CTM.12: Spectral / Transmediale: in/compatible


Gestern abend gingen in Berlin die Festivals „Transmediale“ und der „Club Transmediale“ (CTM) zu Ende. Einst als Zusatzveranstaltung zur Berlinale gegründet, haben sich beide Veranstaltungsreihen inzwischen zu bedeutenden Fixpunkten in der winterlichen Festivallandschaft Deutschlands entwickelt. Auch in diesem Jahr wurde dieser Status in beeindruckender Manier manifestiert.

Im Untertitel nennt sich der CTM „Festival for Adventurous Music & Related Arts“ und gibt somit schon mal eine ziemlich ungenaue musikalische Richtung vor. „Spectral“ war das zusätzliche Motto der diesjährigen, dreizehnten Ausgabe: Musik, so vielfältig wie die Farben dieser Welt, könnte man assoziieren. Und es war tatsächlich beeindruckend, wie facettenreich und schillernd die Auswahl an hochkarätigen Acts in diesem Jahr wieder einmal war. Gewidmet war das Festival dabei besonders der gegenwärtigen Konjunktur des Geisterhaften, Mysteriösen und Dunklen in der experimentellen Musik unserer Zeit.

Das Line-Up setzte sich dabei aus etlichen Koryphäen der elektronischen Musik wie Manuel Göttsching, Conrad Schnitzler, Hans-Joachim Roedelius oder Eliane Radigue, und derzeit erfolgreichen Elektronikacts wie Kuedo, Hudson Mohawke oder Balam Acab zusammen. Der Fokus richtete sich allerdings ganz besonders auf die gegenwärtig vielleicht prominentesten Vertreter experimenteller Avantgardemusik – zum Beispiel James Ferraro, Oneohtrix Point Never oder Tim Hecker. In Anbetracht dieser enormen Oneohtrix Point Never – Sleep Dealer
qualitativen Dichte war es umso bedauerlicher, nicht einmal annähernd allen Veranstaltungen beizuwohnen zu können, da diese sich parallel auf insgesamt zehn verschiedene Orte verteilten.

Kaum eine Möglichkeit der Auseinandersetzung mit dem thematisch Auserwählten wurde dabei ausgelassen, sodass das reine Musikprogramm zusätzlich um zahlreiche Workshops, Installationen, Ausstellungen, Performances, Filmvorführungen oder Diskussionsrunden ergänzt wurde. Eines jener interdisziplinären Highlights war beispielsweise das vom britischen Wire-Magazin veranstaltete Gespräch zwischen James Ferraro und Daniel Lopatin (aka Oneohtrix Point Never). Beide hatten im zurückliegenden Kalenderjahr zwei der spannendsten Popentwürfe seit langem vorgelegt und diskutierten nun unter dem Motto „Post Traumatic Euphoria“ über ihre jeweilige Arbeitsweise, über Inspirationsquellen und ihr Verhältnis zur Vergangenheit.

Am Folgetag sollten beide Künstler noch ein weiteres mal die Bühnen des CTM betreten: James Ferraro bekam dabei die Chance, sich in der intimen Kantine des Berghain auszutoben. Wer an seinem letztem Album „Far Side Virtual“ aber besonders den überbordenden Ideenreichtum geschätzt hatte, der dürfte von dem 30-minütigen Auftritt Ferraros ziemlich enttäuscht gewesen sein. Stunden zuvor war es Oneohtrix Point Never noch mit Leichtigkeit gelungen, das vollbesetzte Auditorium des „Haus der Kulturen der Welt“ für sich einzunehmen. Als Weltpremiere angekündigt, bekam man ebenso Stücke vom famosen „Replica“ wie auch neues Material des New Yorkers zu hören. Lopatin stellte dabei einmal mehr seine Kompromisslosigkeit unter Beweis, sodass bereits zu Beginn dieses großartigen Konzertes etliche Gäste ihre Plätze wieder räumten.

