GrimesVisions
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Referenzen:
Niki & The Dove, Austra, Zola Jesus, Charlie XCX, Laurel Halo
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Autor: |
Natalie Klinger |
Wer sich für Musik interessiert, hat es dieser Tage schwer, sich ihr zu entziehen: Grimes kriecht aus allen Untergrundkanälen des Netzes hervor, okkupiert fremde Blogs und teilt in unzähligen Video-Interviews abstruse Bewusstseinserfahrungen. Dabei ist Claire Boucher keinesfalls neu im Geschäft: Mit „Visions“ veröffentlicht sie bereits ihr viertes Studioalbum. Woher kommt der plötzliche Hype um das lispelnde Mädchen mit der abgedrehten Frisur?
Da ist vor allem das Mystische, das die 23-Jährige Kanadierin trotz ihrer immensen Präsenz umgibt. Wenn sie irgendwie zurecht mit Referenzen à la „You know, like if you took Mariah Carey and Enya and put them together and Black Diced all the percussion and then added some dub-steppy bass” um sich wirft, deutet das an, wie ungenau und leichtfertig es doch wäre, sie einfach in die Experimental-Electronic-Schublade zu schieben. Zudem positioniert sich Claire Boucher sowohl persönlich als auch musikalisch immer klug im aufregenden, ungreifbaren Abseits – und meistert diese Rolle mit Perfektion.
„Visions“ ist Ausdruck dieses erfolgsgekrönten Konzepts. Es ist ein zerrissenes, kopfloses und hemmungslos melodieverliebtes Album, das es geradezu darauf anlegt, alle Arten von abstrusen Assoziationen heraufzubeschwören: Da tanzt Grimes als pinkes Feenwesen auf Helium in rosa Bubbelblase mit sympathisch röhrenden Robotern („Eight“) und verwandelt sich im nächsten Moment mitsamt Regenmacher, Xylophon und Akustikgitarre in eine weise Waldgöttin mit fliegendem Umhang („Know The Way“). Mit streichzarter Kinderstimme lockt sie ihre Anhänger in galaktische Sphären, deren tatsächliche Entfernung zur Realität dank Hall und Schichtungen erahnbar bleibt und doch die Entrückung nur noch mehr vorantreibt. Hier vereinen sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf einem Album, hier verwischen die Bezugspunkte zwischen Dream-Pop, dickbäuchigen Beats, Samples, Songs und säuseligen Leerstellen, die in schlimmen Momenten ein wenig nerven, in den besten jedoch eine majestätische Überlegenheit ausstrahlen. Das Assoziationsspektrum der Songs scheint dabei schier grenzenlos und Grimes damit den Zeitgeist auf den Kopf zu treffen.
Der Wechsel zum Label 4AD (unter anderem Ariel Pink’s Haunted Graffiti, Bon Iver, Deerhunter) markiert auch einen musikalischen Schnitt mit einer nachhaltigen Perspektive. Mit den Singles „Oblivion“ und „Genesis“ knüpft sie an das poppige „Vanessa“ vom Vorgängeralbum „Dark Bloom“ an: Sie stechen aus allzu stark bouncender, harmonischer Experimentierfreudigkeit („Circumambient“) als schmissige Synthie-Hits mit Wiedererkennungswert hervor und erobern schon jetzt die Indie-Floors dieser Welt.
IDM, intelligente Tanzmusik nach Vorbildern wie Autechre und Aphex Twin war immer selbsterklärtes Teilziel von Claire Boucher. Mit „Visions“ geht sie einen wichtigen Schritt in diese Richtung – auch wenn sie mit ihren Synthies eher die 1980er zitiert und sich somit in die aktuell grassierende Flut von ähnlich gelagerten Projekten verortet. Gerade aber ihre immer etwas kindisch umherspringende Stimme, die gerne auch quietschend über die Laptop-Instrumentals fegt und mit weiteren Gesangsspuren Verstecken spielt, ist es, die sie hervorstehen lässt – auch wenn die oftmals inhaltslosen Halbsätze ihrer Texte Angriffsflächen bieten. Gerade aber, weil die vertauschte Welt des „Post-Internets“ – so nennt sie ihre Musik – in seiner Gesamtheit arg bunt wirkt, hat man nie das Gefühl, dass Claire Boucher die Ideen auszugehen scheinen.
So offenbart „Visions“ mit jedem Hören neue Ichs. Bruchstücke, die sich selbst mit größtem Elan nicht zu einem Gesamtbild fügen wollen. Am Ende steht noch viel dringlicher die Frage im Raum: Wer ist diese Claire Boucher? Zumindest: Unheimlich spannend.
Label: 4AD
Referenzen: Niki & The Dove, Sleep ∞ Over, Zola Jesus, Charlie XCX, Laurel Halo, Frankie Rose, How To Dress Well
Links: Homepage | Facebook | Label | Spot
VÖ: 09.03.2012
[…] Generation an Musikern rund um d’Eon (allesamt in ihren 20ern, mit Grimes arbeitete er vielfach zusammen) kennt derlei Trennlinien zwischen virtueller und realer Welt nicht […]
Gefällt mir inzwischen richtig gut, das Album. Haben mich anfangs nur gewisse Ideen wirklich aufhorchen lassen, sind es inzwischen insbesondere die Homogenität und die Stimmung, die begeistern.
[…] die noisepoppigen Fuck Buttons, Dirty Three (mit Warren Ellis und Jim White!), Digitalpop-Queen Grimes, die furiose Ty Segall Band, Drone-Mozart Tim Hecker, Deerhoof, Mono, Beak>, Julianna Barwick, […]
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