Der Liedschatten (40): Krieg in der Küche, Frauen im Käfig

Wie wunderschön: Es gibt Neues zu berichten! Also, nicht wirklich, aber der Autor stieß auf etwas für diese Reihe hier Neues … nun, er entdeckte es freilich nicht. Beim chronologischen Abarbeiten aller deutschen Singlehits wird nicht entdeckt, sondern abgeklappert, sozusagen. Aussuchen kann er sich da nichts, wenn heute schon wieder Bernd Spier Thema sein soll, dann wird er es auch.

Er coverte einen Song mitsamt eingedeutschtem Text … halt so wie bisher beinahe immer irgendwer. Dabei handelt es sich in der heutigen Folge um Chuck Berrys „Memphis Tennessee“, 1959 als B-Seite der Single „Back In The U.S.A“ veröffentlicht.

„Da gibt es doch Aufregendes“, ließe sich nun einwenden, „und zwar nicht nur im Sinne von anregend, sondern auch aufregen darf man sich hin und wieder viiiiel besser. Da nennt zum Beispiel ein Mensch sein Buch „Kochen ist Krieg!“, und das ist, mit Verlaub, aber auch Zorn gesagt, ziemlicher Dummfug, solange es sich dabei um keine Fiktion handelt. Und genau das soll es aber nicht sein, sondern der Autor „dreht alle Töpfe um und berichtet, was Köchinnen und Köche dort leisten oder auch verbrechen.“. Mag sein, dass in den gewerblichen Küchen der Republik keine paradiesischen Zustände herrschen, nicht für Lohnabhängige, nicht für Zutaten, erst recht nicht für umgedrehte Töpfe. Aber wenn das Krieg sein soll, dann möge erwähnte Republik die Kriegsgebiete dieser Welt doch bitte schleunigst mit, nun ja, eben Krieg überziehen.“

Richtig eingewandt! Nun aber weiter im Text. Aufmerksam wurden Spier oder sein Produzent sicher jedoch erst durch den Erfolg, den Johnny Rivers (bürgerlich John Ramistella) mit seiner Coverversion des Stückes 1964 erlangte. Vielleicht kannten sie es auch eher, das sei ihnen zugestanden.

Wenn mitten in einer Zeit britischer Dominanz solch ein klassischer, tief in den 50ern verwurzelter Song Erfolg haben kann, muss es sich dabei um etwas Erfolg versprechendes handeln … klar, Erfolg bedingt Erfolg, und zwar so lange, bis der Krug dem Brunnen den Boden ausschlägt, zerbrechender Weise. Noch ein paar Sätze drum herum, die Sache als Opportunismus bezeichnen, eine verhaltene Tirade ablassen … mhm …

Johnny Rivers / Bernd Spier “Memphis Tennessee”, Oktober – Dezember 1964

mo_tirolerDoch halt, der Autor hatte es sich vorgenommen, etwas Nettes zu sagen, weil er sich über die Besonderheit der heutigen Folge (weiter oben angekündigt, aber bisher unterschlagen) freut. Nämlich: Johnny Rivers Version war eine Liveaufnahme, das gab’s auf Platz Eins der Charts bisher noch nie, und dann wurde sie auch noch im „Whiskey A Go-Go“ in Los Angeles angefertigt, einem sehr wichtigen Nachtclub, wo Rivers fest als Livemusiker engagiert war. Bedeutsam ist das Etablissement nicht in etwa wegen der laut Legende dort entwickelten Idee, halbnackte Frauen in Käfigen tänzeln zu lassen. Die Rockhistorie als Erzählung von traurigen Blueslern, dem Rocken rund um die Uhr herum, jungen Briten auf St. Pauli, Blumen im Haar und zerberstenden, brennenden Gitarren ist auf das Whiskeys angewiesen. Sie ist nämlich für zwei Dinge besonders anfällig: Phänomene in Form von Überschneidungen und Möglichkeiten zur Wallfahrt. Und Sex, Drugs & Rock’n’Roll. Also drei Dinge, oder fünf, je nachdem, wie man’s mit der Dreieinigkeit hält.

