John TalabotFin

Wie selbstverständlich das doch vielerorts mit dem Wechsel der musikalischen Identität läuft. Von Minimal Techno angeödet, verpasste sich ein Barceloner so einfach mal den Nom de Plume John Talabot, sattelte um auf üppig aufgeschichtete Sonnenanbetung irgendwo zwischen Disco und House und verzauberte 2009 die Welt mit „Sunshine“.

Dass er von der Klangästhetik und Vibe dieser Audio-Visitenkarte über seine nächsten Eigenproduktionen und Remixe wenig abschweifte, sollte denen nicht zum Nachteil gereichen. Doch an einem gewissen Punkt nutzen sich nun mal auch die aufregendsten Ideen ab. Talabots Debütalbum „Fin“ aus sämtlich neuem Material war so mit gewissen Bedenken zu erwarten – die mit einem Quaken zerstreut werden.

Geradezu urwaldig eröffnet „Depak Ine“ das Album, über die Frosch- und anderen Tierrufe im Hintergrund hinaus ist die Atmosphäre des Tracks eine schwüle, neblige, und doch nicht träge. Zu mitreißend verbindet Talabot dafür ominöses Stimmraunen, Funkelmelodie und einen verschleppten Slo-Mo-Discobeat. Auch im ähnlich stimmungsstarken Mittelteil von „Fin“ entfalten seine Stücke eine Intensität, von der die meisten mit höheren BPM nur träumen können. „Journeys“, Panda-Bearig vom Delorean-Vokalist Ekhi verhallt, oder das psychedelische „Last Land“ scheinen eine Weile verträumt, gar etwas ätherisch, bis man sich dann unerwartet beim heftigen Mitbewegen ertappt.

Das liegt natürlich zum Einen an der einlullenden Grundeigenschaft hypnotischer Grooves, mehr aber noch: Talabot ist ein Meister im schleichenden Spannungsaufbau und intensiver, lang anhaltender Entladung. Gerade als sich der Beat in „Last Land“ merklich verdichtet, setzt das Stück komplett aus – und baut sich langsam wieder auf, bis es auf einmal mit doppeltem Energieniveau (und ein paar Tonlagen höher) daherprescht. Noch deutlicher wird das im housigen Banger „When The Past Was Present“, der immer wieder nachlässt, anzieht und in neuer Form abkickt. Die Krone setzen dem Vocals auf, die soulig in der Tiefe des Track-Bauches umherschweifen, dann aber lauthals an die Front gezerrt werden – gellend verfremdet, zielgerichtet im Rahmen von Talabots Ästhetik, die ihre Eigenheit und Klasse aus kunstvoller Unschärfe und schrägen Sounds bezieht.

Verfranst kickt „El Oeste“ zu wattegedämpfter Melodie, es knistert am Rande der massiven Claps in „Oro Y Sangre“, es wirkt, als wäre ständig irgendwo ein Schaltkreis fritiert, eine Leitung übersteuert. Ähnlich wie bei den gelungenen Auswüchsen der Lo-Fi-Renaissance im Garage-/Indierock der letzten Jahre nutzt Talabot die Qualitäten der Kaputtheit absichtlich, er verleiht seiner Musik eine rohe, wuchtige Wirkung. Nahtlos fügen sich in dieses verstrahlte Gesamtbild selbst die unwahrscheinlichsten Sounds und Samples; so eröffnet ein knarzender Sargdeckel „Oro Y Sangre“, hinter dessen zwei durchaus lebensfrohen, von munterer Perkussion angefeuerten Melodieläufen im Folgenden schräg gepitchtes Schauerstöhnen und ein schier hysterischer Schrei vorbeiziehen. Ebenso wie das letztendlich keine billige Gimmicknummer ist, sondern mitreißend, ist auch „Fin“ insgesamt eine Offenbarung, wie schön man sauberen Sound versauen kann.

Eine Erkenntnis, die auch schon jenseits des Atlantiks gemacht wurde und derzeit so manchen US-Hype beflügelt. Doch Talabots Tanzvisionen sind körperlicher als der schwammige Lo-Fi-House von 100% Silk, europäischer als das Retrogemisch der Future Times-Gang, er ist (mit Nebelmaschine auf Maximum) näher an der stilvollen Neu-Disko der Müncher Permanent Vacation und dem Balearic-Flair seiner Landsleute Delorean, El Guincho und Hivern Discs-Labelkollege Pional. Letzterer ist nicht nur selbst ein herausragender Produzent, sondern singt auch u.a. auf dem stimmungsvollen „Fin“-Finale, das neben dem Eröffnungsstück als einziges auf dem Album weit über die 5-Minuten-Marke hinaus geht. „So Will Be Now…“ untermauert mit den sehnsüchtigen, melancholischen Layer-Vocals des Madriders einmal mehr, dass John Talabot längst nicht mehr nur nach oben blickt, sondern ebenso wundervoll nach innen.

82

Label: Permanent Vacation

Referenzen: Pional, Delorean, Beautiful Swimmers, Teengirl Fantasy, Ada

Links: Facebook | Soundcloud | Label

VÖ: 27.01.2012

John Talabot – So Will Be Now… (feat. Pional)

4 Kommentare zu “John Talabot – Fin”

  1. Pascal Weiß sagt:

    Hätte ich vorher auch nicht gedacht: Mein Album des Monats.

  2. […] will sich ja nicht die Knochen ruinieren. Klappt mit Talabot prima, speziell der letzte Song des aktuellen Albums eignet sich herausragend für diese schwierige Phase des […]

  3. […] Blake, Fuck Buttons, Japandroids, The Walkmen, Death Grips, Rustie, How to Dress Well, Jessie Ware, John Talabot, Twin Shadow, Liars und the Tallest Man on Earth finden sich eine ganze Vielzahl von Bands, die auf […]

  4. […] Vocals von „Cannibalize“ erinnert ebenso wie das Titelstück mehr als nur ein wenig an John Talabot, doch vom Klima ihrer prägenden Jugendjahre her könnten sich der Spanier und Mano Le Tough kaum […]

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