Nathan (IV): Schnoddernd hin zur Wanne

Des Nachmittags betrunken schwanken, wer vermag sich damit anzufreunden? Menschen, die bei Tagesanbruch Flaschen öffnen und das Abreißen des Kalenderblatts zugunsten eines Vollrauschs vernachlässigen, die vielleicht. Für im Alkoholismus ungeübte Personen wie Nathan hingegen birgt ein Zusammentreffen von mittelgroßen Mengen geistiger Getränke und Tageslicht eine nur im übertragenen Sinn ernüchternde Offenbarung.

Denn was tun, wenn die tröstliche Option eines trinkend verbrachten Abends nicht mehr besteht, für die des Tages gerne so einiges hingenommen wird? Ein solcher kann dem Tagwerk zwar keinen Sinn verleihen, es aber immerhin relativieren, verspricht Geborgenheit durch geschickt getarntes Einerlei in Form von Exzess, Dunkelheit, Wärme und Rausch in freundschaftlich bedingter Runde.

Darauf aber vermochte sich Nathan nicht mehr zu freuen. Er hätte vielmehr direkt nach Hause taumeln und das kalendarische Abbild des Tages mit zittriger Hand zornig abzupfen mögen, danach ab ins Bett und schon wäre er erledigt, der Tag. Und dann am nächsten Morgen einmal früh aufstehen und ausgiebig frühstücken, schließlich will alles probiert sein. Routine sollte gefürchtet werden, kein Frühstück ist auch nur Routine.

Doch was macht Nathan? Kauft er voller Vorfreude auf ein nahrhaftes Mahl, im Lichte einer jungen Sonne verzehrt, Marmelade und Müsli, Meerrettich und Möhren? Nein. Sondern Zitronenlimonade, und zwar, wie er jederzeit versichern würde, die beste der Welt. Die nämlich soll den rasch genossenen Sekt und damit den Rausch verdünnen. Denn so schlimm, dass Nathan auf ihn angewiesen wäre, war die Parkmerkwürdigkeit dann doch nicht.

Er hatte sich sogar seine Würde bewahrt, sieht man einmal von diesem mittelmäßigen Rausch ab. Sich von einer Freundin in eine Runde junger Frauen einladen lassen, weil sie sich von allen irdischen Übeln ausgerechnet seine Einsamkeit zur Behebung herausgesucht hatte, so so. Sein Getränk verzehren und sich empfehlen, es gibt denkbar schlechtere Reaktionen auf ein solches Symptom merkwürdiger Menschenliebe, und nicht jeder Freundschaftsdienst muss angenommen werden. Immerhin war’s doch gar nicht so schlimm, allein zu sein. Da besteht wenigstens ein bisschen Klarheit, ein bisschen mehr jedenfalls als in mancher Beziehung.

Und fühlt man sich allein, handelt es sich am Ende eh nur um gekränkte Selbstliebe, nicht um Einsamkeit. Die lässt sich nicht einfach so verjagen, schon gar nicht durch das, was man sich im allgemeinen unter einer Beziehung vorzustellen beliebt. Einsamkeit kann nur geteilt werden, und wie genau das dann aussieht, hängt ganz von den in einem solchen Fall relevanten Menschen ab. Sich verlieben, okay, die Liebe offenbaren, auch gut. Sich im Anschluss die Liebe gegenseitig offenbart haben, fein. Doch was dann? Es handelt sich dabei nicht um die Frage, was darauf als Handlung folgen könnte, sondern die einfache Feststellung, dass die Tatsache, einen Menschen zu lieben, die Welt keinen Deut besser macht, und nichts wird besser, wenn man das leugnet. Genau darauf aber basieren Beziehungen … na, das ist doch mal seltsam. Besser nicht drüber nachdenken, solange man nicht durch Verliebtheit dazu gezwungen wird.

So. Das waren dann ja mal recht erhebende Gedanken, jetzt müssen sie nur noch behalten werden. Alkohol macht immer so fahrig, die Konzentration ist hin, und das für den ganzen Tag, ein Zustand, mit dem sich allein recht wenig anfangen lässt. Genau darüber aber mochte sich Nathan ja aber keine Gedanken machen müssen, ist der Tag einmal angebrochen, dann wird er halt auch zuende gebracht. Vielleicht ja in der Wanne, der schön warmen, mit viel Schaum, Schaum, Schaum… … …

Das war knapp. Und dumm war’s auch. Genauer gesagt führte Dummheit dazu, dass es knapp wurde. Betrunken in eine warme Wanne steigen und schläfrig rumlungern, das klappt nur, solange man nicht einschläft. Andernfalls schreckt man auf, und dann muss gedacht werden, dass es doch ziemlich knapp gewesen sei. In der Wanne ertrinken, nein, wer macht denn so etwas? Das ist doch dusselig, so etwas widerfährt sonst nur Sängern schrecklich überschätzter Rockbands. Aber die nahmen dann immerhin auch noch andere Drogen als so eine olle Flasche Sekt. Wie gut also, dass nun das Telefon klingelt.

Vielen Dank, liebes Telefon! Ohne Dich hätten wir einige Probleme bekommen, hätte doch unser werter Protagonist einfach ertrinken können, und schwupps!, wär’s aus gewesen mit der Reihe hier. So aber heißt es erst einmal raus, Bademantel greifen, zum Telefon schreiten, weil man in Bademänteln einfach besser schreitet, wobei Bademäntel nun aber auch nicht zwangsläufig würdevoll sind. Für das Anlegen eines solchen kann aber gerne in Kauf genommen werden, dass der andere Mensch auflegt, bevor auch nur eine Chance bestand, abnehmen zu können. Wenn’s wichtig war, dann … mhm. Wer war’s denn? Lisa? Na. Sei’s drum. Nun ist erst einmal Zeit für Gediegenheit.

“Tigermilk” von Belle & Sebastian ist 1996 auf Jeepster Records erschienen.

Ein Kommentar zu “Nathan (IV): Schnoddernd hin zur Wanne”

  1. kevin sagt:

    Fabelhaft. Toller Perspektivwechsel und wahre Sätze!

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum