TEETHWhatever
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Referenzen:
Chicks On Speed, Crystal Castles, Peaches, Lesbians On Ecstacy, Le Tigre
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Autor: |
Markus Wiludda |
Dienstag bei stern TV: Günther-Jauch-Ersatz testet Produkte auf Genießbarkeit. Schokolade aus den 60ern, Milchpulver aus der Nachkriegszeit, Tütensuppe aus dem Osten, als man ihn noch Osten nennen durfte. Das Meiste war dank der erfolgreichen Konservierungsstoffindustrie noch unbedenklich verzehrbar, mitunter sogar immer noch recht lecker, auch wenn die Versuchskaninchen im Studio am Karottensaft von 1980 nur angewidert und auf Nachdruck nippten.
Schade, dass sich diese großangelegte Testreihe nur auf Lebensmittel beschränkte, denn auch im Pop bestünde kein Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Tuns. Der Musikdiskurs könnte endlich wissenschaftlich valide nachweisen, dass Collegepunk aus den Endneunzigern verfault und gegärt ist, dass es um Post-Wave und diagonalfrisierten Britpop nicht gut bestellt ist. Und vom Retro-Rock Marke „Schweden 2003“ wird ab sofort abgeraten, will man sich nicht den Magen verderben und Ohrenbluten davontragen.
AUFTOUREN scheute entsprechend keine Kosten und Mühen und ließ exklusiv für euch das Genre „Discopunk“ im Labor für Popkult(ur) testen. Die Qualitätsstudie nahm sich dafür das Debütalbum der britischen Discopunker TEETH (TEETH!!!, T3ETH oder T∑∑TH, you name it) vor. Zehn Titel im Spektrum von „Ravepunk“ bis „Elektropunk“, was aber nicht als Kritik verstanden werden will, denn dieses Trio steht über allem. „You all think we care? But we don’t“, lautet der Einleitungssatz, der alle Zweifel beseitigen soll: Das hier ist Punk, wir sind böse. Ein gewiefter Wissenschaftler lässt sich davon natürlich nicht beeindrucken, generiert so etwas doch Skepsis. Denn dieser Satz versprüht eine totale Ignoranz, die hier nicht nur als Attitüde verstanden werden will, sondern sich auch über ästhetische Merkmale erstreckt.
„Whatever“ hat nichts zu tun mit einem aktuellen Klangbild und orientiert sich an dem, was zuletzt so um 2000-2005 höchst aktuell war, als Chicks On Speed, Peaches und Co. den Post-Feminismus vertonten. Musikalisch war die Effektivität der Riot-Grrrl-Attitüde kaum zu übertreffen, was besonders im Direktvergleich zu den meist männlich dominierten Retro-Garagenbands auffällt. Denn deren heraufbeschworenes neues Slackertum wurde gnadenlos von der Direktheit der erstarkten Genderpunk-Bewegung an die Wand getackert. Und das mit minimalem Einsatz von Material, aber größtmöglicher Leidenschaft. Das war ebenso in der Kompromisslosigkeit wie in der Aussage überzeugend und vor allem: wichtig. Das trifft natürlich auch auf die zwar thematisch breiter fokussierten T.Raumschmiere, Alec Empire oder Alien Sex Fiend zu, deren ästhetische Parallelen aber unübersehbar sind.
Später wuchs sich diese erneute Intitalzündung dann zu einer generellen Ravepunk-Welle aus, die statt Politik nur noch Party im Kopf hatte: Hedonismus war angesagt. Ein Faktum, das dem Label Audiolith bis heute ein Auskommen beschert. Die ursprüngliche Idee einer gesellschaftlichen Umgestaltung durch musikalische Avantgarde blieb dabei zunehmend am Wegesrand der Partymeilen zurück.
TEETH kurbeln mit „Whatever“ nun erneut diese Maschine an und werfen möglichst wuchtige Beats auf den Tanzboden. Beats, die auf eine ziemlich nervige Art antiquiert wirken. Was nicht wirklich störend wäre, wenn sich textlich nicht auf eine Nullaussage beschränkt würde. Denn statt die Strobo-Synthies und dicken Eier der Ravepunkbeats mit Slogans aus den gerade belegten Gender-Studies-Seminaren zu bespucken, bleiben TEETH inhaltlich diffus und oberflächlich: „Let us scream and shout“ ist der Gipfel des Aufrührerischen, meist bleibt es bei konsequent blöden Sätzen wie „If you stay young, you are the one”, die entsprechend so weit in den Hintergrund gemischt wurden, damit man davon möglichst wenig mitbekommt. „I don’t wanna stay up late, ’cause I made a mistake“, wird in „Time Changes“, dem vielleicht sogar stärksten Track des Albums, gnadenlos lamentiert. Leider reicht es hier nicht einmal fürs Dadaistische.
Die physische Kraft dieser Tracks bietet dieser Musik bei entsprechender Lautstärke zumindest einen gewissen Animationsfaktor, doch wird ihr Hysteriepotenzial nie wirksam ausgeschöpft. Sich überschlagende Stimmen gibt es kaum, die Beats sind öde eintönig, die Spannungsbögen unmotiviert, die Extras ideenlos oder nicht vorhanden. Noisige Sperenzchen wie in „This Time“ oder der Versuch, die Crystal Castles 1:1 zu kopieren („See Spaces“), sind noch leidlich unterhaltsam, die abschließende zwei Minuten lange Drumcomputer-Attacke „Street Jams“ einfach nur überflüssig. Was auch auf dieses Debüt in Gänze zutrifft: Sich einer Ästhetik zu bedienen, aber ohne deren initial prägende sozialpolitische Komponente, wirkt fad. Ungenießbar wird es, wird erst gar nicht der Versuch gemacht, diesen klanglich längst überholten Discopunk durch Persönlichkeit oder Aktualitätsbezug auf die Stufe der Gegenwärtigkeit zu hieven. Wodurch dieses Werk als einziges Ärgernis im Gedächtnis bleibt – was sich sogar potenziert, legt man im Anschluss z.B. diesen großartigen Sampler oder andere Discopunk-Originale auf.
Label: Moshi Moshi
Referenzen: Chicks On Speed, Crystal Castles, Peaches, Lesbians On Ecstacy, Le Tigre, T.Raumschmiere, Alien Sex Fiend, Saalschutz
Links: Homepage | Facebook | Label
VÖ: 23.09.2011
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