Beathaka! Nigeria Calling: Nneka im Interview

Am Anfang ist Stille. Und dann kommt das Wort. Nneka Egbuna dreht jeden Satz scheinbar zwei Mal in Gedanken um, bevor sie ihn sagt. Oft rutscht ihr ein langgezogenes „well“ über die Lippen, bevor sie auf Fragen antwortet. Während des Telefonats sitzt sie auf dem Dach von Sony in Berlin. Interviews können nur auf eine Art überzeugen: „Wenn sie interessant sind.“ Beiläufig pustet sie davor ein wenig Luft raus. Dann ein lautes Lachen. „Also, entweder bestehst Du die Prüfung oder Du fällst durch.“ Nneka hat um halb drei bereits fünf Interviews hinter sich. Zumindest schätzt sie das so, denn sie zählt da nicht mit.
Das Interesse an der nigerianischen Sängerin ist groß. Und das verdankt sie einer Stunde, die sie zusammen mit ihrem Producer DJ Farhot in die Aufnahme des Tracks „Heartbeat“ investierte. „Farhot hatte diesen Drumloop laufen ohne ein richtiges Arrangement. Und als ich den Drumloop hörte, dachte ich an einen Herzschlag. Und das ist exakt, was passierte. Ich schrieb den Refrain zuerst, dann die Strophe und dann die zweite. Es war nicht so schwierig.“ Danach ging es daran, dem Gerüst weitere Instrumente hinzuzufügen. Auch der Rhythmus war mit dem Loop noch nicht komplett: „Wenn Du diese Drums hörst, klingen sie wie von einer Maschine, aber es sind richtige Drums.“
„Can you feel my heart beating? No no no no no… You don’t, don’t see, don’t feel, don’t give a damn.“
Vor drei Jahren pumpte dann der Takt zu treibend, rotierte der Bass zu stoisch, um an diesem Track vorbeizukommen. Darüber der Refrain, den Nneka mit ihrer Stimme zerlegte. Kein anderes Element saß in diesen knapp drei Minuten so drin wie ihr Organ. Nneka wußte, dass sie da eine gute Nummer baute, aber trotzdem steckte keine Berechnung dahinter, keine Absicht, den großen Wurf zu landen. „Nein, abgesehen davon, dass ich wusste, dass es ein guter Track ist. Aber es stand für mich nie im Mittelpunkt, einen Song wie diesen zu machen. Ich habe es von Herzen gemacht. Es war ein sehr, sehr einfacher Prozess.“
Diese Leichtigkeit rissen die Jungs von Chase & Status aber in ihrem Remix mit einem polternden Drum’n’Bass-Brand ein. „Anfangs mochte ich es überhaupt nicht.“ Nneka holt tief Luft. Aber der Track wuchs für sie ein wenig und die Plattenfirma glaubte, dass so der schwierige englische Markt erschlossen werden könne. „Es war nichts, das ich zu Beginn abgesegnet hätte, aber ich sagte: Kein Problem, so lange es nicht meinen Stil oder meine Stimme verändert, das Original draußen ist und die Leute davon wissen. Und sie haben einen guten Job gemacht.“ Der Remix landete auf einer EP, auf der sich auch ein Feature mit Nas fand.
