Der Liedschatten (50): Mit einem Blumenstrauß

Wer hätte das gedacht: Titel mit Ursprung in der BRD waren 1966 auf den vorderen Plätzen der Charts etwas Seltenes. Zu einem solchen Erfolg gehörte Einiges, mit Glück allein ließ sich da nichts ausrichten. Dieses aber beschränkt sich im Schlagergeschäft ja eh nur auf die Auswahl der Interpreten, der Rest ist Handwerk.
Nehmen wir einmal folgendes Beispiel: Ein Schlagerproduzent (Hans Bertram) ist mit der Moderatorin einer sehr einflussreichen Radiosendung (Elisabeth Bertram, betreute die erste deutschsprachige Sendung auf Radio Luxemburg) verheiratet. Obendrein textet diese nebenbei selbst (u.a. für die deutsche Version des Liedes „Marina“). Sogar das gemeinsame Kind, ebenfalls Elisabeth geheißen, brabbelt verkaufswirksam im Hit „Babysitter Boogie“. Da dürfte einiges an geschäftlichem Wissen vorhanden gewesen sein, um Roy Black trotz Beat, Rock und Gammlern zu Erfolg zu verhelfen. Das Glück war also erst einmal auf seiner Seite.
Doch Moment, seien wir nicht zu vorschnell, bedenken wir einmal, um welches Lied es sich heute handelt, nämlich „Ganz In Weiss.“ Was wünschen sich die Menschen? Liebe, klar, auch untereinander, aber erst einmal für sich selbst. Dauerhaft soll sie sein, am besten mit einem unverbrüchlichen Siegel versehen. Und das wäre dann die Ehe, angezeigt durch die Hochzeit. Diese wiederum symbolisiert die romantische Liebe, wie sie aus all unseren Unzulänglichkeiten selten zu erwachsen pflegt, was ja das Sehnen nicht verhindert, im Gegenteil. Gerade im Bereich des Emotionalen bereitet das, was als „meine Schwächen“ bezeichnet wird ja einiges Ungemach. Und wodurch glauben die Leute Frieden davon erlangen zu können? Durch die Ehe, da haben wir sie wieder.
1966 spielten vermutlich noch ganz andere Dinge eine Rolle. Mal eben tanzen gehen, wen mit Heim nehmen und morgens dann in die Berufsschule trotten, das ging nicht an, vor Abschluss der Ausbildung pflegte man noch bei den Eltern zu leben. Dorthin aber durfte per Gesetz niemand mitgenommen werden, da so Unzucht ermöglicht worden wäre, für die Eltern haftbar gemacht werden konnten. Und auch außer Haus drohte einiges, die Schwangerschaft zum Beispiel, vor allen Dingen, da vielen Menschen weiblichen Geschlechts kein anderer Weg zur Lebensgestaltung als die Mutterschaft, aber nur im Rahmen einer Ehe, nahegelegt wurde. Und bis diese praktisch ausgeübt wurde lebten junge Frauen wo? Bei ihren Eltern.
Eine Heirat dürfte also, zumindest unter unbedarft-pragmatischem Blickwinkel, mehr gewesen sein als nur Ausdruck von Sicherheitsbedürfnis, Hilflosigkeit und Empfänglichkeit für Klischees, ein Mittel nämlich, endlich in der eigenen Wohnung so viel Sex wie gewünscht zu haben, ein anerkannter Weg zur Selbstermächtigung also. Diese Bedingungen lösten sich ab Mitte der 60er zwar langsam auf, dürften aber dennoch für zahlreiche jüngere Menschen relevant gewesen sein.
Roy Black “Ganz in Weiss”, März 1966
Aufgeregt, nicht aufregend: der junge Roy Black
Bei diesem Stück ist alles oder nichts zu viel. Nicht nur wird hier eine „romantische Heirat“ mithilfe von Worten wie „verliebt, Blumenstrauß, Träumen, Blicken, Hände reichen, unmögliche Trennung, Liebe“ besungen, dies geschieht auch noch untermalt von Streichern, einem Chor, einer hochmelodiösen, sehr hingebungsvollen Gitarre und einem gutmütig tänzelndem Bass. Schnulzen sind wir an dieser Stelle schon oftmals begegnet, ihr Verhaftetsein im Klischee wurde aber dabei nie so sehr auf den Punkt gebracht wie hier. Beinahe entwaffnend direkt wird ein Idyll gezeichnet, in dessen Reich Vernunft keine Rolle spielt, jegliche Kritik wird durch die Offensichtlichkeit des kantenlosen Charakters unmöglich. „Ganz In Weiss“ lässt sich nicht ignorieren, was eine große Reichweite garantiert. Und wenn diese erst einmal da ist, finden sich, nun ja, fanden sich wohl eher, gerne auch insgesamt 2,5 Millionen Käufer für eine Single. Und das – auch, wenn es anders schöner wäre – zu Recht.
