Reib (V): I Often Dream Of Trains

Knapp zweieinhalb Stunden Zugfahrt von Bocholt nach Dortmund, das ist happig. Insgesamt unangenehme Route, vor allem auf der Zielgeraden: Die gefürchtete S2-Linie, sowas wie die Straßenbahn des Todes.

Oberhausen, dann Zwischenhalt in Altenessen, Gelsenkirchen oder Castrop-Rauxel – wer hat da nicht genug gesehen? Entsprechendes Gäste-Portfolio inbegriffen. Der Plan: Dem ganzen Trubel entgehen, entspannt zurücklehnen und von einem gelungenen Abend mit Jana träumen, die planmäßig in Dortmund am Bahnhof wartet.

I often dream of trains when I’m alone
I ride on them into another zone
I dream of them constantly
Heading for paradise

Doch ausgerechnet jetzt streikt, natürlich, der rechte Ohrhörer. Vermaledeit. Den versprochenen Sekt – auch vergessen. Ein Shop im Bahnhof Oberhausen ist gleich die letzte Chance. „Wenn der Bahnhof Oberhausen schon zur letzten Chance wird,“ denkt Reib, „dann stimmt was nicht.“

Was soll’s, sonst gibt es gleich wieder Ärger, bevor das Treffen – oder wollen wir es lieber Date nennen, das ist alles noch nicht ganz sicher – überhaupt beginnt.

Schon im RE kurz hinter Wesel ordentlich Ramba Zamba im Zug: Nicht weit entfernt der betrunkene Junggesellen-Abschied mit rosa Schlüpfern, harmlos. Weiter vorn grölende und trommelnde Fans von Rot-Weiss Essen, mit festem Schuhwerk. Weniger harmlos.

Der wirkliche Joker aber sitzt hinten links, viel weiter weg als das Gehör vermuten lässt. Gegelter Macker, der sich neben seinem Handy und den entsprechenden Tastentönen vor allem für Kaugummi-Blasen begeistern kann.

In diesem Moment das sechste Mal, dass der angesagte Klingelton von Destinys’s Child die Runde macht. Ein Großteil der Anrufe scheint von einer Handy-Gesprächspartnerin zu kommen, bei der das Wort Eifersucht einen hohen Stellenwert in dem ansonsten vermutlich schmalen Wortschatz für sich verbuchen dürfte. Der ganze Zug hört mit, wohl oder übel.

„Was? Ach, Schatz. Neeeiiiinnn. Was, besetzt? Eine andere? Du weißt doch ganz genau, dass … nein, wirklich nicht. Schatz, ich hatte kein Netz, hallo? Hallo! Boah.“

Knappe Minute Pause, die die RWE-Fans für sich beanspruchen und von nun an gegen Destiny’s Child und Reibs linken Ohrhörer ansingen. Irgendwie eine ziemlich paranoide Mischung.

„Ja, da bin ich … Jetzt beruhige Dich doch. Nein, ich habe nicht aufgelegt. Schatz! Das würde ich nie … Jetzt hör doch mal zu, das Netz ist hier so schlecht. Ich sitze im Zug nach … Was, warum ich im Zug sitze? Ja, also … Wie? Quatsch, Hanna wohnt doch wo ganz anders. Und was hat Hanna denn überhaupt damit … Nein … hallo. Jetzt leg doch nicht …“ Verdutzter Blick in die Runde, lässig runtergespielt: „Legt die auf.“

Kurze Zeit später deutlich leiser, fast flüsternd: „Ja, was? Nein, natürlich mache ich keinen Unsinn, ich bin bei Flo und … Warum sollte ich das ganze Geld ausgegeben haben? Ach, steht auf dem Auszug. Was, ja. Aber doch nicht jetzt … Ok, sofort. Ja, bis gleich, Mama.

Das kann man so natürlich auch wieder nicht stehen lassen. So geht es munter weiter, nun wieder mit gefestigter, lauter Stimme:

„Ej Hanna! Fett, dass Du anrufst. Yeah, klar, bin auf dem Weg zu Dir. Meine Perle? Ach, die hat doch eh keinen Plan, die kriegt davon nichts mit. Mach Dir keine Sorgen. Besetzt gerade? Ach, das war meine Mudda. Die geht mir auch, äh, auf den Sack. Was? Nein, Du doch nicht …“

Endlich in Oberhausen. Wie sich das anhört: endlich in Oberhausen. Reib ist mit den Nerven am Ende. Genau acht Minuten bleiben jetzt für den Sekt, dann kommt die S2. Auf den Treppen runter zum Bahnhofsgebäude Gedrängel. Was auch sonst. Nichts mit Hitchcocks friedlicher Bahnfahrts-Idylle. Von wegen.

Auf den ersten Blick nur ein kleiner Shop in unmittelbarer Nähe. Vielleicht sollte man aber auch daran denken, sich für die Fahrt einzudecken, das kann nicht schaden.

Asti, das ist gut, das mag Jana. Zwei warme Warsteiner dazu, nutzt ja nichts. Lediglich zwei Kassen: Links die beiden älteren Damen, rechts drei Mädels mit roten Haaren, dahinter passenderweise einer der RWE-Fans. Also links, auf gut Glück.

Die erste kommt schnell durch, zahlt mit Karte. Noch 4 Minuten. Nun die zweite, mit mürrischem Gesichtsausdruck und barschem Ton: „Ich würde gern getrennt zahlen.“ Na super.

Sie zahlt dreimal den gleichen Betrag, dreimal aus einem Portemonnaie und packt die drei Pritt-Stifte sorgfältig in ihre Handtasche. Auf die anschließende Frage der Kassiererin, ob sie die Quittungen denn nicht bräuchte, entgegnet sie gereizt: „Junges Fräulein, wofür soll das denn gut sein?“

„I Often Dream Of Trains“ von Robyn Hitchcock ist 1984 via Midnight Music erschienen.

3 Kommentare zu “Reib (V): I Often Dream Of Trains”

  1. Dominik sagt:

    „Legt die auf“ ist großartig…

  2. Lennart sagt:

    Robyn Hitchcock war mir bisher unbekannt, scheint ein interessanter mensch zu sein. Besten Dank!

  3. Pascal Weiß sagt:

    Sehr gern, Lennart. Jep, ein ausgesprochen tolles Album, gibt hierzu übrigens auch eine Liveplatte, „I Often Dream Of Trains In New York“, ist vor ein paar Jahren erschienen und ebenfalls ziemlich empfehlenswert. Allerdings gibt es in der Diskographie von Hitchcock auch vereinzelte Platten, die mich nicht ganz so vom Hocker reißen. Insgesamt aber natürlich ein Guter, überhaupt keine Frage.

    @Domi: Dachte mir schon, dass das auch Dein Humor ist;) Danke, freut mich sehr!

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