Der Liedschatten (63): Werkausgabe

The Beatles: “Penny Lane / Strawberry Fields Fields Forever”, April – Mai 1967

Erst die Stones, und direkt danach die Beatles, das kommt wie bestellt. Dazu noch eignet sich die Single „Penny Lane / Strawberry Fields Forever“ hervorragend zur Illustration der letztwöchigen These.

Darf ich mich einmal selbst zitieren? Ich darf? Danke.

„Die Beatles waren maßgeblich an der Entfaltung dessen beteiligt, was Pop nicht nur musikalisch, sondern auch lyrisch sein kann, sie gaben ihm das Selbsbewußtsein einer Kunstform.“

Was müssen die gekichert haben, Teil I: Penny Lane

McCartney entwirft in „Penny Lane“ ein surreales „Sittengemälde“ in Form einer nichtlinearen Erzählung mit Lokalkolorit. Er beschreibt Details eines Bildes, dem trotz der vorhandenen Vorlage, einer für das öffentliche Verkehrsnetz zentralen Straße in Liverpool, die reale Entsprechung fehlen dürfte, nicht nur, weil dort gleichzeitig die Sonne scheint und Regen fällt. „In Penny Lane there is a barber showing photographs / of every head he’s had the pleasure to know“, das klingt pittoresk, verschroben und liebenswert, dürfte aber wohl kaum der Wahrheit entsprechen. Um die aber, und das mag das große nostalgische Potential des Songs erklären, geht es ja auch gar nicht. Tatsachen sind nicht nostalgisch, und „in Penny Lane, there is a fireman with an hour glass“, ist das ein Fakt? Sicher nicht, aber ein wunderschöner Einfall, ebenso wie die folgende Dame: „A pretty nurse is selling poppies from a tray / and though she feels as if she’s in a play / she is anyway“.

Nein, ist sie nicht, sie ist in einem Song, einem unwahrscheinlich dichten, stimmigen, voller erhabener, lächeln machender Melancholie, in dem es weitaus gediegener zugeht als in der Flipside, „Strawberry Fields Forever“.

penny_strawBeide Stücke stammen aus den Sessions für „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ und wurden als Single mit zwei A-Seiten veröffentlicht, eine aufgrund ihrer ebenbürtigen Güte sehr weise Entscheidung, die jedoch nur auf Drängen der Plattenfirma zustande kam. Es ist also vor allem dem Gewinnstreben zu verdanken, wenn hier aus einem Veröffentlichungsformat der Single eine Werkform wurde, deren beide Teile in einem komplexeren Verhältnis zueinander stehen, als ihre Titel vermuten lassen. Zwei gleichrangige Stücke, deren Namen Orte in Liverpool bezeichnen? Es scheint, als hätte die Band ihre gemeinsame Vergangenheit vorsätzlich zum Gegenstand ihrer Musik gemacht, dabei dient sie nur als Aufhänger.

Hören wir noch einmal „Penny Lane“, was fällt dort auf? Erst einmal das Solo der Piccolotrompete, überhaupt all die Bläser und Flöten. Da schreitet behäbig ein wohlgenährter, solide dreinschauender Bass, nickt dem Schlagzeug zu und spannt mit ihm einen paradentauglichen Rhythmus über all die Herrlichkeit, davon behütet tummeln sich drollige kleine Geräusche. Eine Feuerglocke erklingt, Sirenen werden imitiert, und dennoch wird es nicht zu verspielt, nicht einmal auf sympathische Weise. Es bleibt stets lebhaft ohne Penetranz, bunt ohne Grellheit, idyllisch, aber unwirklich. Die Knuffigkeit nimmt nicht Überhand, das Alberne bleibt gebändigt.

