Mit dem letzten Album schärften Kettcar den Blick für das große Ganze. Die Songs auf „Sylt“ trugen gesellschaftskritische Titel wie „Geringfügig, Befristet, Raus“ oder „Kein Außen Mehr“ und kotzten dem Turbokapitalismus mal so richtig vor die lackbeschuhten Füße. Kettcar waren unzufrieden, so unzufrieden wie einst als …But Alive.

Nun erscheint das vierte Album, „Zwischen Den Runden“, und es wird sich wieder übergeben. Allerdings im Privaten, richtig romantisch mit Haare halten und dem ganzen Brimborium, das sich so trivial „Liebe“ nennt, aber alles bedeutet. Die Wut ist offensichtlich weg, die Akustikgitarren auf Anschlag. Zwölfmal im Taxi weinen. Nur: Wer zahlt die ganzen Taschentücher?

Sicherlich werden Kettcar für die neue alte Befindlichkeit kritisiert, doch das machte die Band ja stets aus. Die schonungslose Innenperspektive, der „stream of consciousness“, der für den einen oder anderen Hörer unangenehm persönlich daherkommt. Auf „Zwischen Den Runden“ gehen Kettcar diesbezüglich weiter ins Extrem. Mit Neu-Drummer Christian Hake, der Frank Tirado-Rosales ersetzt, schlagen Kettcar einen deutlich ruhigeren Weg ein. Die elektronischen Sperenzchen, die noch zuletzt auf „Sylt“ zu hören waren, wurden subtrahiert. Hinzu kommt dafür das ganz große Gefühl, egal ob Liebe, Tod oder Lebenskrise. Vielleicht ist diese Platte auch das Sven-Regener-Album, das Kettcar immer mal machen wollten. Manche Stücke gemahnen jedenfalls an den Bremer Poeten und Brummbären. So ist „In Deinen Armen“ beispielsweise ein sehr referentielles Stück, gerichtet an all die Eigenheimbesitzer und Nido-Abonnenten, die langsam ins Zweifeln geraten, ob es das gewesen sein soll.

Mit dem fantastischen Opener „Rettung“ gelingt Kettcar vielleicht sogar der beste Song seit dem meisterhaften Debütalbum „Du Und Wieviel Von Deinen Freunden“. Wie eingangs erwähnt, thematisiert das Stück die etwas anderen Seiten der Liebe, wenn man den eigenen Partner eben auch mal zerknautscht, verzockt und derangiert erlebt. Eine Absage an das ewige Warten auf Mr. oder Mrs. Perfect. Vielleicht. Doch auch die dunkle Seite des Gefühlsspektrums, der leidige Verlust liebgewonnener Personen, spielt eine Rolle. Im abschließenden „Zurück Aus Ohlsdorf“ wird einem Jugendfreund die letzte Ehre erwiesen und es wird unheimlich bitter, weil man merkt, dass man selbst auch immer ein bisschen stirbt. Den Quatsch mit weißen Lilien machen wir trotzdem nicht mit.

„Zwischen Den Runden“ bietet sehr viel Introspektion, fordert dafür auch ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit und Aufrichtigkeit ein. Freilich, es gibt Musik, die bequemer ist, weil sie sich eben nicht neben Dich auf die Couch setzt und Deine Hand hält. All diejenigen, die damit kein Problem haben, können sich vom vierten Kettcar-Album also mal so richtig drücken lassen. Ein bisschen mehr Wärme ist in Zeiten von Rösler, Bahr und Westerwelle doch auch angebracht.

73

Label: Grand Hotel van Cleef

Referenzen: Element Of Crime, Tomte, Jupiter Jones, Jochen Distelmeyer, Heinz Rudolf Kunze

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VÖ: 10.02.2012

Kettcar – Im Club

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