Julia HolterEkstasis
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Referenzen:
Laurie Anderson, Michael Pisaro, Julianna Barwick, Ariel Pink, Arthur Russell
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Autor: |
Uli Eulenbruch |
Gut Ding will Weile haben. Wie aus dem Nichts scheint sich die bislang nur wenig bekannte Julia Holter mit gleich zwei herausragenden Alben materialisiert zu haben, doch wie das letztjährige „Tragedy“ ist auch „Ekstasis“ Produkt eines langen Entstehungsprozesses. Es zeigt Holter als den seltenen Glücksfall einer geduldigen Künstlerin, die Songwriting und Soundexperiment zu umwerfendem Effekt zu synthetisieren weiß.
Häufig wirkt dieser Tage der internetbeschleunigte Diskurs nur allzu übereifrig, neue Namen so schnell wie möglich so groß wie möglich aufzublasen, egal, ob die Musik und die Personen dahinter schon bereit für das mediale Scheinwerferlicht sind. Vielleicht war Julia Holter dafür sogar schon 2008 bereit, als sie während ihres Musikstudiums in L.A. ihr erstes Album „Eating The Stars“ herausbrachte. Doch über dessen Lo-Fi-Synthpop hinausgehend war es das unveröffentlichte „Für Felix“, das im selben Jahr noch größeres Potential andeutete. Relativ wenig seitdem verändert, ist es nun das zentrale Stück auf „Ekstasis“ und, nebem dem auch schon seit 2009 kursierenden „In The Same Room“, wohl das überschaubarste.
Schicht um Schicht türmt die gelernte Cellistin auf „Für Felix“ nacheinander gezupfte und gestrichene Saitenmelodie, einen stoischen Drone, gläserne Perkussion, leuchtende Synthesizer und nicht zuletzt ihren eigenen, bemessenen Gesang aufeinander, mantraartig die gleichen Motive mit an- und abebbender Intensität wiederholend, bis gen Ende der Körper des Songs ausgehöhlt wird und sich der verbleibende Rest langsam auflöst. Extremer schwingt „Four Gardens“ nach ähnlich erhabenem Aufbau mittig um. Holters zuvor ätherisch schwebender Gesang rückt zu peitschendem Gated-Reverb-Schlagzeug ominös in den Vordergrund, die Glockenspiel-Melodie verschwindet zugunsten beklemmend umherheulender Stimmen und eines jaulenden Saxophons, das auch dann nicht verstummt, als das Stück zu seinem anfänglichen Klanggefilde zurückkehrt.
Immer wieder nimmt Holters Musik, dem Fluss einer visionären Erzählung gleich, unerwartete Wendungen; vom Körperlichen ins Ätherische und umgekehrt, von ambientem Drone in Popmelodien, karg in opulent – doch nicht unbedingt abrupt. Oft entfalten sich später richtungsweisende Elemente erst, nachdem sie lange Zeit unbeachtet im Hintergrund schwelen, ja gar physisch distanziert klingen. Nicht ganz unähnlich zu Holters experimenteller Performance, bei der die Musik (auch mit Fragmenten aus „Ekstasis“-Songs) live so abgemischt wurde, dass es mitunter klingt, als wären die Beteiligten in unterschiedliche Räume verteilt. Deutlich sind auch Holters frühe Werke mit Field Recordings und Sample-Collagen in ihre beiden jüngsten Alben eingeflossen. So wird beispielsweise das unverständliche Gequassel einer Menschenmenge in „Our Sorrows“ zum belebten Rahmen für sanfte Synth-Harmonien, als würden diese im Unterbewussten und Unbewussten des emotionalen Spektrums wühlen.
Gerne wird ein Album als ein monolithisches Ganzes gesehen, als unverrückbare Einheit, an der man zugleich das Wesen seiner Erschafferin erkennen kann. Dass die Musik auf „Ekstasis“ – das auch auf LP und CD unterschiedlich sequenziert ist – nicht nur im gleichen Zeitraum wie die des fragmentarischeren „Tragedy“ entstand, sondern sich das Stück „Goddess Eyes“ in unterschiedlichen Versionen auf beiden befindet, unterstreicht aber vielmehr die Formbarkeit, die Willkürlichkeit und schiere Freiheit des Schaffensprozesses. Ob griechische Tragödie, klassische Philosophie, eine U-Bahn-Klimaanlage oder ein Kochbuch, für Julia Holter kann nahezu alles in Musik kanalisiert werden. Dass sie ihre Musik nicht in Konzepten ertränkt oder sich allein an Massen improvisierter Heimaufnahmen auslebt, sondern Soundexperiment und Songwriting dort, wo sie am besten angebracht sind, zu gleichermaßen bezauberndem Effekt zu verbinden weiß, kann man nur als Glücksfall für uns alle bezeichnen.
Label: RVNG Intl.
Referenzen: Laurie Anderson, Michael Pisaro, Julianna Barwick, Ariel Pink, Arthur Russell, John Maus, Linda Perhacs
Links: Homepage | Facebook | Label | Albumstream
VÖ: 30.03.2012
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