Das kleine Schwarze

Stagnation auf hohem Niveau? Ach, lassen wir es doch einfach sein, das mit der Stagnation. Diese zu vermuten, hieße am Ende bloß davon auszugehen, es müsse immer einen Fortschritt geben. Solches Denken schielt aber nur vom Gegenwärtigen weg auf das Vorherige, am Ende kommt nicht mehr dabei herum als ein mehr oder weniger verschämter Revisionismus.
Wie wenig Sinn das macht, wird an einer Kunstform deutlich, deren bevorzugte Medien es schon länger gibt als Popmusik und die ihren, der Literatur. Bei AutorInnen wird das Gesamtwerk betrachtet, die Zeit verschleift Lücken dazwischen. Sicher wird immer wieder und aus unterschiedlichen Gründen unter anderem Hervorragendes ausgemacht, das größte Lob aber zielt auf ein gelungenes Gesamtwerk. Statt also künstlerische Offenbarungen im Wochentakt zu erwarten, sollte viel lieber dabei zugesehen werden, wie das Werk all der vielen mögenswerten Bands wächst und gedeiht.
Besonders hilfreich sind solche Metaphern aus der Pflanzenwelt bei Musik wie der des Duos Kraków Loves Adana, wobei mit Bezug auf die olle eingangs gebrachte Phrase gesagt werden muss: Auf hohem Niveau stagniert hier nichts. Das aber liegt nicht an der Musik, das Bild ist einfach falsch. Wer die Gitarre so dunkel und tremologesättigt wabern lässt wie die beiden auf ihrer Single „On/Off“, der sitzt nicht hoch droben, zum Beispiel im Baum. Und schon gar nicht wird dort mit den Beinen gebaumelt. Atmosphärisch erinnert der Song stark an das Debüt „Beauty“ von 2010, das sich ja nicht gerade durch Hemdsärmeligkeit auszeichnete, aber noch näher an dem schien, was man als „folkigen Indierock“ bezeichnen könnte.
Mit solch einem platzhalterischen Pseudogenre wird man den beiden Stücken hier nicht gerecht, die nämlich wühlen sich beständig in dunkle, warme Erde und werfen uns über den Rand der Grube Blicke zu, wie man sie nicht vorm Zu-Bett-Gehen erhalten möchte. Oder aber sie raunen, schließlich habt ihr ja Recht, Songs werfen keine Blicke, und zwar raunen sie von sieben einsamen Tagen und dem traurigen Zustand der Hilfslosigkeit, der irgendwen, wir hoffen, es ist nicht die Sängerin, in einem recht labilen Zustand zurückließ, siehe die B-Seite „Skin & Bones (Piano)“. Auch das sicher ein Song vom 2012 erscheinenden nächsten Album, wenn auch in einer anderen Version.
So, nun aber auf zum Beinebaumeln. Wobei, so richtig geht das bei Allo Darlin‘s Single, „Darren“ betitelt, auch nicht, dazu ist sie viel zu beschwingt. Natürlich in Relation betrachtet. Indiepop ist das hier noch immer, die Melancholie fehlt auch nicht, aber da wären noch die Handclaps, überhaupt das Tempo und eine Elizabeth Morris, die irgendwie, nun ja, ähem, „härter“ singt, tiefer, abgehangener. Wobei auch das wieder nur in Relation zu sehen ist, um Rockmusik handelt es sich zum Glück nicht. Es hat sich keine missverständliche Coolness eingeschlichen, dieser Song lebt von offensiver Begeisterung. Anlass dafür ist das sehr beachtenswerte Schaffen Darren Haymans, am ehesten bekannt durch die gewesene Band Hefner. Auch darin liegt ein Grund für die mangelnden Beinbaumelqualitäten. Allo Darlin‘ singen über Darren Hayman? Yeah! Wer mag da nicht hüpfen?
Und weil Hayman auch nach seiner Zeit als Frontmann Hefners großartige Songs schrieb, findet sich auf der B-Seite das Stück „Wu Tang Clan“, in dem es wiederum um begeistertes Tanzen geht. Warum das nun der Wu Tang Clan sein muss, wissen nur in dessen Schaffen Eingeweihte. Wichtiger als dieser und dieses ist die Botschaft des Songs, eine Variation des Themas „Alle werden älter, aber ich mache noch denselben Quatsch wie eh und je… und die heiraten. Und erwerben Immobilien. Mhm.“ mit der abschließenden Botschaft „Es ist okay, wunderlich zu sein.“ Dazu kann man dann fein mit den Beinen baumeln. Ah, und hatte ich erwähnt, dass es sich hierbei um ein eine Picturedisc handelt, auf der sich was befindet? Ein Porträt Darren Haymans (A-Seite) sowie eine Zeichnung von ihm (B-Seite), genau.
Ihr habt es bestimmt schon gemerkt, die besprochenen Singles sind nicht unbedingt der allerneuste Scheiß, sondern heißes Zeug, weil, dem Medium entsprechend, limitiert und deshalb nicht ewig erhältlich. Das eine bedingt das andere, denn mal ehrlich: mehr als 1000 Stück werden doch kaum von einer Single gepresst, nicht bei diesen Bands, und Gruppen größerer Ordnung veröffentlichen selten 7″.
Warum das Geschreibse drum herum? Um zu sagen: „Hej, die und die Singles sind noch erhältlich, und sie sind gut, weshalb es ja wohl eigentlich eine Schande ist, dass sie noch regulär erhältlich sind.“
Es mag eingewendet werden: „Schande? Wie bitte? Schändlich ist anderes!“, was stimmt. Schändungen sind es, und Jamie Stewart, Sänger bei Xiu Xiu, wurde geschändet, also vergewaltigt.
Auch, aber nicht nur davon handelt die babyblaue 7″ „Daphny“, deren Titelstück bereits erwähntes Verbrechen zum Gegenstand hat und also für die Band gewohnt schwere Kost ist. Es wäre verständlich, die Single nun nicht erwerben zu wollen, es mutet doch schon ein wenig makaber an, Leid in Form eines Popsongs zu konsumieren. Daran ändert auch das Cover des Rihanna-Stücks „Only Girl (In The World)“ auf der B-Seite nichts, im Gegenteil, die ganze Sache wird dadurch um einiges komplizierter. Wenn noch dazu kommt, dass die Labels der Platte komplett schwarz sind und auf dem Cover „Fuck The Police“ prangt ist das, egal, welche Geschichte dahinter stehen mag, eine eindrucksvolle Erinnerung daran, dass es sich auch bei einer 7″ um ein Kunstwerk handeln kann.