TychoDive
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Referenzen:
Boards Of Canada, Brian Eno, Telefon Tel Aviv, Ulrich Schnauss, Bibio, Jon Hopkins
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Autor: |
Markus Wiludda |
Scott Hansen alias Tycho vertritt eine Musikphilosophie des Einfachen und Schwelgerischen. Sein Album ist eine traumhafte Vision, ergiebig und lässig und wird gewiss viele Anhänger der Boards Of Canada glücklich stimmen. Denn „Dive“ ist eine gelungene Melange aus Chillwave und Ambient und wer dazu dann „Balearic“ oder gar „Chillout“ sagen möchte, darf auch das tun, ohne Gefahr zu laufen, mit verächtlichen Blicken gestraft zu werden.
Das Grundgerüst des Albums ist schlicht: Ausgewaschene Synthies, immer etwas leiernd, bieten den Flokati für die Extras. Überall weht der nahbare Charme des Analogen. Der mag zwar nicht ohne die Hilfe moderner Computerproduktion arrangiert worden sein – aber das erscheint zweitrangig, wenn sich warme Flächen im Lautsprecher räkeln und eine Gemütlichkeit erschaffen, der man sich nur allzu gern hingibt. Die Ästhetik lebt von der latenten Unschärfe, die aber nie in eine Lo-Fi-Produktion abdriftet. Dazu: Freundliche, kugelrunde Beats, die Wärme und Geborgenheit ausstrahlen. Fast alle Songs laufen so mit offenen Armen auf den Hörer zu, wollen etwas von der Ausgeglichenheit abgeben, die sie im Übermaß besitzen. Es ist Musik, die keine Zurückgezogenheit und kein Geheimnis kennt.
Die Songs auf „Dive“ beschwören das Stehenbleiben, Innehalten und Gedanken-Nachhängen. Das Träumen-und-schweben-dürfen. Es steckt eine gewisse Entgrenzung und Utopie in diesem Werk, was zulässt und ermöglicht und sich gegen alles sperrt, was Gedanken ausschließt. Empfindungen in Reinform werden hier katalysiert, sofern Hörer oder Hörerin in der richtigen Stimmung dafür sind und sich einlassen auf eine Atmosphäre, die vor allem auch vom äußeren Rahmen abhängt.
Es mag eine banale Erkenntnis sein, vielleicht nicht einmal das, aber die Musik von Tycho ist vor allem eine Solosache. Eine Ohrstöpsel-Sache. Eine Draußen-Sache. Sie ist in zwei Richtungen offen: Nach innen – und hingewandt zur Welt, spielt Vermittler zwischen diesen beiden Polen und glüht erst dann so recht, wenn alle Faktoren zusammenspielen.
Besonders stimmungsintensive Momente werden ungemein vervielfacht, hört man Tycho. Dazu bieten sich eigentlich auch nur zwei Szenarien an:
a) Hitze & deren Nachklang
Sommer, lähmende Hitze. Schäfchenwattewolken ziehen vorbei, man spielt Schmetterlingslandeanflugbeobachter und wälzt sich im Halbschatten im satten, duftenden Gras. Dazu der entlaufend warme Ambient von Tycho – perfekt! Geht auch abends, wenn die Luft schon etwas kühler ist, was sie noch viel reiner und erfrischender schmecken lässt.
b) Nasskalte Nächte
Herbst, ungemütliche Windkapriolen. Blätter kleben an den Schuhen und wirbeln um einen herum. Die Bäume schütteln das Laub ab, diesen Ballast des Lebens. Mit einer halben Flasche Rotwein im Blut und einer schützenden Schicht an dicken Wolljacken stapft man los ins Dunkle, ist melancholisch und euphorisch zugleich in schwebender Ambivalenz.
Tycho liefert die Gebrauchsanweisung dazu gleich in seinen Betitelungen mit und startet mit „A Walk“ den rein instrumentalen Reigen. „Dive“, „Adrift“ oder „Elegy“ heißen seine Songs, die fast übergangslos aneinandergereiht sind. „Ascension“ stellt ein bisschen die aktuelle Diskussion um „Hypnagogic Pop“ nach, „Coastal Break“ holt von Wellen umspült die Akustikgitarre heraus, um sie dann doch bloß wieder in der Sonnenflut der Analogkeyboards zu verstecken, während die Beats einen steten Takt vorgeben, der sich nur Nuancen von Song zu Song verändert. Kaum merklich sind sogar die stolpernden HipHop-Beats bei „Adrift“, die auf verkaterte Synthies treffen.
„Dive“ bleibt dabei immer klar und direkt, vertritt seine Dimension des utopischen Denkens, die darin besteht, alle Ironie, allen Zynismus und alle Resignation zu überwinden. Was bleibt ist Nähe und Gefühl – eine Grundwärme, die sich durch alle Titel zieht. In der Konsequenz heißt das aber auch: Dieses Album bietet wenige wirklich überraschende Momente. Es ist Album mit eskapistischem Anspruch, den die Sogkraft der Wiederholung und die minimale Variation zu bestätigen versuchen. Und das gelingt! Herausgekommen ist ein unendlich elaboriertes und schönes Ambient-Geflecht. Eine Platte, die anfangs gefällt und dann später immer größer, vielschichtiger und interessanter wird. Eine friedvollere Platte ist in diesem Jahr wohl nicht erschienen.
Label: Ghostly
Referenzen: Boards Of Canada, Brian Eno, Telefon Tel Aviv, Ulrich Schnauss, Bibio, Jon Hopkins
Links: Homepage | Label | Facebook
VÖ:04.11.2011
Wirklich tolle Platte!
Sehr schön, ja!
Hours war der genialste Song für diesen Sommer! :) Hoffe der Rest ist auch so…
[…] Da gibt es Referenzen zum Dream Pop von jj oder Beach House, Verästelungen zu Chillwave von Tycho, zur reduzierten Ästhetik von The xx oder auch zum modernen Soul von James Blake – jedoch zu 70% […]