Zugegeben, bei all den in letzter Zeit pilzgleich aus dem Boden sprießenden, harmlos janglenden und schrammelnden Indiepopbands ist es durchaus nachvollziehbar, dass der eine oder andere dem nun nach einigen vielversprechenden Vorabsongs erscheinendem Debütalbum der Veronica Falls mit eher verhaltener Euphorie entgegenblickt. Mit rumpeligem Gitarrensound und bittersüßem Frauengesang gerät man heutzutage eben schnell unter Trendverdacht.

Doch nochmal von vorne: Kann man den so sympathischen wie geschmackssicheren Traditionsindies von Slumberland nicht eh immer und überall vertrauen? Und wer oder was war eigentlich noch mal dieser „Twee“? Die erste Frage ist unbedingt mit „ja“ zu beantworten, was der Gesamtkatalog des Labels von Velocity Girl bis Pains Of Being Pure At Heart und in diesem Jahr vor allem auch den tollen Gold-Bears eindrucksvoll belegt. Zweitens bedeutet „Twee“ übersetzt ungefähr soviel wie „süß“ bis „nett“ und bezeichnet laut deutscher Wikipedia „eine Variante des Indiepop, die sich durch einfache, hübsche Melodien und Texte auszeichnet.“

„Süß“ oder „nett“ wollen die aus den glorreichen Sexy Kids (die es leider nie auf mehr als auf eine Single brachten) hervorgegangenen Veronica Falls trotz adretter Bobfrisur der Sängerin aber gar nicht sein, weshalb sie ihre Indiepop-Version mit geballter Velvet-Underground- und Postpunk-Schlagseite ausstatten und die Twee-Romantik, wie in „Found Love In A Graveyard“ von der Blümchenwiese auf den  Friedhof verlagern. Wer gerne mit hippen Präfixen um sich wirft, könnte also getrost von Goth-Twee reden, womit die geeignete Nische für diese Platte also flux geschaffen und ihre Existenz mehr als hinreichend gerechtfertigt wäre.

Kommen wir also nun zum eigentlich Wichtigen, der Musik, zu der es, was die dreiste Zeilenschinderei in der Einleitung höchstens halbwegs gelungen zu übertünchen weiß, eigentlich gar nicht soviel zu sagen gibt. „Nicht viel zu sagen“ ist in diesem Fall allerdings ausnahmsweise und ausschließlich positiv zu werten: Denn das, was Veronica Falls hier abliefern, ist letztendlich nicht weniger als das Album, welches nicht nur die Versprechen der eigenen Vorabsongs restlos einlöst, sondern die ihrer leider meistens nur bis zu dreiviertelguten Artvewandten von den Crystal Dum Dum Vivian Girls gleich mit. Dazu benötigt die Band nicht viel mehr als ein paar halbstarke, manchmal an die Pixies erinnernde Gitarren, jede Menge Harmoniegesänge und schlichtweg hinreißende Melodien, die das Album vom Status einer ganz gewöhnlichen Indiepop-Platte direkt in den Jangle-Olymp katapultieren. Das Schlussstück „Come On Over“ beispielsweise ist so ein kleiner Geniestreich von einem Song, der erst verhangen beginnt, das Tempo unter mächtig hallenden Gitarren plötzlich anzieht, es trotzdem immer wieder leicht verschleppt, nur um den Moment herauszuzögern, in dem er sich mit himmlischen Falsett-Chören selbst die Krone aufsetzt.

Die grundsätzliche Skepsis dem aktuellen Schrammelpoprevival und seinen allzu banalen Auswüchsen gegenüber mag zwar auch nach diesem Album weiterhin nicht unberechtigt bleiben. Veronica Falls beweisen mit ihrem Debüt jedoch einmal mehr, dass es eigentlich nur eins braucht, um sich aus der grauen Masse hervorzuheben: Verdammt gute Songs.

80

Label: Slumberland / Bella Union / Cooperative

Referenzen: Vivian Girls, Dum Dum Girls, The Raincoats, The Pastels, The Vaselines, The Velvet Underground

Links: Homepage | MySpace | Albumstream

VÖ: 21.10.2011

13 Kommentare zu “Veronica Falls – Veronica Falls”

  1. kevin sagt:

    Heutabend kommt meine Meinung auf PT. ;)

  2. Recht haben Sie, Monsieur! Letztes Jahr habe ich mich mehr oder minder gelenkig – die Gischt des Zorns bringt ja auch gern Gicht mit sich – über diese ganzen gleich klingenden Bands ausgelassen; Veronica Falls kamen als so ziemlich einzige davon gut weg.

    http://thebashfuldodger.blogspot.com/2010/10/dont-believe-hype-but-do-listen-to-it.html
    http://thebashfuldodger.blogspot.com/2010/10/dont-believe-hype-ii-ich-und-du-wir.html

    Komischerweise finde ich gerade jetzt immer mehr Verhalltes, das ich dann doch mag. Kein Wunder eigentlich – Hall isch de Koffer! Best Coast, Dum-Dum- und Vivian Girls fehlte es ja nur an Songs, nicht an Sound. Und letzterer neue Platte begeistert mich sogar nachgerade. Seapony seien auch mit auf die Love-Liste gesetzt.

    Aber Slumberland kann man doch gerade nach der letzten Pains-Platte nicht mehr ungeprüft aus der Hand fressen. Nein, das ist ein abscheuliches und überflüssiges Album. Die Crystal Stilts, die neue, ist auf Songwritingseite auch erschröcklich uninspiriert, kein einziger richtiger Song; dafür, ganz im Gegensatz zur Pains, famos produziert. Aber Sie haben eigentlich ja trotzdem recht; es verlangte mich nur danach, die Erbsen am Wegesrand zählen.

