Der Liedschatten (57): Peinigender Konsens

The Beatles: “Yellow Submarine”, September – Oktober 1966
Irgendwie mögen, so scheint es, nicht nur Fans der Beatles die Band, sondern alle – wovon natürlich die ausgeschlossen seien, denen die Gruppe nichts bedeutet. Und wenn, von eben diesen einmal abgesehen, alle die Beatles mögen, so besagt das ja noch lange nicht, die Menge „alle“ sei gleich der Menge „Fans“.
Diese können gänzlich unterschiedliche Hintergründe besitzen. Verbrachte jemand seine Jugend in den 60ern, so war er oder sie womöglich ein Fan der Band, ohne jemals ein Album besessen zu haben. Vielleicht reichten ein Konzertbesuch, ein paar Singles, die Artikel in der „BRAVO“ oder auch nur die Begeisterung der anderen in Verbindung mit dem Gefühl, dass um die Band, mit der Band irgendetwas los sei aus, um einen starken persönlichen Bezug herzustellen. Da mag ein später geborener Mensch auch alle Alben der Beatles besitzen, sich an B-Seiten delektieren und Menschen, die „Yesterday“ und „Let It Be“ für die einzigartigen Großtaten der Band halten, etwas scheel betrachten, den zeitgenössischen Fan wird das nicht stören. Immerhin hat er die mit der Gruppe geteilte Vergangenheit gemein, und damit etwas, das auch ihn auf andere Fans (sicher mit Wohlwollen) herabblicken lassen könnte.
Dann aber gibt es auch noch diejenigen, durch deren Wertschätzung die Menge der Fans bis hin zum vermeintlichen „alle“ aufgestockt wird, und zwar mithilfe eines ollen Status quo, der da lautet „Beatles sind toll! Yesterday und so!“. Denn die meisten Menschen fühlen sich recht gut, wenn sie dem ollen Status quo zu entsprechen vermögen, und mehr braucht es ja auch nicht. Dann gibt es nämlich Bestätigung von allen Seiten, es soll niemand sagen können, er sei undankbar, der olle Status quo. Er weiß zu belohnen, und, siehe, gleich einer Herde Ziegen vom Berge Karmel ergießt sich sein Wohlwollen über die, die da am Keyboard sitzen und „Let It Be“ zu spielen wissen. Die aber, deren Herzen sich in einsamer Belustigung ob der Kenntnis solcher Kleinode wie „You Know My Name (Look Up The Number)“ über andere zu erheben trachten, seien gezeichnet als besserwisserische Grummelbolde, die sich nicht zu freuen vermögen, wenn alle anderen sich freuen.
Und diese Menschen? Was tun sie dann? Entwickeln einen berechtigten Dünkel. Der gibt ihnen dann Sätze wie „Ach, ‚Yellow Submarine‘ jaja, nett, aber totgespielt, kann’s nicht mehr hören“ ein, Anzeichen einer schambedingten Verbitterung, die eine jegliche berechtigte Freude am Gesamtwerk der Beatles schmälert.
Man stelle sich einmal Folgendes vor: ein junger Mensch sitzt daheim, legt das grandiose Album „Revolver“ auf und die bei Stücken wie „I’m Only Sleeping“, „Eleanor Rigby“ (als zweite A-Seite auf der Single „Yellow Submarine“ enthalten und einen eigenen Artikel wert), „Here, There And Everywhere“ und „Love You To“ aufgekommene Ehrfurcht erfährt bei Lied Nummer Sechs, „Yellow Submarine“, einen schmerzhaften Dämpfer. Die peinigende Erinnerung an Musikunterricht, Fußballchöre und Oldieradios veranlasst ihn dazu, das Lied zu überspringen. Wie unerfreulich das ist! Wie traurig wird da der Fan, und all das nur, weil den Menschen nun einmal nichts anderes zu seinen Helden einfällt als „Beatles in Liverpool ist wie Goethe in Weimar“ und „Sie nicht zu mögen ist ungefähr so pervers, wie die Sonne nicht zu mögen“ (ebenda und selten dämlich). Dann ist er den wenigen, die offen sagen, sie könnten die Beatles nicht leiden, dankbar, halten sie ihn doch zu einem Widerspruch an, durch den die Größe selbst vermeintlicher Banalitäten wieder deutlich wird.
Besser als sein guter Ruf: Yellow Submarine
„Yellow Submarine“ zum Beispiel ist mehr als nur ein Song, es ist ein Hörspiel in Miniatur. Sicher kein aufregendes Hörspiel, um genau zu sein fehlt in Abwesenheit einer Handlung jeglicher inhaltliche Spannungsbogen. Auf einen solchen ist für Kinder gedachte Kunst ja aber auch nicht angewiesen, und ein Kinderlied sollte es laut McCartney von Anfang an sein, mehr nicht.
