Leonard CohenOld Ideas

Jeder, der sich auch nur halbwegs für Musik interessiert, dürfte schon mit „Suzanne“, „Marianne“ oder „Nancy“ Bekanntschaft gemacht haben. Vor über 40 Jahren hat Leonard Cohen mit diesen Songs seinen Ruhm begründet. Selbst nach Jahrzehnten haben sie kaum etwas von ihrem ursprünglichen Charme verloren und sind noch immer über jeden Zweifel erhaben.

Aber wie beurteilt man im Angesicht solcher Referenzen das neue Album einer dermaßenen Legende? Sollte man ihm nicht begegnen wie jeder anderen aktuellen Veröffentlichung und all das Vorwissen und jede emotionale Befangenheit zunächst beiseite lassen? Sollte man es nicht ebenso kritisch vor dem Hintergrund seiner Aktualität oder Progressivität bewerten, wie man es mit anderen aktuellen Künstlern ganz selbstverständlich tut? Oder würde man dann vielleicht Gefahr laufen, sich bald dem Vorwurf der Majestätsbeleidigung ausgesetzt zu sehen?

Jedenfalls ist „Old Ideas“ das zwölfte Studioalbum des 77-jährigen Kanadiers. Seit seinem letzten sind acht Jahre vergangen. Seitdem soll Cohen an dem neuen Material gearbeitet haben, bevor im Januar 2011 schließlich die Aufnahmen zu „Old Ideas“ begannen. Dem Rolling Stone berichtete er von Schreibblockaden und dem ewigen Kampf mit dem weißen Blatt Papier. Das klingt persönlich, gar intim – und ist es tatsächlich auch geworden. Im Zentrum stehen nach wie vor die überdurchschnittlichen religiösen und autobiografischen Texte, die Cohen mit seiner noch immer einzigartigen Stimme vorträgt. Dank solcher Momente strahlt dieses Album von der ersten bis zur letzten Minute eine ungeheure Reife und Gelassenheit aus, ein Selbstverständnis und ein Selbstbewusstsein, wie man es vermutlich nur nach Millionen verkaufter Platten haben kann.

Aber auch darüber hinaus bedient Cohen sich wieder jener kostbaren Zutaten, die ihm bereits in der Vergangenheit seinen enormen Erfolg bescherten. Unter anderem stellen wieder etliche Backgroundsängerinnen das zuckersüße Gegengewicht zum rauen Bariton des Kanadiers dar. Die übrigen Lücken in der sparsamen Instrumentierung werden schließlich vom Gitarrenspiel Cohens, dezenten Bläser- und Streicherarrangements oder einer Hammondorgel geschlossen. Dadurch gelingt es Cohen wieder, jene einzigartige Atmosphäre zu erzeugen, die bereits seine letzten Alben auszeichnete. Jedoch unterscheiden sich viele der Stücke auf „Old Ideas“ schematisch kaum voneinander, rollen stattdessen in einem äußerst gemächlichen Tempo voran, das mitunter beruhigend wirken, jedoch auch als ermüdend wahrgenommen werden kann. „Darkness“ oder „Different Sides“ stellen immerhin erwähnenswerte Ausnahmen dieser Regel dar.

Obwohl Leonard Cohen fernab aller aktuellen Trends, irgendwo im Grenzbereich von Jazz, Blues und Folk agiert, wird es ihm mit diesem Album problemlos gelingen, seine Erfolge längst vergangener Zeiten zu verwalten. Leider ist „Old Ideas“ längst nicht stark genug, um es mit Cohens eigenem Frühwerk aufzunehmen – bei Bob Dylan oder Tom Waits, die beide als Referenz gelten müssen, scheint die Diskrepanz von Früh- und Spätwerk nicht ganz so gravierend. Und vielleicht ist „Old Ideas“ sogar etwas schwächer als Cohens letztes Comebackalbum aus dem Jahre 2001 „Ten New Songs“. Dank seiner Einzigartigkeit wird Cohen seine Fans aber auch in Zukunft millionenfach hinter sich wissen. Und doch muss man feststellen, dass die Arrangements, in die Cohens Texte und Stimme eingefasst sind, oftmals etwas zu beliebig wirken.

Somit ist es geradezu bezeichnend, dass das bewegendste Stück auf „Old Ideas“ jenes ist, das vom Ballast seiner Begleitung befreit ist und den Fokus auf Cohen selbst legt, der in „Crazy To Love You“ schließlich singt: „Sometimes I head for the highway / I´m old and the mirrors don´t lie / crazy has places to hide in / that are deeper than any goodbye.“

68

Referenzen: Bob Dylan, Tom Waits, Scott Walker, Lou Reed, Jeff Buckley

Label: Columbia Records

Links: Homepage | Facebook | Soundcloud

VÖ: 27.01.2012

6 Kommentare zu “Leonard Cohen – Old Ideas”

  1. Klingt erstmal weniger schlimm als das grausame Cover befürchten lässt, spätestens beim dritten Song ist man trotzdem eingeschlafen. 68% sind bei soviel Lustlosigkeit noch ziemlich schmeichelhaft.

  2. Haha, über das Cover wollte ich auch schon ablästern, musste das gestern in Überlebensgröße sehen. So billig.

    Cohens Stimme hat mir selten so gut gefallen wie hier, aber ich wünschte mir, die Arrangements dahinter wären öfter so stark wie im Titelstück. So sind die mitunter arg einfallslos, was halt keinen guten Rahmen für zwar volle, aber spärliche Vocals gibt.

  3. ja, basti. anfangs wollte ich auch härter mit cohen ins gericht gehen. aber scheinbar hab ich das album dann einfach noch zu oft gehört. dessen langsamkeit stimmt auf dauer irgendwie milde…

  4. …oder eben müde. Gegen die Langsamkeit hab ich nichts, aber die Songs wirken teilweise unglaublich einfallslos und die Arrangements echt daneben. Nee, das war nichts.

  5. Pascal Weiß sagt:

    Interessanter Punkt, Uli. Empfinde das mit der Stimme ähnlich, deswegen habe ich mich nach dem Vorab-Song ziemlich auf das Album gefreut. Allerdings sind die meisten Songs an sich dann wirklich nicht so spannend.

    So sehr ich den Mann auch gerade für seine ersten Werke schätze, hat er jetzt schon seit mehr als 40 Jahren kein ansatzweise vergleichbares „Songs Of Love And Hate“ mehr geschrieben. Was auch wieder zeigt, wie sehr man (um mal Beispiele aus dem letzten Jahr zu nennen) den Hut vor Leuten wie Paul Simon oder Tom Waits ziehen muss, die auch im Alter noch großartige Alben zustande bringen.

  6. Paul Simon hat in den letzten Jahren großartige Alben gemacht? Mist. Da muss ich wohl nachsitzen.

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum