MartynGhost People

Geradlinigkeit und Schieflage sind besonders im elektronischen Bereich von Belang. Gerade auf das allerorten heftig herbeigesehnte zweite Album des in den Niederlanden geborenen, inzwischen in Washington D.C. beheimateten DJs und Produzenten Martyn trifft dies zu: Hatte doch gerade sein Debütalbum „Great Lengths“ den verqueren Schritten des Dubstep die Albumlänge erschlossen. „Ghost People“ bringt nun dem Dubstep das Laufen bei. Mit größtenteils ziemlich geraden Beats und – so viel sei dem Avantgarde-affinen Elektonikinteressierten doch zugestanden – reichlich knarzigen und schrägen Sounds.

Dabei geht es thematisch passend um Szene und Szenebewusstsein, Oberfläche und Untergrund, Hören, Tanzen, Sein. Und um die „Ghost People“: DJs, denen es nicht um Musik, sondern um Trends geht und denen Erscheinung mehr bedeutet als Inhalt. So geistert eine Frauenstimme durch „a lot of sex and a lot of pleasure and a lot of nothing“ zu Trance-Synthies und forschen, aber schiefen Beats und vielen Knickern und Knackern in „Distortions“. „Masks“ werden getragen und die Beats wie in „Masks“ sind zwar ähnlich verknarzt, aber auch sehr direkt und offensiv mit Hang zur Langeweile, während „Popgun“ noch mehr reinknallt.

Doch Tanzböden müssen nicht die Welt bedeuten und die Eindeutigkeit ist Martyn dann doch zu billig, so lässt er nicht umsonst seinen Labelkollegen The Spaceape in Roboterstimme die Menschlichkeit von Maschinen deklarieren. Wer wird zum Menschen, wer zur Maschine? Detroit-Techno findet sich in „Horror Vacui“, stotternde Ambientflächen in „Bauplan“. Die Antworten und Stilrichtungen sind vielfältig, leicht unentschlossen und vorsichtig futuristisch. „We Are You In The Future“ wabert sich spacig Schicht um Schicht durch einen Drum’n’Bass-Beat und tausende Effekte, spielerisch ineinander gemixt bis es dröhnt. Maschinen und Zukunft, gab es solche Zukünfte nicht schon vor geraumer Zeit?

Das alles gibt „Ghost People“ einen kalten Glanz und eine Dancefloortauglichkeit bei gleichzeitigem Avantgardeanspruch, was als sowohl-als-auch, aber auch als weder-noch interpretiert werden kann. Vielfalt bzw. Unentschlossenheit sind oftmals nur zwei unterschiedliche Blickwinkel auf die selbe Sache. Martyn weiß, was er tut und er lässt sich auf allerhand ein. Die Rechnung „Viel Genre, viel Ehr’“ ist eine Milchmädchenrechnung, aber gekonnt ist sein Tun allemal. Immerhin begegnet er dem Staub, den er aufwirbelt, mit Überraschungen und neuen Wegen.

69

Label: Brainfeeder

Referenzen: Kode9, Pangaea, Modeselektor, TRG, Aphex Twin

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VÖ: 14.10.2011

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