Mit „Ganz In Weiß“ legten, wie sich später zeigen sollte, Kurt Hertha (der auch unter dem Pseudonym ‚Felix Prost‘ textete), bekannt durch Schlager „Tanze mit mir in den Morgen“, und der Komponist Rolf Arland die Grundzüge von Gerhard Höllerichs alter Ego Roy Black an. Dem ging 1964 die „Entdeckung“ durch den bereits oben erwähnten Produzenten Hans Bertram voraus, ihm verdankte er letztendlich seine ganze Karriere
Im letzten Satz hat sich eine kleine Ungenauigkeit eingeschlichen, richtig müsste es heißen: „seine ganze Karriere als Schlagersänger“, denn das war Roy Black nicht von Anfang an, einst war er ein Rocker.
„Ahhhhhh! Ehhh!“: Der noch jüngere Roy Black
Warum aber das Umschwenken? Weil es gewiss keines gewesen sein wird, sondern nur eine Möglichkeit, Karriere als Sänger zu machen, wie sie sich ihm mit den Cannons nicht bot. Seine Debütsingle mit ihnen als Backingband „Sweet Baby Mein“ orientierte sich noch am britischen Beat, floppte aber. Die erste echte Solosingle „Du bist nicht allein“ (Du bist nicht allein, wenn du träumst von der Liebe / Es finden tausend junge Herzen heut keine Ruh / Es haben tausend Menschen Sehnsucht, genau wie Du“) verkaufte 1965 trotz Rolling Stones und Ähnlichem 800000 Stück. Warum also den damit eingeschlagenen Weg nicht weiter verfolgen, solange es gut geht?
Der Versuch wurde mit Erfolg belohnt, ließ Blacks Namen aber zu einem Synonym für „Schnulzensänger“ werden. Damit fand er sich dann auch erst einmal ab und sagte, „romantische Schlagerlieder“ passten nun einmal am besten zu seiner Stimme, mit nachlassendem Erfolg änderte sich das jedoch.
„Ich war das Medium“: der ältere Roy Black
Er konnte aber auch drastischere Worte finden: „Journalisten und Kollegen aus der Show-Branche, die mich zum abgetakelten Schnulzensänger mit Alkoholprobleme und Liebeskummer degradieren. Denen wollte ich zeigen: Ihr kriegt mich nicht klein! Ich laß mich doch nicht als herzkrankes Schlaffi aufs Abstellgleis schieben! Ich will ganz oben stehen, damit mich niemand mehr zerstören kann. Dieses Rachegefühl ist stärker als alle spürbaren Warnungen des Körpers.“ Wut und Hass aber führen wohin? Richtig, zur, ähem, dunklen Seite, hui! Und wie wir seit Star Wars Episode I-III wissen, kann auch die den Tod nicht aufhalten. 1991 starb Roy Black, bis heute ungeklärt ist, ob der Mischkonsum von Alkohol und Tabletten schuld war.
Gescheiterte Lebensentwürfe führen zu Notlösungen. Ehen beispielsweise oder Schlager-Karrieren, die man so nicht angestrebt hat. Das Schicksal spielt vielen übel mit. Der Zynismus der Gegenwart rettet die nicht gänzlich Minderbemittelten von uns freilich davor, in einer Heirat oder zumindest kurzfristig erlangtem Ruhm heute noch eine glückliche Fügung zu sehen.
[…] oftmals auch – Musik dürfte ausschlaggebend gewesen sein, ein Bedürfnis, das ebenso durch Roy Black wie die Rolling Stones, mit denen wir uns heute wieder einmal befassen werden, erfüllt werden […]
[…] grooven als vor zwei Jahren, die Streicher gar deuten in den Strophen, zumindest verglichen mit „Ganz in Weiss“, eine Art schüchternen Wagemut an, nur hat sich nicht wirklich etwas geändert. So wartet der […]
[…] Blacks als Sänger einer Rock’n'Roll-Band schrieb ich bereits im Text zu seiner ersten #1, „Ganz In Weiss“ von […]
[…] in Form des Biederen groß genug, um einen Fan des Rock’n'Roll wie Roy Black über Nacht vom Heiraten singen zu lassen, die Idee einer verbindlichen, fraglos elterlichen Moral […]