber, da reden wir nicht drüber. Falls mal wer den Kaffee wegnimmt … ein paar Tage sind alle unausstehlich.
An was Schönes denken wollte ich, mir zuliebe, hat sie geraten. Aber das mit der Sonne fällt als Erstes ein, sie scheint für den Kaffee, nicht mich.
Liegt nicht an der Sonne.
Aber ja, oder die Menschen, wohl kaum. So viele, sie anschauen … das hängt aber ab. Frühmorgens über den Gänsemarkt, ganz anders als Neuer Pferdemarkt. Aber Tiernamen. Heiligengeistfeld … nein, kein Tier, aber leer, so nach der Nacht, eine kleine Zeit.
Mal wem ohne Bekanntschaft zulächeln.
Ab und zu einfach mal auf die andere Straßenseite gehen, ändert was, morgen wieder drüben bei der Buchhandlung. Mal nicht über die Ampel gehen, die gerade grün ist. Einfach nur warten.
Oder überhaupt, warten, stehen bleiben, wenn es grün ist.
Na, jetzt gehe ich aber. Zu spät, der Gedanke, da, selbst kleine Gedanken kommen zu spät. Warum so tun, so erbost und verärgert, wenn die großen noch länger ausbleiben?
Und dann sieht man sie ja nicht, wie vor einer steilen Wand, man steht, der Berg, das Große taucht plötzlich auf… die Idee als Sackgasse. Als Steilwand, ja. Ideen kann ja jeder haben, nur bringen die nichts.
Erzählen lassen sie sich. Das erleichtert das Erledigen, so sehr, dass es hin und wieder unterbleibt. Gesagt, getan. Dazwischen ist ein ist, ein ist, ein ist … merkt das mal wer?
Ist das mal von wem gesagt worden? Jeden Tag so einen Weg hier, das erledigen? Wie viel das ist?
Nein, immer wird so getan, als sei nur das Große schwer, aber das Kleine, so ein Weg in Häufung, das ist ja nicht schwer, diese Sache hier. Das ist ja nur klein, leidig, mies, und Mieses, Kleines, Ödes, Wiederholung, das ist nicht groß, kann ja also gar nicht schwer sein. Irrtum. Häuft sich nämlich an.
Aber wie schwer es fällt, ohne überhaupt einen Sinn zu haben. Das ist doch Quatsch. Und für das Große darf sich wer Zeit lassen, das Kleine aber, auch schwer, das nicht. Das immer wieder und immer schnell. Und am Ende wird daraus ein Leben. Ist es schon ein Leben, Leben wird nicht, andersrum, vergeht. Können nur rückwärts rechnen, auf den Anfang zu, nach vorne … bitte, wie denn?
Ein Leben dem Kleinen widmen. So tun, als wäre es nicht, als gäbe es nur Großes oder nichts, das größer wäre, trotzdem alles leicht finden, das ganze Leben, und dann leicht loslassen. Können. Kann man aber zu leicht loslassen, das Leben fahren lassen, ist es auch wieder nicht richtig, dann ist wer beleidigt. Aber leicht soll man es nehmen, weil, obwohl, während, was wäre da richtig … trotz … und obweil. Obweil, alles nur Stückwerk. Aber das sollte bitte nicht gedacht werde, sondern …
Ach, verdammt. Wie komme ich da denn raus. War hier gestern eine Baustelle? Nein.
Hätte ich nur Zeit gehabt, den Kaffee zu trinken. Zu spät aus dem Bett, zu spät gekocht, keine Zeit, um ihn abkühlen zu lassen. Hätte ja Milch reintun können. Wie blöd, einfach loszuhetzen. Oder so einen Becher irgendwo kaufen … auch dafür keine Zeit mehr. Mist.
Aber erdulden, erdulden und an was Schönes denken.
Es war ja ein Vorsatz. Nicht immer nur trotten, so am Morgen, was sehen, was Schönes, etwas fixieren und überraschen lassen, verprochen ist versprochen ist versprochen.
Das Fahrrad da, schwarzgelb, steht immer da.
Der Aufkleber dort ist ein Wal.
Hätte ich ihn, werde ich ihn auf dem Rückweg hübsch finden? Ja. Finde ich ihn jetzt hübsch, denke ich an den Rückweg. Und ich mag ihn nicht mehr.
Ist ja nichts Schlimmes, das alles hier, Leuten ausweichen, die einem nicht ins Gesicht sehen können. Ist nur ein bisschen wie: Wer baute die Pyramiden, der Pharaoh, klar, nicht, nein, der Arbeiter. Nicht der lesende, fragende. Käme da heute noch wer drauf, Arbeitern das Lesen zu empfehlen, etwas Erhebendes, Menschen durchdenkendes, also, den Menschen, Lem aus der Buchhandlung dort hinten zum Beispiel, kein Spaß? Warum liegt das im Schaufenster?
Die werden eh nur so ein „Eisenbahnerblatt“. „Brunnenputzer im Ehrenamt“, deren Sachen lesen, auf dem Weg zur Arbeit. Und ich lege es ihnen vor. Der Lem lesende Arbeiter, der ist heute leider verhindert, muss Kaninchenzucht betreiben auf dem Weg zur Arbeit. Liebe in Gedanken.
Es gibt viel Schlechtes, aber nur weniges davon ist offensichtlich schlecht.
Ah, die Treppe, 7 Stufen. Zählt die kleine Kante unten mit? Oder nicht? Und drinnen dann auch noch eine Zwischentür. Haben neuere Häuser ja meist nicht, müsste ein Einbrecher auch noch durch, macht doch Lärm… Kopf hoch, gucken, ja.‘
„Guten Morgen, Frau Pfuhlschlag.“
„Guten Tag, Herr Nathan.“
„Ich setze gleich erst mal mal Kaffee auf, hatten Sie schon?“
„Nein, machen Sie mal ruhig. Und danach dann kümmern Sie sich um den ‚Mufflonboten‘ von Herrn Hornschlag, ja?“
„Selbstverständlich. Genau das hatte ich vor.“
Draußen Sonne.
„Sanktionen im Schutt” von Bessere Zeiten erscheint am 01.06.2012 via ZickZack / All Rock’n’Roll Speeds Up Records.
Bild: Martin Gommel
And I’m never as tired as when I’m waking up. Der gute James Murphy,der hätte auch gepasst. Tolle Fortsetzung, vor allem über die vermeintlich kleinen Dinge gelacht: die Stufe, die Baustelle, das Fahrrad, die Zwischentür. Groß hingegen ist der Schluss;)
Pascal, das ist lieb von Dir! Wieder einmal werde ich daran erinnert, dass darüber tatsächlich auch gelacht werden kann. Damit rechne ich nie so recht, obwohl’s mir ganz gut passt. Vielen Dank!
[…] und zwar aus seiner Reihe Vergessene Stile. Es spielen im Anschluss Joachim Franz Büchner (Bessere Zeiten) und Sleeping Policemen kleine Sets. __spr_config = { pid: '4f0860e9396cef0b75000006', title: […]