Kate Bush50 Words For Snow

Auch wenn sie – bis auf einen Soundtrack-Beitrag – 6 Jahre lang keine neue Musik herausgebracht hat, ihr Name war nie aus dem Musikdiskurs verschwunden. Wann immer eine Musikerin sich außerhalb rigidester Stilgrenzen bewegte, wann immer eine Frauenstimme im Pop ein wenig andersweltlich anmutete, war ein Vergleich mit Kate Bush nur eine Frage von Minuten.

Mit dieser Referenz ist jedoch in der Regel ihr Schaffen aus dem letzten Jahrhundert gemeint. Die vokalen und instrumentalen Extravaganzen von „Hounds Of Love“ oder „The Sensual World“ hat sie inzwischen ebensoweit hinter sich gelassen, wie ihre (im besten Sinne) theatralischen Auftritte in Musikvideos. So ist nach der Aufwärmübung „The Director’s Cut“, auf dem sie Mitte des Jahres ältere Stücke – nicht immer erfolgreich – neu überarbeitete, „50 Words For Snow“ nun ihr erstes Werk mit gänzlich neuem Material seit dem 2005er Doppelwhopper „Aerial“. Und führt dessen Tendenzen, Stimmung über overte Dramaturgie zu setzen, fort.

In der ersten Hälfte bestimmen vorwiegend Bush und ihr Piano die bemessene instrumentale Palette. Ebenso wie elektronische Augmentierungen, gelegentliche Streicher oder Bläser dient das fragmentarische Schlagzeugstreicheln Steve Gadds eher der Pointierung der weit gespannten, anfangs schwer nachverfolgbaren Melodienbögen. Dass man sich dennoch schnell darauf einlässt, liegt einerseits an ihrer in Höhen wie auch immer öfter Tiefen fesselnden Stimme, welche auch über zweistellige Minutenzahlen die Narrative ihrer Stücke mit sicherer Hand ausbreitet; andererseits an der Produktion, mit der es Bush mehr denn je versteht, einen einladenden Hörrahmen zu schaffen. Anders als beispielsweise eine mir ihr verglichene Florence weiß sie um die Qualität von Stille. So ist „50 Words For Snow“ ein Album, das nicht auf jeder Ebene mit brüllender Lautstärke um die Ecke kommt – vielmehr kann man es selbst so laut drehen wie nötig, bis sich die feinen Details im Hintergrund herausschälen. Wie es eben bei Musik sein sollte, die ihre HörerInnen nicht für zu dumm hält, einen Volume-Regler zu bedienen.

Wo Kate Bush aber in solchen Belangen auf klangtechnischem Terrain brilliert, folgt sie thematisch wie eh und je ihrer unergründlichen Muse. So ist „50 Words For Snow“ denn auch ein Winteralbum über, in und um Schnee. Während ihr Pianospiel im eröffnenden „Snowflakes“ das an Gleiten grenzende Fallen einer Flocke evoziert, beschreibt ihr Sohn Bertie mit verwandter Stimme aus Egoperspektive ihren Weg von der Wolke bis zur Landung: „I was born in a cloud / Now I am falling / I want you to catch me / Look up and you’ll see me“. In „Wild Man“ wird Sympathie für Yetis gezeigt, „Snowed In At Wheeler Street“ ist im Duett mit Elton John ein flüchtiger Moment aus der Geschichte zweiter Seelen, die über Jahrhunderte nur kurzfristig zueinander finden. Und in „50 Words For Snow“ zählt die britische Ikone Stephen Fry konsequent und durchaus ironisch eben das auf, was der Titel besagt. 50 Worte lang.

Auf dem Papier gelesen klingt das alles wenig anreizend, gar furchtbar prätentiös. Aber mit Bush-typischer Selbstverständlichkeit zerstreut sie derlei Bedenken, wenn es an die Umsetzung ihrer Ideen geht, die scheinbar direkt aus ihrem Kopf auf Tonband gebeamt werden. So ist ihre Poesie erotisch, wenn sie die absurde, zum Schmelzdesaster verurteilte Liebesnacht mit einem Schneemann in „Misty“ besingt. Anderswo zeigt sie den nötigen Unernst, wenn sie Frys ohnehin zunehmend blödsinniger werdende Schneesynonyme wie „Sorbetdeluge“ mit „Come on Joe, you’ve got 32 to go!“ anheizt. Auch im Booklet versteckt sich manch verschmitzte Fiktions- oder Realwelt-Referenz, die früher der Aufhänger für ihre Songs gewesen wäre, doch erzählt Bush heute erhaben ihre ganz eigenen Geschichten, die das Potential der kältesten Jahreszeit für Schönheit, Vergehen, Romanze und Abenteuer illuminieren. Dem kann dann auch ein Elton John wenig abstreichen, der hier ohnehin seine beste Darbietung seit einigen Wintern liefert. Aber was sollte man auch sonst von einer Frau erwarten, bei der schon Prince einst die dritte Geige spielte.

87

Label: Noble & Brite Ltd

Referenzen: Talk Talk, Joni Mitchell, David Sylvian, Joanna Newsom, Laurie Anderson

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VÖ: 18.11.2011

Ein Kommentar zu “Kate Bush – 50 Words For Snow”

  1. […] gerade erst entdeckt und bin unglaublich davon angetan. Unten dann ein Song der dem Album „50 Words for Snow“ als Internet Release vorrausging und ein Fan Made Clip zu „Wild Man“. Ich bin […]

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