Der Liedschatten (53): Bye bye, du schönes "rrrrr"

Verneigen oder winken, verneigen oder winken … oder nur kurz zunicken? Und wenn winken, dann wie? Die Hand nach links und rechts drehen („Wie das Fähnchen auf dem Turme / sich kann drehen bei Wind und Sturme / so soll meine Hand sich drehen / dass es eine Lust ist anzusehen“)? Die zehn kleinen Zappelmänner bemühen? Oder aber die Finger mit einem neckischen Klatschgeräusch allesamt gleichzeitig zur Handfläche klappen lassen?

Der Möglichkeiten sind viele, und keine scheint angemessen. Immerhin wollen wir heute mit Freddy Quinn den Interpreten von zehn Nummer-Eins-Hits der BRD-Singlecharts aus unserer Reihe verabschieden. Da er noch am Leben ist, gibt es keinen Grund, seine Vita auszubreiten. Das werden beizeiten andere tun, die ARD, „Das Neue Blatt“, „Bild“ und wer sich sonst noch so dafür zuständig fühlen wird, „Stern“ und „Die Zeit“ sicher auch, warum nicht? Denn selbst dann, wenn sich Freddy Quinn gerne von seinen Fans distanziert, nehmen diese, und nicht nur diese, Anteil am Ergehen seiner nunmehr achtzigjährigen Person. Der folgende Nachruf aber wird anlässlich seines Hinscheidens nicht zu lesen sein, ihn gibt es schon jetzt.

„Millionen ließen sich von der Kraft seiner Stimme über traumhafte, bis heute unbekannte Meere treiben. Er sang sich mit Stücken wie „Die Gitarre Und Das Meer“, „Unter Fremden Sternen“, „La Paloma“ und „Junge, Komm Bald Wieder“ ins Herz der noch jungen Republik, die zwar niemand haben wollte, aber der Krieg wurde halt verloren.

Als Fremdenlegionär a. D. (vermutlich) und Zirkuskünstler (bestimmt) konnte er nicht immer der Seemann sein, der er war. Wie wir alle aber trug er die Sehnsucht nach der blauen Ferne im Herzen.

Einige mussten die ihre herunterschlucken (die Sehnsucht, nicht Herzen), denn er schien allen Gerüchten zum Trotz nicht schwul gewesen zu sein. Er war stets ein guter Matrose. Er trug Hans Albers Lederjacke und weinte nur vor Gericht (Steuerhinterziehung, aus Versehen). Heino fand ihn deswegen kindisch.

In keinem Interview sagte er, er werde „St. Pauli nach seinem Tod mit Sicherheit nicht vermissen“, schließlich habe er „dort nie gelebt, und wenn schon in Hamburg, dann nur heimlich, aber nicht um Steuern zu hinterziehen, sondern um mich selbst zu schützen, wegen der Lederjacke.“ Zumindest sein Herz weilte stets in einer Ferienwohnung (Schweiz, direkt am See. m. elektr. Schuhtrockner, Brötchenservice, Geschirrspüler, Haustiere erlaubt). So ersparte er sich geschickt „Dreck. Müll. Und Verbrechen.“. Weitere Details aus seinem Leben hat der Manager aufgeschrieben, die Sache mit dem Meer „ist ein Scheiß von den Medien“, pflegte er zu sagen. Schade eigentlich.“

Freddy Quinn “Hundert Mann und ein Befehl”, Mai 1966 – Juni 1966

quinn_hundertSeit 1965 wurden die Charts nicht mehr von Schlagersängern und ihren Liedchen dominiert. Wie konnte es also Freddy Quinn gelingen, sich noch einmal zwischen Nancy Sinatra und die Beach Boys zu schleichen?

So wie bereits vielen anderen vor ihm, mit der „eingedeutschten“ Bearbeitung eines Hits. Anders als in den 1950ern wurde nun nicht Bittersüßes vom Heimweh, Wellenwogen und dem fernen Feinstliebchen deklamiert, es durfte nun sogar der Krieg sein. Ein Lied über den Tod, und um diesen geht es bei militärischen Konflikten in letzter Konsequenz nun einmal leider stets, lässt sich schwer ignorieren, vor allen Dingen dann nicht, wenn es von einem über die Maßen bekannten Sänger solcherart schmissig vorgetragen wird.

Hundert Mann und kein „Och nööö…“: das muss Schicksal sein.

Ursprünglich wurde das Stück unter dem Namen „Ballad Of The Green Berets“ vom US-Soldaten Barry Sadler als eher patriotische und überzogen romantische Hymne auf die amerikanische Einheit der Green Berets („Fighting soldiers from the sky / Fearless men who jump and die / Men who mean just what they say / The brave men of the Green Beret“) und deren Opferbereitschaft für, na, wofür eigentlich, ähem, deren Opferbreitschaft, insbesondere während des Vietnamkrieges, veröffentlicht. Es schließt mit dem Wunsch eines verstorbenen Green Berets, seinen Sohn doch bitte auch zu einem solchen zu machen. Der wird sich gefreut haben. Vielleicht ja wirklich, soll es geben. Und dummerweise braucht es ja tatsächlich Armeen, zum Beispiel dann, wenn ein von anderen begonnener Krieg, nennen wir ihn mal Zweiter Weltkrieg, mit einer Niederlage des Deutschen Reiches enden soll.