Die Umsetzung seiner Idee geht weit über das Intonieren eines solchen hinaus, vor allem die zahlreichen akustischen Spielereien verbinden die einzelnen Strophen mitsamt Refrains zur musikalischen Variante eines Wimmelbilderbuches. Es gibt einen Rahmen, ein Szenario, das hier bestimmt wird durch ein gelbes Unterseeboot, in dem sich alle namentlich nicht genannten Freunde befinden. Dazu kommen noch ein blauer Himmel und die grüne See. Bis auf die Freunde lässt sich das Genannte als großflächige, weite und freie Kulisse vorstellen. Das Zusammenspiel der Farben schafft damit einen nicht allzu abstrakten Hintergrund, vor dem sich abspielt, was im Lied zu hören ist.
Was das sein könnte, sagen – wenn auch sehr, sehr vage – zum einen der Text, zum anderen eben erwähnte Effekte. Bleiben wir erst einmal beim Text. In diesem ist unter anderem wunderhübsch verspielt die Rede davon, dass „we live a life of ease / everyone of us has all we need“, also ein Wohlleben geführt wird, in dem jeder habe, was er brauche und somit also, das impliziert diese Verfügbarkeit, auch machen könne, was er wolle, um ein Wohlleben zu führen. „Everyone“ ist der Erzähler mitsamt sämtlichen Freunden, obendrauf gibt es noch eine Band. Somit scheint in Erfüllung des „alles für alle“ nicht weniger als „alles“ möglich.
Was das zum Beispiel sein könnte, deuten die im Stück untergebrachten Geräusche an. Gemäß dem Vorhaben, ein Kinderlied zu schreiben, orientieren sie sich dabei nicht an zum Beispiel arg Psychedelischem wie dem Brauen von Zaubertränken mit Delfinen, während Seeschlangen das Rezept in atlantischer Sprache deklamieren, sondern dem Spiel von Kindern.
Wiederum folgerichtig rauschen deshalb nicht nur die Wellen und eine Band musiziert, ist nicht nur für „ease“ gesorgt. Es gibt, wie es sich für ein ordentliches (Rollen-)Spiel gehört, viel zu tun. Da wird an Rädern gedreht, Ventile zischen, Ketten rasseln, Hämmer klopfen und Glocken klingen. Dabei kann es auch einmal abenteuerlich zugehen, so muss anscheinend ein Feuer gelöscht werden; unklar aber ist, weshalb es wo ausbrach.
Das Tagwerk an Bord also besteht aus dem angeregten Bedienen von allerlei Gerätschaften, die Töne von sich geben und deren Funktion nicht näher bestimmt ist. So ungefähr muss es auch auf Kinder wirken, wenn Erwachsene zum Beispiel einen Bus steuern, Handgriff, Geräusch und etwas passiert, weshalb, braucht nicht man nicht zu wissen um es nachzuahmen. Und nach dem Verrichten des Undurchdringlichen scheint man sich – wie das Klingen von Gläser, Klappern mit Geschirr, Reden, Lachen und nicht zuletzt das Sample der Bläser erkennen lassen – sehr ungezwungen und formlos zusammenzufinden. Kein Wunder, befinden sich doch alle unter Freunden.
Das Angenehme dabei ist: all das ist eine Möglichkeit. Vielleicht findet die Party auch an Deck statt, während im Boot selbst sich eine große Küche befindet und die sich darin abspielende Wuselei im Stück zu hören ist. Erfahren werden wir es nicht. Auch was welches Geräusch darstellt bleibt ebenso unbekannt wie seine genaue Herkunft. Der Möglichkeiten sind viele, weitaus mehr als Ringo Starr, der Sänger des Stückes, mit seinem geringen Tonumfang hinsichtlich der gesanglichen Gestaltung besaß.
Das machten sich die Produzenten des vierten Films der Beatles, „Yellow Submarine“, zunutze, der sich – anders als das ursprüngliche Lied – auch an ein älteres Publikum wendete. Aus der Weigerung der Band, noch einmal die Strapazen eines Filmdrehs auf sich zu nehmen, entstand der bis auf die Schlußsequenz ausschließlich aus Animationen bestehende Film rund um Lieder aus den Jahren ’65 bis ’67, teils bekannt, teils neu. Das titelgebende Stück sowie das 1967 veröffentlichte Album „Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band“ und die Beatles selbst boten Rahmen und Personal einer eher simplen Geschichte.
Nichtsdestotrotz ist der Film nicht nur wegen der Songs, die fast immer in Form von in sich geschlossenen Clips präsentiert werden, sondern auch des psychedlisch-poppigen Stils seiner Zeichnung und einem angenehm albernen Wortwitz zumindest im Originalton uneingeschränkt empfehlenswert.
Die zweite A-Seite zu „Yellow Submarine“ und am Anfang des gleichnamigen Films zu hören: „Eleanor Rigby“
Bilder: United Artists
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