Doch ist dem so? Oder kommt diese Einschätzung nur zustande, da sich „Penny Lane“ nur im Zusammenhang mit der zweiten A-Seite wahrnehmen lässt, die Einheit unauflöslich scheint? Rettet das weniger himmelsblumenblaue „Strawberry Fields Forever“ gar „Penny Lane“? Diese Frage ist eine Frage des Glaubens, deren Beantwortung von einer anderen abhängt: Übertrieb es Paul McCartney zuweilen ein wenig? Denn hin und wieder konnte es ihm offensichtlich nicht zu viel des Guten sein, zum Beispiel bei „Honey Pie“ oder auch „Ob-La-Di Ob-La-Da?“, am Ende gar hier auch?

Nein. Aber wer das Gesamtwerk der Beatles kennt und wessen Lieblingsmitglied nicht McCartney ist, kann hier schon finden, was ihn in seltenen Momenten seines späteren Werkes für die Gruppe etwas unangenehm werden ließ. Dabei ist aber wichtig: Gleiches ließe sich über Lennon und „Strawberry Fields Forever“ sagen, in diesem Fall mit dem Hinweis auf „Revolution #9“ und vorausgesetzt, der Lieblingsbeatle sei nicht Lennon. Die Unterschiede im Stil beider Songwriter sind bereits klar zu erkennen, A- und B-Seite wirken nicht miteinander, sondern stehen sich in ihrer jeweiligen, höchst eigenen Form gegenüber.

Was müssen die gekichert haben, Teil II: Strawberry Fields Forever

Was macht die Gitarre? Deliriert sie im Zwielicht? Was flötet da so melancholisch? Es werden doch keine Flöten sein? Nein, sind sie nicht, ein Mellotron ist es. Was aber ist ein Mellotron? Oder gar das gleichfalls verwendete Swarmandal? Wer hat die Trompeten traurig gemacht? Und all das Wuschen und Wischen, Schleifen und Schnarren, zwischen dem uns sogar die Gitarre abhanden gekommen ist, was hat es damit auf sich? Ach, und da ist die Gitarre dann doch wieder da, unterhält sich kurz mit dem Cello, sanft entschwebt alles, kommt wieder, und auf einmal klingt das Lied gar nicht mehr nett. Und „Cranberry Sauce“? Ja? Ah, gut.

Halten wir fest: „Strawberry Fields Forever“ ist eine Art Musik, wie sie uns in dieser Reihe hier noch nie an der Spitze irgendwelcher Charts begegnet ist. Selbiges lässt sich über Lennons Text sagen. Er verwendet wenig plastische Bilder und erzählt keine Geschichte, sondern trägt Wortgruppen vor. Der Endpart entspricht in seiner freien Form der Zerstreutheit des Textes, heißt es in diesem doch nicht nur „Nothing is real“, sondern auch „always, no, sometimes think it’s me / but you know I know when it’s a dream / I think, er, no, I mean, er, yes, but it’s all wrong / that is, I think, I disagree“. Manipulationen der Tonbänder tun das Ihre, um Stimme und Stück in außerweltiche Gefilde zu entrücken. Dort müssen Streicher nicht stützen und umspielen, brauchen Metren nicht gerade sein und auch das Schlagzeug darf sich um sich selbst drehen.

Konnte man zu „Penny Lane“ noch mit etwas gutem Willem „schwofen“, so blieb hier nichts anderes übrig als das bloße Hören, es sei denn, man gedachte sich in einer Manier zu bewegen, die von vielen sicher nicht als Tanz bezeichnet worden wäre. Dazu noch singt Lennon hier über … ja, worüber? Sich? Seine Sicht auf die Welt? Oder sind’s doch eher Sichten? Von wo aus? Kann es einen dafür notwendigen Standpunkt überhaupt geben? Waren es die Drogen? Aber die machen noch keine Musik … und niemanden machen sie zum Beatle. Und überhaupt, welche spezielle Rolle sollen sie schon spielen? Im Allgemeinen gesprochen haben Halluzinogene die Wahrnehmung relativiert, persönlicher gemacht, sich deshalb aber ein Stück wie „Strawberry Fields Forever“ vorzunehmen und zu sagen: „Aha, tja, halt ein Drogensong, nicht?“, das bringt doch nichts.