Geboren wurde Nneka 1980 in Warri, einer Stadt mit etwa einer halben Million Einwohner in Nigeria. Kurz vor der Jahrtausendwende zog es sie nach Hamburg. Ohne eine einzige Veröffentlichung schaffte sie es vor knapp zehn Jahren ins Vorprogramm von Sean Paul, während sie für Anthropologie an der Uni eingeschrieben war. Nach der ersten Platte 2005 ging es vor Seeed und Gnarls Barkley auf die Bühne. „No Longer At Ease“ als zweites Album sorgte drei Jahre später endgültig für eine größere Öffentlichkeit. „Heartbeat“ ging auch bei MTV Deutschland in Rotation. Auch jenseits von Nigeria und Europa spitzten sich die ersten Ohren. Ihre beiden Alben fasste Decon Records dann für den amerikanischen Markt zu einer Kompilation zusammen. Die Elite des Conscious Rap um die Roots feierte die Platte gebührend und die Musikkritik zog fleißig Vergleiche zu Lauryn Hill und Erykah Badu. „Es ist nett, mit diesen Leuten verglichen zu werden, weil sie Vorbilder sind. Aber ich muss die Welt daran erinnern, dass jeder seine Einzigartigkeit hat.“
„What is the mind without the heart? What am I without my shadow?“
Vor den Aufnahmen zu ihrer dritten und aktuellen Platte „Soul Is Heavy“ ging Nneka zurück nach Nigeria. „Es ist einfacher, einen Platz dort zu haben, als immer nur dorthin zu reisen und wiederzukommen. Auf der anderen Seite muss ich dort eine Menge Zeit verbringen, mich wieder mit meiner Familie und meinen Freunden in Verbindung setzen. Und auch um meine Karriere dort voranzubringen.“
Sie schrieb fast fünfzig Songs in den letzten zwei Jahren. „Manchmal nutze ich die Gitarre, manchmal höre ich einen Beat und das gibt mir einen Anstoß, manchmal schreibe ich einfach nur so ohne eine Melodie und die kommt erst später. Es variiert.“ Viele der Songs entstanden in ihrem Apartment in Lagos. Letztendlich schafften es fünfzehn davon auf ihre neue Platte. Von dem Druck und der Erwartungshaltung vor der Veröffentlichung kriegte Nneka beim Schreiben nichts mit. „Vielleicht später, da hatte ich diese Auseinandersetzung mit der Plattenfirma. Da ist keine Single drauf, da ist kein „Heartbeat“ drauf, diese Art Druck. Ich sagte ihnen, das ist, was ich habe und das ist alles, was ich habe. Es tut mir Leid, aber ich gehe nicht zurück und zerbreche mir den Kopf, um einen Hit zu machen.“
Aber „Soul Is Heavy“ kommt auch ohne offensichtlichen Hit aus, dafür spannt sich eine zu geschlossene Atmosphäre über die Platte. Zu durchdacht ist jede Minute auf dem Album. Dass Nneka kein Entertainer sein will, hat sie schon öfters betont. „Das ist nicht mein Ziel. Der Ruhm ist mir komplett egal. Es ist offensichtlich gut, mehr Publikum zu haben und eine Plattenfirma, weil die mehr Menschen erreichen und dazu bringen möchte, dein Album zu kaufen, damit sie mehr Geld verdient. Das ist derzeit nicht meine Absicht.“
„Manchmal kämpfte ich mit den Texten, manchmal mit der Melodie.“ Wo andere Künstler ihr eigenes Werk loben und selbstzufrieden sind, antwortet Nneka fast selbstkritisch. „Ich wollte einfach loslassen, wollte es raus lassen. Es hat zu lange gedauert an den Tracks zu arbeiten, sie abzumischen. Ich weiß nicht, ob ich zufrieden bin. Ich denke nicht, dass ich es bin. Aber ich denke, dass ich für den Moment das Beste getan habe.“
Musik ist bei Nneka zwar keine trocken-seriöse, aber trotzdem eine ernste Angelegenheit. „Es ist etwas, das ich mit meinem Herzen, das ich jeden Tag tue. Ich möchte es nicht als Job sehen, als etwas, dass mich auslaugt. Ich möchte inspiriert sein durch die Reisen, die Treffen mit Leuten, die ich glücklich mache. Und damit mache ich auch mich glücklich.“
Viele Dinge haben sich in den letzten Jahren für Nneka verändert. „Ich habe Gitarre spielen gelernt. Zwar noch nicht perfekt, aber ich bin besser, als ich jemals war. Ich denke, dass ich musikalischer geworden bin, ich höre mehr auf das Detail in dem, was ich mache und was andere machen. Ich denke, dass ich mich über bestimmte Themen weiterbilden konnte. Aber ich bin immer noch nicht da, wo ich sein sollte.“ Ihre Stimme sackt dabei ab. Sie wird leiser: „Und es gibt ein paar negative Dinge, die ich angenommen habe. Vielleicht bin ich in meinem Kopf chaotischer geworden … irgendwie, nicht wissend, wo ich im Moment stehe.“ Der Rest des Satzes geht in einem Wust aus schlechter Verbindung und Halbsätzen unter. An vielen Stellen wird Nneka zwar nicht ernst, aber sachlich. Ein wenig Wehmut hängt manchmal an den Worten, die sie bedacht ausspricht.
