Kevin Devine: Knietief in den 90ern


Münster im Juli 2010: Auf der Bühne des heimeligen AMP steht Kevin Devine und moderiert einen Song an. Vor einigen Jahren sei er demnach etwas benommen durch die Straßen Brooklyns gelaufen, während auf seinen Kopfhörern Elliott Smith erklang. Im Rausch der Musik rief Devine einen Freund an und teilte diesem mit überschwänglicher Begeisterung mit, dass Smith das ganze Leben in einem einzigen Satz zusammengefasst habe: „They want you or they don’t“.

Die anschließende Interpretation von „Say Yes“ reihte sich damals nahtlos in das ohnehin schon wunderbare Set ein und der Autor dieser Zeilen war spätestens in diesem Moment vollkommen begeistert von diesem hageren Typen da vorne, der stets mit einer beinahe unverschämten Leichtigkeit zwischen zerbrechlichen Melodien und giftigen Anklagen mäanderte.

Besonders anschaulich lässt sich diese Spannung am Titelstück von „Between the Concrete & Clouds“ zeigen, dem neuen und mittlerweile sechsten Album des New Yorkers. Mit der Hilfe von 90er-Jahre-Gitarrenklang baut Devine einen Song auf, dessen hochmelodischer Refrain sich gleich beim ersten Hören im Kopf festsetzt, während der Text nichts anderes ist als eine bitterböse Abrechnung mit Gott, der Kirche und dem Glauben an sich: „And every single time that you opened your mouth / someone else’s lies came tumbling out / parading as the truth in a cap and a gown / a graduated curse that you cast to the ground“.

Devine zeichnet sich bereits seit dem Anfang seiner Karriere dadurch aus, dass er in seinen Liedern nicht nur fast immer aus der Ich-Perspektive erzählt, sondern im Gegensatz zu vielen Songwriter-Kollegen auch tatsächlich dieses „Ich“ ist. So singt er beispielsweise ganz nach alter Tradition über seine Drogensucht („Wait Out the Wreck“) oder seine Probleme damit, etwas aus sich und seinem Leben zu machen („Sleepwalking Through My Life“). Das Besondere daran: Die Texte funktionieren, ohne dass sie auch nur im Ansatz narzistisch klingen. Denn anstatt abgedroschene Phrasen und schiefe Metaphern abzuliefern, dichtet Devine klare Sätze, ohne dabei jedoch allzu offensichtlich zu sein.

Musikalisch ist „Between the Concrete & Clouds“ stark von den 90ern beeinflusst – wie vor allem der bereits erwähnte Titelsong oder die erste Single „Off-Screen“ belegen. Überhaupt klingt die Platte stellenweise eher wie Devines alte Band Miracle of 86, die sich um die Jahrhundertwende durch die Welt schrammelte – aber dabei kaum über die Ostküste der USA hinauskam.

Am Ende bleiben also eine zerbrechliche Stimme, melodische Kompositionen, persönliche Texte, eine Solokarriere nach einer mehr oder weniger überschaubar erfolgreichen Bandkarriere … Ja, irgendwie kommt einem das alles schon ziemlich bekannt vor, nur: Was bringen denn Vergleiche von Dingen, die nur schwerlich vergleichbar sind? Halten wir stattdessen einfach fest: Sollte Kevin Devine sich jemals fragen, ob er denn nun erwünscht ist, dann möge ihm doch bitte jeder schlicht mit „Ja“ antworten.

„Between the Concrete & Clouds“ ist am 25. September bei Artic Rodeo Recordings erschienen.

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