Ein gutes Jahr nach der Veröffentlichung des ersten Teils komplettieren Earth ihr knapp 100-minütiges Werk „Angels Of Darkness, Demons Of Light“. Entstanden sind beide Teile allerdings zeitgleich in einer Studiosession im April 2010. Besetzung, Produzent und Umgebung blieben unverändert. Trotzdem bietet der zweite Teil mehr als eine bloße Wiederholung. Er dokumentiert die Ausdifferenzierung in Richtung freierer Strukturen und verschiebt so fast unmerklich die Grenzen des minimalistischen Konzepts. Willkommen im Spätwerk des Dylan Carlson.

Das soll natürlich nicht bedeuten, dass sich die Dinge grundlegend geändert haben. Auch AODDOL 2 vereint Earths seit der stilistischen Neujustierung im Jahre 2005 prägend gewordenen Trademarks: Die stoische Langsamkeit der eigenen Doom-Drone Vergangenheit trifft auf das an Blues, Country, Jazz und klassischen Hardrock geschulte Telecaster-Spiel Carlsons. Die ästhetische Relevanz sicherten sich Earth in den letzten Jahren vor allem dadurch, dass es ihnen gelang, die eruptive Wut und Verzweiflung der frühen Noise-Eskapaden auf subtileren Wegen zu kanalisieren. Besonders „Hex: Or Printing In The Infernal Method“ (2005) und das aus neu arrangierten „Klassikern“ bestehende „Hibernaculum“ (2007) vermitteln noch immer das Gefühl unterschwelligen Unbehagens, das sich aus der Präsenz einer nicht näher zu definierenden Bedrohung zu speisen scheint. Doch dieses Gefühl, das allein auf Carlsons aus dem Metal stammende Vorliebe für Dissonanzen zurückzuführen ist, erscheint zu einfach.

Denn auch auf AODDOL 1 und 2 hört man diese, besonders im Zusammenspiel von Gitarre und Cello. Dabei klingt aber gerade die aktuelle Platte deutlich weniger bedrohlich als alles, was Earth bisher veröffentlichten. Das mag zum Einen darin begründet sein, dass Carlson sich laut eigener Aussage bei den Aufnahmen besonders durch britischen Electric Folk beeinflussen ließ. Weiß man um seine Inspiration durch Musiker wie Bert Jansch und Richard Thompson, ergibt dies zwar durchaus Sinn, die nächstliegendste Assoziation ist sie jedoch nicht – verortete man Earth in jüngster Vergangenheit doch zumeist innerhalb der amerikanischen Popkultur: irgendwo zwischen Morricones Westernsoundtracks, Grateful Dead, Neil Young And Crazy Horse und der durch Country beeinflussten Facette Bill Frisells.

Zum Anderen gerät der improvisatorische Ansatz, der sich bereits durch das den ersten Teil beschließende, über 20 minütige Titelstück ankündigte, auf AODDOL 2 zum zentralen Element. Der Großteil der Stücke entstand „Live“ im Studio und wurde später lediglich mit vereinzelten Overdubs veredelt. In der minimalistischen und im positiven Sinne restriktiven musikalischen Umgebung, in der sich Earth bewegen, verlangt dies von den beteiligten Musikern Einfühlungsvermögen und Aufmerksamkeit. Bezeichnend dafür ist vielleicht, dass erst nach einer guten Viertelstunde der erste Snareschlag von Schlagzeugerin Adrienne Davies zu hören ist.

Die ersten beiden Stücke präsentieren vor allem Gitarre, Lori Goldstons Cello und das Bassspiel Karl Blaus im verhaltenen Austausch. In „Sigil Of Brass“ geleiten langgezogene Cellotöne und Beckenschläge Carlsons Zeitlupen-Arpeggios in sanft anschwellenden Crescendos. „His Teeth Did Brightly Shine“ fußt auf einem repetitiven Bassriff und degradiert Cello und Percussions zu vereinzelt auftretenden Timbre-Tupfern innerhalb einer scheinbar richtungslosen Improvisation aus verzahnten Gitarrenspuren. Hier bleiben große Gesten ausgespart.

„A Waltz (A Multiplicitiy Of Doors)“ und „The Corascene Dog“ zeigen Earth in gewohnter Manier und voll instrumentiert. Schleppend entfalten sich Gitarrenmotive, die von mitunter dissonanten Celloklängen flankiert und ergänzt werden. Goldstone umspielt Carlsons Melodien, erweitert sie zu eigenen Linien und emanzipiert sich in flächigen Läufen kurzzeitig ganz. Subtiler Schrecken weicht hier der Faszination an motivischer Interaktion. Das abschließende „The Rakeshell“ verdeutlicht jedoch am besten den oben erwähnten Wandel. Besonders die erstmalig zum Einsatz kommende Orgel verleiht dieser verhaltend groovenden Southern-Rock-Improvisation psychedelischen Charme und besticht durch eine spröde Lässigkeit, die man im Kontext dieser Band zuvor nicht kannte.

Auch wenn „The Rakeshell“ vielleicht nur ein zufälliges Ergebnis ungeplanten Agierens im Studio ist und in dieser Form einzigartig innerhalb der Banddiskografie bleiben könnte, zeigt es, dass Earth trotz aller Langsamkeit keinesfalls stehen bleiben. Zwar mag der eine oder andere die unverwechselbare Schwere und Bedrohlichkeit innerhalb der Musik missen, wirken Earth auf AODDOL 2 lebendiger und ursprünglicher denn je. Somit ist die erwähnte Nähe zum britischen Folkrock zu aller erst auf Höhe der Metaebene zu suchen. Die „organische“ Natürlichkeit der aus (mehr oder weniger) spontanen Eingebungen erwachsenden Stücke vertraut auf die Intuition und Rücksichtnahme der einzelnen Kollektivmitglieder und beweist bei aller Rückgewandtheit, dass Improvisation in der Rockmusik auch ohne hohe Ereignisdichte spannend sein kann.

76

Label: Southern Lord

Referenzen: Black Sabbath, Grateful Dead, Neil Young And Crazy Horse, Pentangle, Fairport Convention, Sleep

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: 24.02.2012

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