Nathan (VI) Drinnen & Draußen

„Ich wollte tanzen gehen … Moment, wir wollten tanzen gehen, so war das. Na, vielen Dank auch.“
Das Problem lag nicht darin, dass Lisa inmitten einer Traube von Menschen streiten wollte. Die waren eh laut genug, um eine zivilisierte Auseinandersetzung, bestehend aus Grummeln und Augenrollen, gar nicht erst mitzubekommen. Und zu mehr reichte es nicht, zum einen, weil es einfach nicht Lisas Art gewesen wäre, zum anderen, weil sie sich ein wenig im Unrecht fühlte. Und da poltert es sich schlecht.
Sie und Nathan hatten verabredet, zum Tanzen in den Pudel zu gehen, er wollte vorher noch auf ein Konzert, auch damit konnte sie leben. Nicht leben können wollte Lisa nun aber mit der Aussicht auf die Enge einer gut gefüllten Astrastube. Dort haben zwar nicht viele Menschen Platz, diese aber werden nur zu schnell zu einer einzigen Masse, permanent aus 30 ihrer 70 Münder rauchend, deren Körperwärme man ebenso wenig entkommen konnte wie dem Wissen über die Ernährungsgewohnheiten des schwitzenden Vordermanns. Carnivoren riechen nämlich. Nun, sie musste ja nicht zwangsläufig auf einen treffen … er könnte sich auch gerade erst geduscht haben, naja, und riechen, sie riechen ja nicht wirklich immer … ach was, der schlimmste Fall ist am besten, wenn ein maulender Mund gefüttert werden will, und der zermalmt schon mal Unbeteiligte. Andererseits war sie ja damit einverstanden gewesen … was wäre nun konsequent? Die Abmachung einhalten oder das Schmollen nicht aufgeben?
„Zu Veranstaltungen mit elektronischer Tanzmusik taucht man nicht so früh auf,“ hatte Nathan gesagt, „zumindest dann, wenn man nicht schon eine durchfeierte Nacht hinter sich hat … falls man eh noch drauf ist, dann ist es wohl auch besser, in irgendeinen Frühclub zu gehen, das ist dann so eine Art Biotop. Und dann geht man halt auch früh aus. Komisch. Scheint eine Frage der Kondition geworden zu sein, früh auszugehen.“
Im Unverständnis gegenüber komplett in diversen Räuschen verbrachten Wochenenden waren sie sich noch einig gewesen, auch dabei, auf dem Weg zur währenddessen ausgiebig gelobten Astrastube ein oder zwei Bier zu trinken. Mit dem Einvernehmen aber war es vorbei. Nathan wollte schnell rein, bevor der Laden voll war, Lisa sah diesen Zustand schon jetzt gekommen. Seine mit ungeduldigem Blick zur Tür vorgebrachte Beteuerung, es handele sich dabei aber um eine durchaus intelligente, melodische Punkband, der ein jeder Saufpunk, ein jeder alternder Unsympath im „The Exploited“-T-Shirt die „tatsächliche, öhem, vermeintliche, na, wie man halt mag“ Adelung „Punk“ absprechen würde, vermochte sie nicht zu begeistern. Nicht einmal ein klein wenig erwärmen konnte sie sich, selbst dann nicht, als er beruhigend zu erwähnen versuchte, dass man bei einer aus Israel stammenden Band ja davon ausgehen könne, zumindest keine blöden Deutschpunks zu treffen; ein etwas fadenscheiniges Argument. Wusste sie denn überhaupt, wer oder was Deutschpunks sind? Interessierte ihn das? Was für ein egozentrischer Mist … Da brachte es auch nichts, nachzufragen, würde ihm wohl passen, jetzt noch den Anlass für einen Monolog serviert zu bekommen … nein Danke. Mal abgesehen davon, dass Lisa nicht nur auf was-auch-immer-Deutschpunks, auch in Abwesenheit, keine Lust hatte, sondern auf Punk allgemein und deswegen jetzt schon einmal Richtung Hafen gehen würde, viel Vergnügen.
Oh. Hinterhergehen? Nein, also … ach, soll sie doch, und außerdem, wie sähe denn das aus, ihr nun hinterlaufen … Und würde er die Band noch sehen wollen, dann müsste er jetzt rein, also los. Hastig aufbrechen konnte er nach dem Konzert ja immer noch, wie lange dauert so was denn schon … 40 Minuten? Sicher nicht länger.
Jetzt nur nicht erkälten, immer muss man so schwitzen … schlimm, eigentlich. Nur eine Jacke besitzen ist auch schlimm, die war zu warm, der Wind zu kalt … nein, natürlich war das nicht schlimm, darüber kann man doch froh sein, eine gute Jacke ist das, jawohl. Und immerhin kann er es sich leisten, die Bierflaschen neben die Mülleimer zu stellen, muss keine suchen und darf zum Vergnügen angetrunken sein, oder halt betrunken, Kiosk, Bier, betrunken? Wenn ja, dann jetzt.
Ach, es hätte Lisa bestimmt gefallen, das waren ja gar keine richtigen Punks gewesen, TV Buddhas, allein der Name schon … obwohl … TV Smith? Nee, der nicht, TV Buddhas, guter Name, eigentlich liebe Dilettanten, Slacker mit Vorliebe für Rockmusik, 90er eher als 80er, gar kein Punk, eher was für liebe Menschen, die gerne lieb sind, das aber klug … das kann doch auch schlimmer ausgehen!
Ausgehen, ausgehen … kann ja auch nach einem Vorhaben klingen, ausgehen wollen, aber dann geht’s aus, aber der Abend, nein, noch nicht ausgegangen, aber er ging aus, und jetzt geht’s wieder durch die Straßen. Immer wieder muss man irgendwo hin, das ist der urbane Zauber, immer wieder wohin wollen zu können, und laufen, unter Bahnbrücken am besten ab und zu, vielleicht war’s das auch schon, drinnen in den Wohnungen ist alles gleich, aber das Draußen ist halt ein anderes, da gibt es noch ein paar Drinnen mehr, im Draußen.
Ein Bier zu viel? Merkt man da drin in dem Drinnen des Clubs nicht, da kommen sie doch her, die Biere … aua. Und das am selben Tag, am Tag, als er den Sekt trank … ei, ja, ein langer Tag, ein schöner Tag, schön lang, trinken, schön lang die Flasche leeren, aber schnell, die Treppe runter, mal sehen, was der Pudel so mit sich treibt, mit sich treiben lässt. Na, ist auf jeden Fall schon mal nicht weniger voll als die Astrastube … was soll’s. Und wie schön es doch ist, beides genießen zu können, beide Musiken, all die Musiken.
Erst ein wenig tanzen? Limo zum Klarkommen? Wie ist eigentlich Lisa so, also, wo ist Lisa? Ah, eine Limonade.
Die 7″ “Hello To Loneliness’” von den TV Buddhas erscheint am 21. Oktober 2011 via Staatsakt.
Die 12″ „How Are You“ von Christopher Rau erschien im Mai 2011 auf Pampa Records.