Garniert wurde der Auftritt Lopatins im Übrigen von der Joshua Light Show des New Yorker Fillmore Theatre, die sich auch für die Beleuchtung der Konzerte Manuel Göttschings und Supersilents verantwortlich gezeigt hatten. Besonders die norwegischen Minimalisten begeisterten mit Unterstützung des Gitarristen Stian Westerhus und brannten ein Feuerwerk der Spielarten des Jazz, dieses heutigen musikalischen Problemkindes, ab: mal dezent verspielt, in der Regel aber laut und sprühend vor Ideenreichtum und elektronischen Experimenten gehörte dieser Auftritt definitiv zu den musikalischen Highlights dieses 7-tägigen Veranstaltungsmarathons. Durch die Kombination von Cut Hands – Stabbers Conspiracyausufernden Arrangements und bildgewaltigen, ätherischen Projektionen der Joshua Light Show fühlte man sich nicht selten an die letzten Auftritte von Animal Collective erinnert.

Überboten wurde diese Kombination von visueller und auditiver Performance an diesem Abend nur noch von dem mitreißenden Auftritt von Cut Hands in der Kantine des Berghain. Während sich die Masse auf der Tanzfläche zu den polyrhythmischen Klängen in Trance tanzte, liefen im Hintergrund unentwegt kolonial eingefärbte Schwarzweißvideos ritueller Schlachtungen und afrikanischer Tänze. Ebenso wie die perkussive Elektronik entwickelten diese Videos eine schier unglaubliche, verstörende Sogwirkung auf ihre Betrachter. Dabei waren längst nicht alle Künstler in der Lage, die Möglichkeiten dieses Begleitmediums derart effektiv auszuschöpfen, wie William Bennett es hier mit seinem neuesten Soloprojekt vermochte.

Mohn – Ebertplatz 2020

Auch Mohn ließen diese Erwartungen mit ihren blaustichigen, negativgefilterten Aufnahmen von städtischen Parklandschaften unerfüllt. Musikalisch konnte das neue Projekt von Wolfgang Voigt (GAS) und Jörg Burger (The Modernist) bei seiner Weltpremiere am Donnerstag allerdings auf ganzer Linie überzeugen, bevor im Anschluss der langersehnte Tri-Angle-Showcase mit anschließendem DJ-Set von Kuedo folgte. Leider vermochten jedoch weder das etwas zu prollige Set des britischen Produzenten, noch die entzückenden Witchhouse-Duos von oOoOO oder Balam Acab Begeisterungsstürme beim Publikum auszulösen. Heimlicher Gewinner dieses Abends war daher letztlich das Holy Other – Touch
nebulöse Soloprojekt namens Holy Other. Im Vergleich zu den anderen Künstlern, stand dessen druckvoller, mysteriöser Auftritt seiner bisher veröffentlichten EP in nichts nach.

Die Krönung dieser Festivalwoche erfolgte jedoch erst mit dem Konzert Tim Heckers, der in der Kreuzberger Passionskirche sein letztjähriges Album „Ravedeath, 1972“ aufführte. Ursprünglich aufgenommen worden war dieses in einer Kirche im isländischen Reykjavik und so war es nur folgerichtig, dass Hecker selbst, auf der Empore versteckt, bei fast vollkommener Dunkelheit die Kirchenorgel spielte und deren sonst so saubere Klänge bis zur Unendlichkeit verfremdete. Das Konzert glich am Ende eher einer Naturgewalt als Tim Hecker – Hatred Of Music Idem klassischen Verständnis von Musik und wurde im positivsten aller Sinne zu einer wahren körperlichen Belastungsprobe, der sich keiner der Anwesenden auch nur annähernd entziehen konnte.

Durch derart einzigartige Kombinationen außergewöhnlicher Räumlichkeiten und Künstler entstanden während dieser beiden Festivals äußerst originelle und unverwechselbare Synergien, welche den „Club Transmediale“ und die „Transmediale“ in der klirrenden Kälte des deutschen Festivalwinters isolieren und so unglaublich wertvoll machen. Eine derart inspirierende, medienübergreifende Plattform für zeitgenössische Popkultur und -kunst ist selbst in einem Ballungszentrum wie Berlin die absolute Ausnahme. Bedenkt man, dass man trotz allem Bemühen eine Vielzahl der Veranstaltungen verpasst hat, muss man schlicht räsonieren, dass im Gegensatz zur menschlichen Kreativität seiner Auffassungsgabe geradezu lachhafte Grenzen gesetzt sind – davon kann sich spätestens im Januar 2013 jeder in Berlin wieder selbst überzeugen.

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