    Veronica Falls hätten sich gern ein bißchen weniger Zeit im Studio gönnen können, finde ich. So toll das Album ist, hätte ihm weniger Sorgfalt ganz gut zu Gesicht gestanden. Ich höre förmlich das Warten vor dem Aufnahmeraum und die Regieanweisung: „Ja, sehr schön… Aber einen Take machen wir noch, das geht noch präziser…“

    I can’t help myself, die Platte ist theoretisch total toll, aber so sehr wie bei den vorigen Veröffentlichungen oder der neuen Vivian Girls zündet’s irgendwie nicht. Blame it on the tape recorder…

  3. „zu“. „zu zählen“.

  4. Ist vielleicht eher das Problem, dass die Aufnahmen nicht ganz einheitlich sind? „Found Love In A Graveyard“ wurde zwar hörbar neu eingespielt, aber bei „Beachy Head“ bin ich mir z.B. recht sicher, dass es noch die Singleversion vom letzten Jahr ist. Könnten auch noch ein paar andere älter sein, genau kann ich das aber erst sagen wenn ich mal die LP habe.

    Und ich hatte echt verdrängt, dass die letzte Pains auch auf Slumberland rauskam, wirkt irgendwie gar nicht so. Aber was soll das Label auch machen, Vertrag kündigen und seinen größten Geldbringer rausschmeißen? :)

  5. Bastian sagt:

    Na und so schlimm war „Belong“ nun auch wieder nicht.

  6. Lennart sagt:

    Mhm. Ich bin jedenfalls verliebt in das Album. Da liebt man die Fehler mit. Verliebt sie mit, weil, ist ja nicht lieben, verliebt sein… ob das noch was wird mit der Liebe? Liebe, Liebe, Liebelei? Wird sicher mehr draus.

  7. Hmm…muss ich nochmal auf Uneinheitlichkeiten anhören, vielleicht ist da was dran. Und ich war ein bißchen beleidigt, dass das Roky-Erickson-Cover nicht draufkam. In den bin ICH gerade schwer verliebt. Wenn der nur nicht so bärtig wäre… Apropos Haar, nein, davon kann ich kein gutes an „Belong“ lassen, keine Melodien und produziert wie U2. Die Geschichte ist voller aufregender Platten, die man noch nicht kennt, warum dann ausgerechnet sowas? Aber man muss das natürlich selber wissen.

  8. Bastian sagt:

    Die dicke Produktion von „Belong“ stört mich wenig, eher schon die fehlenden Melodien. Ein paar gute Songs waren dann aber schon noch dabei. Ich krame das Album alle paar Monate mal wieder hervor und frage mich, ob ich es nicht doch unterschätzt habe. Nach ein paar Liedern gibt sich das dann aber wieder. Es gab sicherlich auch in diesem Jahr, Platten, die es sich eher lohnte zu hören, da hast du Recht, und die da oben ist ganz sicher eine davon.

  9. Ich hörte auch schon von Menschen (solche mit Geschmack sind darunter), die da Melodien raushören. Aber ich habe nach zwei bis drei Versuchen die Suche aufgegeben.

    In „Sexbeat“ schrieb Diederichsen etwas eventuell Passendes, das suche ich heute Abend vielleicht mal raus. Ein seltsames Buch übrigens. Für viele der damals Guten (damals gab es ja noch die richtige Seite, auch wenn sie nicht immer Recht hatte) war es aber wichtig und richtig. Doch ich komme vom Punkt…

  10. Hmm.. Buch verlegt. Naturgemäß. Aber was braucht man auch die Initialen D.D. in der Fußnote…

  11. Sooo, jetzt wo ich das gute Stück habe muss auch noch soviel Penibilität sein: “Beachy Head” steht tatsächlich als alte Aufnahme ein wenig niedrigfidelischer heraus, außerdem wurden Track 9 bis 11 anderswo eingespielt als der Rest. Stört mich jetzt aber nicht, vor allem, weil „Beachy Head“ weniger auffällig als erstes auf der B-Seite platziert wurde und ohnehin etwas druckvoller daherkommt.

  12. […] Oh, ich kann Twee-Pop leiden. Hab fast gar nichts gegen ein niedliches Frauenstimmchen und sympathische bis kecke Melodien einzuwenden. Jenem quirligen Indie-Pop mangelt es nur selten an Unterhaltungswert, auch weil nur größtmögliche Tollpatschigkeit ein ansprechendes Ergebnis zu verhindern vermag. Eine knuffig lärmende Gitarre, dazu tänzelnde Drums und Tamburingerassel – auf diesem Fundament lassen sich selbst mit überschaubarem Songwriter-Talent nette Lieder bauen. Die Londoner Formation Veronica Falls katapultiert mit ihrem gleichnamigen Debüt (VÖ: 21.10.2011 auf Cooperative Music) das Genre keineswegs in ungeahnte Höhen, beschert aber eine liebliche Kurzweil, an der nichts zu bemäkeln ist. Gutes Songwriting, fluffige Umsetzung und eine untranige Stimme, kurzum eine saubere Leistung ohne Fehl und Tadel. Als Glanzlichter des Albums wären The Box, Misery, Bad Feeling sowie Come On Over zu nennen. Die Band gastiert derzeit in Deutschland, heute in Berlin, das schreit förmlich nach einer zweifelsohne feinen Abendgestaltung! (Mehr zu dem Album findet sich bei AUFTOUREN.DE) […]

  13. […] sein kann und wahrscheinlich auch sein sollte. Das, was Bands wie die leicht angegothten Veronica Falls (oder auch jenseits des Atlantiks die energetischen Hochgeschwindigkeitspopper Gold-Bears) […]

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