Der Oster-Folkspaziergang

Zum vierten Mal gehen wir bereits auf einen Spaziergang durch die Auswüchse klassischer und kontemporärer Folk- und alternativer Countrymusik. Wie auch bei den vergangenen Ausgaben gilt es, Perlen aufzuspüren, die den Frühling willkommen heißen (wie oft hat man diese Floskel eigentlich in den vergangenen Tagen und Wochen in diversen Blogeinträgen, Online- und Printmagazinen gelesen?) und sich mal federleicht, mal seelenschwer zum Dahindümpeln, In-die-Ferne-gleiten oder zum aufmüpfigen Tanz in die lauen, vorsommerlichen Abende einzuladen. Jedes Mal ein wenig variiert, stellt sich in diesem Frühjahr nur eine Frage: Jungs? Mädels? Oder doch beide zusammen?
Schon seltsam, dass es oft leichter fällt, den männlichen Barden Gehör zu schenken und so tummeln sich bei den Herren der Schöpfung ausnahmslos unbekanntere Namen, während die Sängerinnen zum Teil schon ein gewisses Renommée mit sich bringen.
Nehmen wir zum Beispiel Jim Moray, der in England in einer Riege mit den besten Folkmusikern des Landes genannt wird, hierzulande aber kaum eine Rolle spielt. Zu Unrecht, wie sein aktuelles, im April auch ganz offiziell in Deutschland erscheinendes Album „Skulk“ verspricht. Moray zaubert neben zahlreichen Traditionals zumeist stürmende und drängende Folksongs herbei, die sowohl britisch als auch historisch klingen. Der allseits beliebte Vergleich mit den großen Sängern und Gitarristen der 60er und 70er Jahre drängt sich auf, und richtig, gerade die erste Hälfte von „Skulk“ spart nicht mit Zitaten und musikalischen Versatzstücken, die von Fotheringay über Bert Jansch bis hin zum Iren Christy Moore reichen können. Seine Stärken liegen aber nicht in der alleinigen Kopie, die Interpretationen sind es, die zuweilen gar ätherisch daher kommen. Fluss und Bruch, geführt durch stimmliche Varianz und instrumentale Finesse, die sich sowohl im opulenten Fleetwood-Mac-Cover „Big Love“, im altertümlichen Klassiker „Horkstowe Grange“ und im mit allerlei Finessen vorgetragenen „Lord Douglas“ vortrefflich wiederfinden lassen.
Ausgehend vom ausufernden „Lord Douglas“ stimmt allerdings auch die Tendenz, seinen Stücken ein gewisses Maß an Progressivität mitzugeben. Mike Wexler beweist das auf seinem zweiten Album „Dispossession“ und setzt somit entscheidend von den eher konventionellen Songwritern ab. Acht gefühlt stundenlang dauernde Songs winden sich, ähnlich wie im vergangenen Jahr bei Cass McCombs, um Ton- und Klangeskapaden, die sich teils mit Gewalt auch wieder zu einfachen Songstrukturen zurückverwandeln. Wexler kommt aus Brooklyn und das hört man seinen Stücken auch zuweilen an, verspielt klopfen Gitarren an papierene Wände, hinter denen sich die Stimme des Amerikaners ein wenig zu behäbig versteckt. Aufregend wird es auf „Dispossession“ immer dann, wenn es für den Musiker kein Halten mehr gibt, sich weit mehr als das genretypische Knarzen in den Songs zum Sturm erhebt und dem Album eine fast schon mystische Tiefe verleiht.
Stichwort-Jukebox, die Zweite. Tiefe wiederum leitet zum blutjungen Nigel Wright über, der sich im vergangenen Jahr auch schon in der Haldern Pop-Bar vergnügt hat. Dieses Jahr kommt er zurück und hat sein von langer Hand vorbereitetes Debüt „Milfoil“ fertiggestellt, auf dem er eben mit unglaublich tiefer und voller Stimme neun feine kleine Folkgeschichten erzählt. Mutiges und forsches Gitarrenpicking Huckepack genommen, natürlich auch die dem Albumcover anhand gestellte Naturverbundenheit, doch Wright hebt sich erheblich vom üblichen Songwriterkonsens ab. Allein schon durch die fast schon perkussive Klavierbegleitung im eröffnenden „Advance“ gepaart mit der lieblichen Stimmung auf „Anna“, das es, obwohl es eine Single ist, nicht auf das Album geschafft hat.
