Das Phänomen der Wunderkinder und Teeniestars ist in der Popmusik kein neues. Dennoch bekam es innerhalb des letzten Jahrzehnts mit den auch in Indiekreisen aus dem Boden sprießenden Underage-Bands eine völlig neue Dimension. Viel versprechende und nachhaltige Karrieren sind den Betreffenden dabei jedoch in den wenigsten Fällen beschieden.

Dem frühen Ruhm folgt das baldige Verschwinden in der Versenkung und ein Dasein als ewige Randnotiz der Musikgeschichte. Ein ernsthafter künstlerischer Entwurf wird von solch einem One-Hit-Wonder eh nicht erwartet. Ernst genommen zu werden, Raum zu finden, musikalische Visionen langfristig zu entwickeln und auszuformulieren scheint innerhalb dieses Schweinezyklus, Talent hin oder her, ein  Ding der Unmöglichkeit. Da unterscheidet sich die heile Indiewelt letztendlich kaum vom großen, bösen Pop-Business.

So ließ auch das schwedische Schwesternduo Klara (Jahrgang ’93) und Johanna (Jahrgang ’90) Söderberg vor zwei Jahren wenig Anlass zu großartigen Hoffnungen, als es ihrem 2008er Youtube-Hit, einer Coverversion des Fleet Foxes’schen „Tiger Mountain Peasant Song“, ein maximal okayes Debütalbum folgen ließ. Vor diesem Hintergrund ist das von Mike Moggis in Omaha produzierte „The Lion’s Roar“ nicht weniger als eine kleine Sensation und die erste handfeste Überraschung des angehenden Musikjahres. Dass die beiden Schwestern über beeindruckende und wohlgeschulte Gesangsstimmen verfügen, wusste man schon vorher, nicht aber, zu welch fabelhaften Songs sie mit dem nötigen Selbstbewusstsein und einer voll ausgestatteten Country-Besetzung im Rücken in der Lage sind. „The Lion’s Roar“ ist ein reichlich dick aufgetragenes, weltumarmendes Album, dem die Vorsilbe „Indie-“ vor seiner illustren Mischung aus Country, Folk und Pop deutlich am Allerwertesten vorbeizugehen scheint.

Gleich der Auftakt ist  triumphal. Das Titelstück beginnt Townes-Van-Zandtig düster  und verzaubert mit glockenklarem Gesang und hymnischem Refrain. „Emmylou“ namedroppt erst einmal all die ganz großen, alten Country-Helden und erweist diesen mit einem in dezent pedalsteelige Sommerabendmelancholie getränkten Country-Popsong auch alle Ehre. „In The Hearts Of Men“ reduziert dann das Tempo und lässt seine Melodien in unnachahmlicher Grazie über den Takt gleiten. Dazu gibt es Mellotron, verschleppte Marschtrommeln und gefühlvoll phrasierten Gesang zum Niederknien. So etwas möchte man an Stelle der einfältigen Mumford & Sons in Zukunft bitte auf allen Kanälen im Indie-infiltrierten Formatradio hören.

Der Rest des Albums kann das von diesem Triumvirat vorgelegte Level zwar nicht ganz halten, hat aber auch keine größeren Ausreißer nach unten zu verzeichnen. Ganz am Ende brillieren First Aid Kit sogar noch einmal in der Kür, indem sie in „King Of The World“ den featurenden Conor Oberst eindrucksvoll an die Wand singen. Der dazugehörige Mariachi- und Fiddle-Swing stammt übrigens von den ebenfalls nicht ganz unillustren Felice Brothers. „I’m nobody’s baby, I’m everbody’s girl, I’m the queen of nothing, I’m the king of the world.“ Eine ziemliche Ansage also, die mit diesem handwerklich meisterhaften und im besten Sinne wertkonservativen Album eindrucksvoll unterfüttert wird.

Klar, man muss schon einiges an Americana-Klischees verkraften können, wenn man mit „The Lion’s Roar“ glücklich werden will und besonders Engstirnige mögen sich vielleicht sogar daran stören, dass hier zwei gerade einmal volljährige Schwedinnen Wildwest-Romantik und Eisenbahn-Nostalgie verbreiten. Jedoch erfrischt auch dieser scheinbare Widerspruch in der derzeit am Fall Lana Del Reys wieder aufkeimenden, ewig ermüdenden Authentizitäts-Debatte als fröhlich herausgestreckte Zunge. Wohl die einzig angemessene Reaktion, vor allem auch deswegen, weil First Aid Kit den Großteil ihrer ehrlich leidenden (und zumeist männlichen) Kollegen mit diesen Songs locker hinter sich auf der Strecke lassen. Soviel Talent ist eben auch unter den widrigsten Umständen nicht kleinzukriegen.

77

Label: Wichita / Play It Again Sam

Referenzen: Emmylou Harris, Townes Van Zandt, Fleet Foxes, Conor Oberst, Dixie Chicks, Gram Parsons

Links: Homepage | Soundcloud | Albumstream

VÖ: 20.01.2012

Ein Kommentar zu “First Aid Kit – The Lion’s Roar”

  1. KK sagt:

    Genau deiner Meinung! Ich bin um die LP herumgeschlichen und habe sie dann wegen des passenden Bandnamens als Geschenk bekommen – liege nämlich grad nach ´ner Knie-OP flach ;-)

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