Wenn man das bisherige Schaffen von Mount Washington, ehemals „nur“ Washington, irgendwie auf den Punkt bringen will, würde man der Band mit der Gleichung „Keane plus Americana (bloß in gut)“ zumindest nicht vollständig Unrecht tun. Zu sehr konnte einen vor allem Rune Simonsens klare und herzschmerztriefende Jungmännerstimme an die vielen britischen Gebrauchsmelancholiker der Post-Radiohead-Generation erinnern.

Das soll der Band allerdings gar nicht böse ausgelegt werden, denn wo ihre Kollegen lediglich großflächig Pathos versprühten, brillierten Washington mit vitalem, allerlei Einflüsse atmenden Songwriting, Liveenergie und einer Innerlichkeit, wie man sie gerne mit dunklen Wintern nördlich des Polarkreises – die Norweger stammen ursprünglich aus der Stadt Tromsø im nördlichsten Landesteil – in Verbindung bringt.

Das alles aber soll uns jetzt gar nicht weiter kümmern, denn mit der Umbenennung und dem erneuten Zusammenfinden der Band in Berlin erfolgt auch ein musikalischer Neustart. Von ihrem Faible für fremde Ortsnamen können die drei Bandmitglieder allerdings auch diesmal nicht ganz lassen. Die nach der portugiesischen Hauptstadt benannte Vorabsingle „Lisboa“ überrascht dabei mit einer kaum erwarteten Leichtigkeit, die sich in jangligen Modest-Mouse-Gitarren (Modest Mouse mit Johnny Marr wohlgemerkt) und noch recht zaghaft fiepsender Elektronik ausdrückt. Spätestens der energisch verrauschte Refrain macht dann aber in jedem Fall Lust auf mehr. Dieses „mehr“ besteht auf dem Album „Mount Washington“ nun darin, dass sich die Band ganz offensichtlich von der bekanntermaßen eher elektronischen Musik ihrer neuen Heimatstadt beinflussen ließ, dieses Neue aber völlig eigentümlich in ihren Soundentwurf einarbeitete. Denn beide Welten prallen hier alles andere als konfliktfrei aufeinander.

„Elektronik“ bedeutet bei Mount Washington zunächst einmal weniger feingliedrige und knuffige Indietronica, sondern vielmehr klapprige Drummachine-Beats und das ungestüme Surren und Rauschen altertümlicher Synthesizer. Diese brechen die kühle Melancholie der Band auf wie Sonnenstrahlen die winterliche Eiseskälte und eröffnen so zahlreiche neue Möglichkeiten, die zum elegant-träumerischen Songwriting und allen voran Rune Simonsens immer noch jugendlich romantischem Gesang in herrlichem Kontrast stehen. Manchmal wirkt es regelrecht grobschlächtig, wenn kühl-minimalistische Beats die Songs hier wie ungewollte Stromschläge durchzucken und übersteuert wirkende Synths dem Album einen fast schon noisigen Touch verleihen. Gleichzeitig sind es genau diese Elemente, die „Mount Washington“ immer unter Spannung stehen lassen und der Band ein bisher ungeahntes Bisschen Wahnsinn angedeihen lassen, das ihr gut zu Gesicht steht.

Warum das Album gelegentlich trotzdem eher als Brise aus den Laptopboxen anstelle des potenziellen, nordischen Orkantiefs rüberkommt, liegt allerdings an der – Entschuldigung, soll das so sein? – enttäuschend flachen Produktion, für die sich unter anderem ausgerechnet Broken Social Scenes Hausproduzent David Newfeld veranwortlich zeichnet. Ob mit dieser Überkomprimierung nun dem heimatlichem Black Metal oder einer sonstwie gearteten Lo-Fi-Tradition die Ehre erwiesen werden sollte, können wohl nur die Verantwortlichen selbst beantworten. Fest steht jedenfalls, dass das blecherne Endprodukt dem kraftvollen Twist dieser mit einigem Potenzial ausgestatteten Platte in keiner Weise gerecht wird. Dennoch oder gerade deswegen: Die Stärken liegen hier unter den vordergründigen Unzulänglichkeiten und genau das ist es, was „Mount Washington“ letztendlich doch liebenswert macht.

65

Label: Glitterhouse

Referenzen: Kashmir, Editors, A-ha, Doves, Coldplay, Elbow, The Antlers, Wild Beasts

Links: Homepage | MySpace | Soundcloud

VÖ: 17.02.2012

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