„Why do we want 2 remain where we started? And how long do we want 2 stop ourselves from thinking?“
Wer mag, kann Nneka gerne eine politische Sängerin nennen, auch wenn sie sich nicht nur auf Sozialkritik versteht. Aber kaum eine Stimme der aktuellen Zeit spricht die Probleme so klar an wie sie. Schon der Titeltrack von „Soul Is Heavy“ ist da deutlich. Auch ihr Glaube spricht aus den Lyrics, sammelt sie ihre ersten Gesangserfahrungen vor Publikum ja auch in der Kirche und im Schulchor. „Shining star“ schmiegt sich ans Innenohr und auch „J“ verwundert zu erst. Sanft rollen sich die Melodien da über die Pianotasten ab. Nneka verknüpft HipHop, Reggae und Soul, aber nicht so wie es tausendundeinmal bereits beschworen wurde. Mit ihrer Musik transportiert sie Gefühle, die sie sich beim Schreiben vor Augen ruft und die beim Hören auf der anderen Seite der Boxen wieder auftauchen. Nnekas Sound ist eindringlich, aber nie aufdringlich.
Sie hat einen eigenständigen Sound, der seine Wurzeln klar im HipHop hat und oft auf dessen Rhythmen zurückgreift. Dabei singt Nneka die meiste Zeit mehr, als dass sie rappt. Zum ersten Mal hörte sie HipHop noch in Warri. Während sie auf der Straße Essen verkaufte, gab ihr ein junger Mann per Walkman die Fugees auf die Ohren. „Das war mein allererster Flash!“ Auf „God Knows Why“ gibt es auch von Nneka ein paar Rhymes und Black Thought von den Roots als Feature. „Ich brauchte eine Stimme, die unverfälscht ist und zu der man einen einfachen Zugang hat. Er ist ein Soldier. Diese Einstellung gefällt mir.“ Die Verbindung zu den Roots besorgte Producer J. Period, mit dem Nneka vor zwei Jahren ein gemeinsames Mixtape erstellte. Auf dem ließen etwa Talib Kweli und Jay Electronica ein paar Zeilen fallen. Für die Roots eröffnete sie ein paar Shows in den Staaten. Die Idee, Nas erneut als Feature zu nehmen, fiel hinten rüber.
Auf ihr bestes Konzert angesprochen, überlegt sie für einen kurzen Moment. „Ich spiele viele kostenlose Shows in Nigeria. Ich denke, das sind diejenigen, die ich wirklich hoch schätze.“ Nneka gibt den Menschen in ihrer Heimat Hoffnung. „Das ist es, was mich antreibt. Wenn ich die Leute nicht inspirieren würde, dann gäbe es keinen Grund für mich, Musik zu machen.“ In Nigeria kommt es weiterhin immer wieder zu Unruhen und Gewalt. „Ich bin für Einheit und für Liebe. Ich vereine Nigeria, egal wie viele unterschiedliche Völker durch die koloniale Trennung existieren. Sie wissen, wofür ich stehen, obwohl ich nicht perfekt bin.“ Mit dem Musiker Ahmed „Genda“ Nyei gründet sie vor ein paar Jahren R.O.P.E., eine nicht-staatliche Organisation. Sie möchte damit Jugendlichen in Nigeria und auch Deutschland eine Möglichkeit geben, sich in Workshops durch Musik und Kunst über bestimmte Themen auszudrücken.
Seit dem Erscheinen ihres Debüts vor sechs Jahren bleibt Nneka ihrem Sound treu. „Ich hatte nie irgendwelche Ziele, also … Aber ich werde wohl nie so singen können wie Mariah Carey.“ Sie lacht. Und das kommt von Herzen. Dann wird sie stiller. „Und ich werde nie die Möglichkeit haben, mit Bob Marley zusammenzuarbeiten.“
Bild: Jens Boldt