Wenn es eine musikalische Stilecke gibt, in welcher der Unterschied zwischen Musik auf Major Labels und Indies gen Null tendiert, dann ist das wohl Electro-Pop. Zumindest jene Veröffentlichungen, die dem Genresuffix treu auf eine breite Rezeption aus sind, unterlassen Experimente: Im Vordergrund stehen Songwriting und Produktion. Letztere ist, besonders in den letzten Jahren, auch in Heimarbeit erstaunlich nahe ans Radio-Niveau gekommen.

Das hört man zum Beispiel beim schwedischen Label Labrador. Seit über einem Jahrzehnt ist dies vor allem Aushängeschild für süß-melancholischen Indiepop mit Gitarrenfokus. Doch auch das Debütalbum des Stockholmer Duos The Sound Of Arrows sollte ursprünglich, wie auch seine ersten Singles, auf Labrador erscheinen – bis die beiden von der Universal-Tochter Geffen gesignt wurden. Unglücklich: Das Label wurde 2011 dicht gemacht und „Voyage“ wurde nun, mit einer wahren Irrfahrt hinter sich, letztendlich in Eigenregie ohne großes Aufsehen veröffentlicht.

Was schade ist. Denn auch wenn der Sound, u.a. in Zusammenarbeit mit Madonna-Produzent Richard X, eine glanzvoll kommerzielle Politur erhalten hat, ist das Album eine gelungen kohärente Gesamtfertigung, anstatt der oft so enttäuschend mit Füllmaterial aufgeplusterten 2-3 Singles. Stücke wie das einzelgängerische „My Shadow“ bieten Kontraste zur eskapistischen Farbexplosion von „M.A.G.I.C.“ oder „Into The Clouds“; gerade in seinen emotional wankenden Momenten erinnert das Duo dabei ein gutes Stück an die Pet Shop Boys. Denn wie Neil Tennants ist auch die Stimme von Stefan Storm keine imposante, oft ist sie wie in „Longest Ever Dream“ bloß einschmiegsames Hauchsprechen, sie bildet zugleich stimmige Untermauerung der verträumten Synth-Bänke und einen Kontrast zu den wuchtigen Italo-Beats.

Zwischen der offensichtlichen Liebe der beiden für überbordernd farbintensive Fantasy-Grafiken und ihren intim kameradschaftlichen bis homoerotischen Kuschelposen auf Fotos funktionieren auch die Texte oft doppeldeutig: Martialisch geladene Zeilen wie „The city had fallen, the sky was gold / The war was almost over / A new tomorrow, let’s watch it unfold / Yeah, I wanted to breathe life into this / A chance that I almost missed / When letting my guard down, I was struck by a blow“ in „Conquest“ lassen sich als Metapher für einen persönlichen inneren Kampf oder als realitätsfremder Eskapismus lesen, wie man ihn sonst eher bei (auch nicht von Subtexten freien) Fantasy-Metallern findet. Eine Grenze zwischen Romantik und Männerfreundschaft erscheint kaum erkennbar, doch um große Gefühle zu erwecken brauchen The Sound of Arrows ohnehin keine Worte: Das finale „Lost City“ gleitet wortlos majestätisch dahin, auf dem Rücken eines sanft umhauchten Riffs, das sich über einen ganzen Horizont zu erstrecken vermag.

Label: Skies Above

Referenzen: Pet Shop Boys, Vangelis, Goldfrapp, M83, Wolfram, Hurts

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VÖ: 20.01.2012

Auch bei Chairlift scheint die Klassifizierung als Indie- oder Major-Band sinnlos – je nachdem, ob man ihr zweites Album „Something“ im UK via Young Turks oder im Rest der Welt via Columbia erwirbt, sind sie beides. Ordinär in keinem Fall. Nachdem ihr ödes Debüt „Does You Inspire You“ einzig durch eine Werbespot-Platzierung herausragte, ist „Something“ geradezu ein qualitativer Quantensprung.

Als wäre es mit dem Abgang von Gitarrist und Mit-Sänger Aaron Pfenning einhergegangen, zeigen sich die zum Duo reduzierten Chairlift bemerkenswert abgeklärt und fokussiert. Nicht nur konzentrieren sich ihre Arrangements auf klar ausgeformte Instrumentalmelodien und Rhythmen, scharf umrissen ist vor allem der vormals so verwässerte Gesang. Den reißt Caroline Polachek nun im Alleingang, selbst den tiefen Spoken-Word-Teil in „Amanaemonesia“ trifft sie mit einer eiskalten Bestimmtheit, dass man sie zunächst kaum dahinter vermutet und die den direkten Sprung zurück in die Wolkenhöhen des Refrains umso eindrucksvoller macht. In „Met Before“ ist sie regelrecht ekstatisch, zieht das Wort „c l e a r“ so in aller Deutlichkeit aus, dass seine Bedeutung unmissverständlich wird. Im Mitternachtsfunk „Take It Out On Me“ ist sie hingegen gezielt fahrig, setzt einmal verfrüht zum wankelmütig oszillierenden Refrain an.

Ob stimmlich oder mit dem emotionalen Pinsel des Synthesizer, Chairlift lassen vornehmlich ihre ausdrucksstarken Songs für sich sprechen. Doch so wie diese oft unverhoffte strukturelle Extratouren fahren, wie die Stelle wo sich das ohnehin stimmenerfüllte „I Belong In Your Arms“ unter „Heya Heya“-Gesängen um sich selbst dreht, ist der Sound von „Something“ kein spartanischer. Wo andere immer wieder den gleichen Sound durchziehen, akzentuieren Chairlift mit wohlplatzierten Details wie sanft abrollender Perkussioner im Hintergrund, der links-rechts-separierten Echomelodie in „Ghost Tonight“ oder schier schrägen Spitzenhäubchen auf den Synthietönen.

Fast schon zu opulent fällt „Guilty As Charged“ aus diesem Rahmen, dessen Melodie in jedem Anschlag von Donnertrommeln unterlegt ist. Es überdeckt so aber auch, dass das Album mit den beiden vorherigen Stücken gen Ende zu schwächeln begann. So setzt sich „Something“ nicht makellos, aber mit imposanter Konsistenz über geographische und stilistische Nachbarn wie Class Actress hinweg als eine frühe Pop-Messlatte für 2012.

Label: Columbia

Referenzen: Twin Shadow, Nite Jewel, A-ha, Class Actress, Abc

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VÖ: 27.01.2012

Ein Kommentar zu “The Sound Of Arrows – Voyage | Chairlift – Something”

  1. Die Chairlift ist wirklich viel besser als der Vorgänger. Ein Werk, was irgendwie immer nebenbei geht. Eingängig, aber nicht auf eine nervige Art und Weise, unterhaltsam und lebendig. Eines der schönsten Popalben der letzten Monate.

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