Der Liedschatten (54): Glaubenssache?


The Beach Boys “Sloop John B”, Juni – Juli 1966

Heute wie auch schon vor zwei Wochen dürfen wir uns gemeinsam über ein äußerst gutes, mit Sicherheit bekanntes Stück freuen. Wobei, so wirklich Verlass ist auf die Bekanntheit ja nicht, was nun aber nicht als Anlass zu irgendwelchen kulturpessimistischen, selbstgefälligen Augenrollereien dienen soll, sondern einfach festgestellt wird.

Da unterhielt ich mich neulich doch mit einem jungen, soeben mit Hochschulreife versehenen Menschen über Musik. Aus irgendeinem Grund erwähnte ich dabei das höchst gelungene, ob seiner Großartigkeit beinahe als geradezu moralische Instanz überstrapazierte Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ der Beatles. Darauf eingehen wollte ich gar nicht, der Name fiel mit Kenntnis erwartender Beiläufigkeit. Mein Gegenüber aber zeigte ein fragendes Gesicht. Der Kanon mag also da sein, er steht, aber nicht in den Köpfen, sondern auf einem anderen Blatt. Und auf dem befinden sich vielleicht auch die Beach Boys mit „Sloop John B“.

Bei näherer Betrachtung entspringt die Idee des „Jeder kennt den / das Song / Album“ eh nur den Köpfen Musikliebender, deren popmusikalisches Wissen vor allem durch einen auf Überlieferung basierenden Konsens geformt wurde. Und um diesen kümmern sich, mal abgesehen von Printmedien in Form von Büchern und Musikmagazinen und ihren Lesern, recht wenige. Auf diesen basierende Empfehlungen mochten einst tatsächlich eine große Hilfe für Sammelwillige gewesen sein, konnte mit einem meist begrenzten Budget doch nur eine überschaubare Anzahl von Platten erworben werden. Mittlerweile aber ist so viel Musik in Form von Streams und Downloads verfügbar, dass monetäre Probleme zumindest dann keine Rolle mehr spielen, wenn kein Wert auf Haptik und Legalität gelegt wird.

Wie funktioniert die Auswahl in solch einem Fall? Vielleicht anhand von persönlichen Vorlieben oder Anlässen (Party, Autofahrt, Beischlaf, Sport, Playlist für den Weg zur Arbeit), am Ende gar nach dem simplen Prinzip der Verfügbarkeit. Wie auch immer der jeweilige Weg zur Musik aussieht, es lässt sich davon ausgehen, dass Listen wie „500 Greatest Albums Of All Time“ nicht zwangsläufig als Autorität durchgehen, der Automatismus des „das sind Journalisten, die kennen mehr als ich und sich somit aus, bei denen mache ich mich schlau“ nicht mehr greift.

The Beach Boys: Einer der Herren hatte mehr als schlichte Liedchen im Sinn. Das ergab leider bloß ein Verhältnis von 1:4.

„Sloop John B“, der heutige Song, befindet sich auf einem der listigsten (Entschuldigung) Alben überhaupt, das jenseits etablierter Musikaufbereitungen vielleicht gerade deshalb viel zu selten Erwähnung findet: bboys_sloop„Pet Sounds“. Wenn schon Paul McCartney über die Platte von 1966 sagt „It was Pet Sounds that blew me out of the water. I love the album so much. I’ve just bought my kids each a copy of it for their education in life… I figure no one is educated musically ‚til they’ve heard that album“, dann, ja was dann? Schwer zu sagen. Wer das Album kennt, weiß, warum eine solche Lobhudelei angebracht ist. Sollte es jemand noch nicht kennen, in etwa, weil es ja auch nerven kann, dies und jenes als das Beste gepredigt zu bekommen und es deswegen erst einmal außer acht gelassen wird, dann lassen sich nun schwer Worte finden. Denn diese basieren auf einem Konsens, dem sich nur anzuschließen vermag, wer das Album bereits hörte. Dann aber lauten diese seltsam ähnlich, siehe hier  und hier  und dort und dann noch da  und hier.

Sicher, mit „God Only Knows“ befindet sich auf „Pet Sounds“ nicht nur der, und auch hier sind Listenkenner sich einig, womöglich beste Song überhaupt, sondern einfach ein, und das lässt sich schwerlich leugnen, grandioses Liebeslied mit sehr gelungenen Text. „I may not always love you / But long as there are stars above you (…) And God only knows what I’d be without you / If you should ever leave me / Life would still go on, believe me / The world could show nothing to me / So what good would living do me? / God only knows what I’d be without you“, das ist einfach und geschickt, verblendete und lebensnahe Verliebtheit.

Auch für Ungläubige eine Offenbarung: „God Only Knows“

Ein Song macht nun aber kein Album, vor allen Dingen nicht eines DER Alben überhaupt. Hierbei schwierig: Fans geraten allein bei Ansicht der Tracklist aus dem Häuschen, allen anderen sei nur noch gesagt, dass diese Begeisterung nur schwer zu verstehen ist, wenn von den Beach Boys nichts anderes als catchy Liedchen im Sinne des Kalifornien- und Surfklischees erwartet werden. Von dem nämlich wandte sich die Band durch Brian Wilson gewissermaßen gezwungen (sie waren auf Tour, er werkelte nach Gutdünken im Studio und stellte die Band vor vollendete Tatsachen) mit „Pet Sounds“ ab, um mehr als nur nette Hits zu produzieren, nämlich ein Album als stimmiges Kunstwerk mit zumindest musikalischer Tiefe. Für letztere waren, bis auf den Gesang, Sessionmusiker der Wrecking Crew zuständig, teilweise dieselben wie auch schon bei Nancy Sinatras „These Boots Are Made For Walkin‘“ und vielen anderen an dieser Stelle aufgezählten Hits.

Bitte wartet nun mit dem „Aha, nicht einmal selbst gespielt haben sie!“ einen kleinen Moment, es kommt noch besser: „Sloop John B“ haben sie nicht einmal geschrieben, das ist nämlich ein Traditional von den Bahamas. Unter Titeln wie „Wreck Of The John B“ (The Weavers, Kingston Trio, Jimmy Rogers) oder auch „I Wanna Go Home“ (Johnny Cash) existierten bereits vor den Beach Boys zahlreiche Aufnahmen. Die Story handelte trotz diverser Variationen immer von der unglücklichen Fahrt der John B, einer kleinen Schaluppe, auf der ein durch Trunkenheit ausgelöster Streit entbrennt, eine eher traurige, wenn auch alberne Geschichte also.

Seine Herkunft merkt man dem Song allerdings nicht an. Auf folkloristische Elemente wurde verzichtet, er lebt vom gleichenen opulenten Sound wie das restliche „Pet Sounds“. Glockenspiel, Saxophon, Hörner, Klarinette, Orgel, Flöte, Bass und drei Gitarren, so etwas hat ein Folksong, und obendrein noch ein Shanty, an sich nicht zu bieten. Allerdings werden solche ja auch selten von einem Produzenten wie Brian Wilson arrangiert, dessen Ambitionen durch die Beatles angestachelt weit über das hinaus gingen, was Labels, Hörer und auch seine Bandmitglieder unter einer Musikgruppe vorstellen konnten und wollten. Nichtsdestotrotz wurde „Sloop John B“, anders als das Album „Pet Sounds“, ein internationaler Hit.

Brian Wilson ließ sich durch den ausbleibenden Erfolg der LP nicht entmutigen und legte das geplante Nachfolgeralbum „SMiLE“ noch größer an. Was genau diese „teenage symphony to god“ einmal werden sollte, wissen wohl nur dieser Gott und er, denn die Sessions zu „SMiLE“ konnten aufgrund Widerstands innerhalb der Band und persönlicher Probleme Wilsons nicht abgeschlossen werden. Übrig sind nur die gewissermaßen „posthumen“ Alben „Brian Wilson presents SMiLE“ und „The SMiLE Sessions“, wobei besonders letzteres nicht nur für Fans und Sammler interessant sein dürfte.

 

Auf einmal sind alle voll des Lobes: Die Überreste der „SMiLE“-Sessions müssen beworben werden. Und sind tatsächlich sehr gut.

2 Kommentare zu “Der Liedschatten (54): Glaubenssache?”

  1. […] sein, simpel ist er nicht. Immerhin spielten ihn Mitglieder der Wrecking Crew (denen wir bei den Beach Boys und Frank Sinatra schon einmal begegnet sind) ein, unter anderem die Bassistin Carol Kaye, die zu […]

  2. […] wie auch The Mamas & The Papas, unter anderem Hal Blaine von der Wrecking Crew (siehe Beach Boys, Lee Hazlewood, Monkees und weitere) zurückgreifen. Er selbst war ein begnadeter Sänger mit […]

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