„Was? Alle mit 27 tot?“, so etwas wird gemocht. Und dann halt eben Läden wie (Menschen, die nie dort gewesen sind, dürfen sich nun dazu ermuntert fühlen, auszurufen: „Wie? Als ob man es vergleichen könnte!“ Danke. Es macht Spaß mit Euch.) das Whiskey A Go-Go, Rockmekka der Menschen, denen bei einem solchen Unding wie dem Wort „Rockmekka“ nicht ganz anders wird. Doch auch Nostalgiker mit breit aufgestelltem Geschmack dürfen sich über sein Vorkommen in den Karrieren der Byrds, Love, Cream, Led Zeppelin, XTC, The Misfits, Elvis Costello, Roxy Music, und, ganz klar, The Doors freuen. Jene durften sich bis zu Morrisons postpubertären Tiraden bei „The End“ bezüglich des Umgangs mit seinen Eltern als Hausband des Etablissements bezeichnen.

In diesem für die südlichen USA jenseits von Anekdoten und Listen tatsächlich sehr wichtigen Club spielten also einige bedeutsam gewordene Bands und Künstler, und unter ihnen Johnny Rivers.

Rivers‘ atmosphärische, mit sonst eher bei Konzerten störendem Klatschen verzierte Version von „Memphis, Tennessee“ hält sich größtenteils an das ursprüngliche Arrangement, und daran tat er gut. Auch der Text entspricht dem Original, er beschreibt die Versuche des Protagonisten, mit einer Marie aus Memphis, Tennessee verbunden zu werden, von der er, so glaubt er, angerufen wurde, aber keine Nummer kennt. Die einzige Information über Marie besagt, dass sie 6 Jahre alt sei, denkbar, dass es sich dabei um seine Tochter oder jüngere Schwester handelt, mit der er auf Verlangen einer oder mehrerer Personen keinen Umgang mehr pflegen darf. Das ist, wir haben ja Vergleichsmöglichkeiten, eine lebensnahe, nicht zu dramatische, ergreifende Geschichte, hier funktioniert beides, Musik und Text.

Wie sieht’s damit bei Bernd Spier aus? Schauen wir mal.

Was kann man sagen? Der Song lässt sich nicht gänzlich zerstören, auch, wenn eine regungslos vor sich hin dengelnde Gitarre (die Strophe!) und der plumpe Bass sich redlich Mühe geben. Zusätzlich wurde die Geschichte noch verflacht, und so kann Spier weder mit Rivers‘ Variante noch dem Original Berrys mithalten.

Jener ist nicht ohne Grund einer der wichtigsten Musiker, wenn es um den Charakter geht, den der Rock’n’Roll kommerzieller Prägung für seine KonsumentInnen erhalten sollte. Er schrieb „Maybellene“, „Roll Over Beethoven“ und „Johnny B. Goode“, „Sweet Little Sixteen“ und „Brown Eyed Handsome Man“. Wer ihm lobhudeln möchte, sei dazu angehalten, wer darauf keine Lust verspürt und auch die hier dargebotenen Einspielungen nicht mochte, kann gerne einmal schauen, wer sich sonst noch so an Berrys Material versuchte, es sind nicht die Schlechtesten.

(Es folgt nun eine Aufzählung, die den Text ohne jeglichen Abschluss oder gar eine, räusper, „Konklusion“ oder ein „Fazit“ beenden wird. Pures Namedropping, Autoritäten und so.):

The Beatles, The Rolling Stones, The Animals, The Searchers, Elvis Presly, Buddy Holly, Brian Wilson, B.B. King, Jerry Lee Lewis, Beach Boys, Elton John, Uncle Tupelo, The Sex Pistols, The Shadows, Prince, Simon & Garfunkel, Carl Perkins und drölfzig Hundertillionen weitere Menschen, die man dann aber vielleicht gar nicht mag oder für wichtig erachten möchte. Chuck Berry aber war und ist es.

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