Dieses Stück also nahm sich Freddy Quinn oder, was wahrscheinlicher ist, ein Texter vor und machte daraus ein Lied über und irgendwie auch gegen den Krieg. Schließlich hätte ein dem Original entsprechendes Loblied auf die US-Armee ganz bestimmt nur wenige Abnehmer gefunden, eine Hymne auf die Truppen der BRD knapp zwanzig Jahre nach Kriegsende wäre unpassend gewesen. Und am Ende gar die Vergangenheit, also, nicht die bundesrepublikanische Vergangenheit vertonen, nein. Wobei, das wäre dann vielleicht wieder gekauft worden, abgründige Schundliteratur wie die „Landser“-Heftchen fand ja auch Absatz.

Eine diesen ähnliche Herangehensweise dürfte allerding kaum zu Freddy Quinn, dem weltzugewandten, melancholischen Seemann gepasst haben. Und so wird nun einfach ohne nähere Angaben marschiert, niemand weiß, warum, die Heimat wird vermisst, aber dem Befehl sind anscheinend doch alle gefolgt. Die Unvermeidlichkeit des Krieges als hereinbrechende Katastrophe, das ist, ohne die, falls vorhanden, dann sicherlich gute Intention schmälern zu wollen, ein wenig platt, aber für eine Bevölkerung, die in den letzten 50 Jahren an zwei Weltkriegen teilhaben durfte sicher nicht uninteressant. Den Befehl als „Schicksal“ empfinden, ohne sich dagegen aufzulehnen, solch ein unreflektierter, nur bis zur Mobilmachung existenter Pazifismus ohne Konsequenzen sprach sicher vielen Menschen aus der Seele, ebenfalls seelenvoll ist Abwesenheit jeder Politik. Und da haben wir, obwohl sie nicht gesucht wurde, am Ende doch eine Nähe zur militaristischen Kitschliteratur, dem Soldaten als unpolitischen Wesen nämlich.

Doch nein, auch dahinter steckte sicher keine Absicht, es ist einfach schlagertauglicher, alle und jeden zu Opfern zu erklären, die Verantwortung stets der nächsthöheren Hierarchiestufe (hier der Befehl und das Schicksal, woanders Eltern, Liebe, Schönheit oder auch mal der Bossa Nova) zuzuschreiben und so zu tun, als könne der Mensch nur Gutes tun, und für das Schlechte seien eben dann Naturgewalten, Dämonen und Führer verantwortlich. Schuld hat nur, wer … ja, wer hat denn die Schuld? Bei der Frage war man ja noch gar nicht angelangt.

Folgerichtig wurde diese auch in Quinns Nachfolgesingle nicht gestellt. „Eine Hand Voll Reis“ widmet sich erneut dem unfassbaren Krieg, präzisiert diesen aber durch die Zeilen „Eine Handvoll Reis gab es in Lao-tan“ und „Wir kämpften in uns’rer Kolonne für Freiheit und Demokratie“, die vermuten lassen, das Stück teilt aus Gründen der Aktualität Erlebnisse eines US-amerikanischen Soldaten im Vietnamkrieg mit. Mit diesem verbindet die bundesdeutsche Bevölkerung genau so viel wie mit einem Krieg für Demokratie, nämlich nichts, vermochte sich aber vielleicht durch das martialische („Und hinter uns rollte die Tonne mit dem Whisky der Kompagnie“, am Ende leben nur noch drei von siebzig Soldaten) oder die wiederum schicksalsschwangere, flache Story einzufühlen, sonst hätte das Stück nicht auf Platz 6 der Charts gelangen können.

Wobei, wer weiß, vielleicht kam der Erfolg ja aber auch durch die famose, reaktionäre B-Seite „Wir“, an anderer Stelle bereits schon einmal erwähnt, aufgrund der, ähem, ja, Aktualität aber hier gerne wieder gebracht.

Denkt mal drüber nach. Und lernt nebenbei die Schönheit des „rrrr“ kennen.

4 Kommentare zu “Der Liedschatten (53): Bye bye, du schönes „rrrrr“”

  1. Ob es wirklich zur militaristischen Kitschliteratur gehört, den Soldaten als unpolitisches Wesen zu verklären? Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Soldaten mit großen Enthusiasmus und einem gerüttelt Maß an Überzeugung in den Krieg ziehen. Die größte Mobilisierungswaffe ist noch immer die Angst vor dem Verlust von Heimat. Der einfache Soldat lässt sich also meist für den Schutz von Heimat einspannen – tut dies nicht wegen kruder Ideale oder gar aus Mordlust.

  2. Lennart sagt:

    Das „unpolitisch“ bezieht sich auf die krude „Landser“-Literatur, und dort ist das der Fall, da kämpft eine „ehrenhafte“ Wehrmacht für die „Heimat“, einem sehr wohl politischen Begriff. Mit Nazipolitik und ihren Auswirkungen hat dort, also in diesen Romanen, aber niemand zu tun, der Krieg gilt auch nicht als solche. Das musst Du
    mir aber einfach glauben, die Lektüre dieses Mistes kann ich Dir ja wohl kaum zumuten.

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7955989.html

  3. Heimat mag ein politischer Agitationsbegriff sein, in erster Linie freilich ist es ein zutiefst soziales Gefühl, das man auch dann beschützt wissen will, wenn es nur auf Haus und Hof samt Vorgarten sowie Nachbarschaft anwendet. Heimat ist ja dehnbar und reicht von patriotisch verbrämten Kulturkreis bis hin zum beschriebenem Mikrokosmos, der sich vielleicht nicht einmal bis an die Grenzen des eigenen Geburtsorts erstreckt.

    Ich kann mir die von dir beschriebene Literatur durchaus ausmalen. Leider!

  4. Arg, das tut mir leid… ansonsten würde ich die Sache mit der Heimat genau anders herum sehen, also erst einmal politische Agitation, dann im kleinen das Gefühl. Aber verdammt, lass uns über Musik reden, den Rest machen zu irgendeiner Gelegenheit mal beim Bier (-:

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