Viel reizvoller ist es, noch einmal das Zusammenspiel beider Stücke auf einer Single aufgrund und trotz ihrer Unterschiede zu betrachten. McCartney singt über etwas, Lennon aus sich heraus, ersterer brilliert, letzterer traut sich, Verwirrung zuzugeben. Beide beobachten, McCartney schöpferisch und gestaltend, Lennon aus sich schöpfend und hinnehmend, McCartney schrieb einen Song mit einem Text, bei Lennon sind Worte mit Musik verwoben.

Dass letztere 1967 nicht reproduzierbar war, wurde hingenommen, die Band wollte ja eh nicht mehr touren. Doch auch, wenn sie live nicht mehr aufführbar war, beworben werden musste die Single dennoch, zum Bespiel mithilfe der hier im Text zu findenden Promovideos.

Doch selbst diese können trotz der psychedelischen Elemente niemals die Neuartigkeit der heutigen Songs illustrieren. Da wird Unwirkliches, höchst Persönliches zu weder offensichtlich tanzbarer, noch schmusetauglicher Musik gesungen. Die Beatles standen damals nicht mit zwei Liedern an der Spitze der Charts, sondern mit wirklichen Werken, die auch heute noch für Verwunderung sorgen könnten, wenn ihre Eigenheiten durch den Status Quo des selbstverständlichen – ja größtenteils nicht einmal auf dem Hören der Lieder basierenden – Mögen der Beatles nicht ständig missachtet würden. Anders gesagt: Mit Aufmerksamkeit gehört, ist es doch höchst verwunderlich, wenn solche Texte zu solcher Musik millionenfach verkauft wurde. Und obwohl die meisten von sich sagen dürften, sie würden die Beatles mögen, wissen sie vergleichbare Abseitigkeiten nicht zu schätzen.

7 Kommentare zu “Der Liedschatten (63): Werkausgabe”

  1. […] wurden eine Single wie „Penny Lane / Strawberry Fields Forever“ aus dem April oder das Album „Sgt. Pepper’s Loney Heartsclub Band“ vom Juni 1967 erst […]

  2. […] „Strawberry Fields Forever“ zeigte uns, wie weit sich Popsongs von den Gepflogenheiten einer Erzählung zu entfernen vermögen, dass es auf die üblichen Reizworte – in etwa „love“, „dream“, „girl“, „boy“, „lonely“, „happy“ – zumindest in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre nicht mehr ankam. „A Whiter Shade Of Pale“ verhindert nun die Beschränkung dieser Feststellung auf einen Sonderfall durch die Bemerkung, es habe sich ja schließlich um die Beatles gehandelt. Zwar trägt Sänger Gary Brooker auf den ersten Eindruck eine Geschichte vor, das Lesen des Textes von Keith Reid hingegen zeigt, dass sich diese so wohl kaum zugetragen haben dürfte. […]

  3. […] als dieser Erfolg waren die Lieder, mit denen sie ihn erlangten, in etwa die Singles „Penny Lane / Strawberry Fields Forever“ und „Hello Goodbye / I Am The Walrus“ und Albumtracks wie „Tomorrow Never Knows“, […]

  4. […] Let Me Down“ oder „The Ballad Of John And Yoko“ wieder zum Nonsens von Stücken wie „Strawberry Fields Forever“ und „I Am The Walrus“ zurückkehrt. Damit eröffnet er einen Spielraum für eben die […]

  5. […] weg hier, da, „I Want To Hold Your Hand“, „Paperback Writer“, „Yellow Submarine“, „Penny Lane / Strawberry Fields“, „Hello Goodbye“ und „Hey Jude“, rasch, nur lasst mich bitte mit dem heutigen Song […]

  6. […] von John Lennon und Paul McCartney, wie sie bereits anlässlich der Doppel-A-Seite „Penny Lane / Strawberry Fields Forever“ versucht wurde, nun fortgesetzt werden. Nur ließe sich dieser außer dem Hinweis, auch […]

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