Die Jungs hätten wir, die Mädels bieten durchweg genauso hübsche Spezereien feil. Loreena McKennitt hält auf ihrem aktuellen Live-Album „Troubadours On The Rhine“ eine ganze Menge derlei parat. Das als Radiokonzert aufgenommene Werk bedient sich vorzugsweise bei Klassikern und Stücken des letzten Albums „The Wind That Shakes The Barley“ und von besinnlicher Ruhe durchzogen. Es ist die Interpretation der ohnehin schon ruhigen Stücke, die deren Neueinspielung unsagbar spannend gestaltet, sei es, dass sie dem instrumentarmen Titelstück des letzten Albums heimelige Untermalung beschert oder dem unheimlichen „Lady Of Shalott“ ätherische Strahlkraft nebst ihrer glasklaren Stimme entgegensetzt.
Auch Anais Mitchell kennt man aufgrund ihres interpretatorischen Feinsinns. War sie vormals mit ihrer Folkoper „Hadestown“ und diversen Mitstreitern von Ani DiFranco bis hin zu Justin Vernon unterwegs, ist „Young Man In America“ intimer, zurückgenommener, ursprünglicher. Die Stimme schneidend und doch von unterschwelliger Lieblichkeit, die Texte waidwund, klingt sie im schwelenden „He Did“ einmal mehr nach Joanna Newsom, im trockenen „Tailor“ winken Joni Mitchell und Sandy Denny im Wechsel von fern.
Ein neuer Name ist hingegen Laura J Martin, deren stimmliche Verwandtschaft zu Mitchell sich nur bedingt leugnen lässt. Weit weniger traditionsbehaftet hat die junge Amerikanerin ihre Spielzeugkiste aufgemacht und lässt es klimpern, klickern, rasseln, quietschen und poltern, dass es einem schier um die Ohren fliegen will. Es stellt sich zuweilen die Frage, ob den eher kurzen Songs zugunsten einer etwas pointierteren Bearbeitung nicht noch mehr Zug und Abwechslung gutgetan hätten. Wenn allerdings Perlen wie das kurzweilige „The Lesson“ dabei auf der Strecke bleiben würden, wäre das schon arg schade.
Natürlich müsste jetzt auch noch ein Blick auf spannende Duette geworfen werden, um das leidliche Ungleichgewicht hinsichtlich Güte, Bekanntheitsgrad und Abwechslungsreichtum zu nivellieren, jedoch kann aufgrund der schon erwähnten Vielfalt nur ein kurzer Abstecher gewählt werden. Die Empfehlungen lauten hier eindeutig River Whyless, die die Progressivität des Folks mit barocker Opulenz verquicken, dazu die erneut magische und pastorale Eleganz von Lost In The Trees, die auch auf dem zweiten Album nach Klassik und Harmoniesucht dürsten und The Soft Hills, die sicherlich für alle zum Heilsbringer werden, denen das letzte Fleet Foxes-Album zu modernistisch geraten ist und zum sonnigen Melancholiefolk eine Scheibe Psychedelia vertragen können.
So ein langer Spaziergang, puh, und das Jahr hat erst angefangen. So viele müssten noch Erwähnung finden und so viele haben den Sprung in den Frühling noch nicht einmal geschafft. Ein wenig Vorausschau soll noch gewagt werden, und so empfielt es sich in den kommenden Wochen und Monaten nach Father John Misty, Crybaby, King Charles, Poor Moon und Steve Smyth Ausschau zu halten, auf dass im Herbst erneut marschiert werden kann.
Feiner Artikel wieder, Carl. Ich persönlich kann mir ja vor allem gut vorstellen, dass Father John Misty vielerorts ein größeres Thema werden wird.
Aber so was von. Allein die erste Single ist ja schon ein Smash-Hit :-) Und Danke!