Balam AcabWander/Wonder
Aller Anfang ist dunkel. Ein mechanischer Beat blubbert hervor, fast röchelnd. Das Geraschel nimmt sukzessive zu und geschachtelte Echoes setzen ein. Lautmalereien, zerdehnt, fast opernhaft. Vier Minuten über baut sich „Welcome“ langsam auf, vorbereitend auf diesen einen großen Moment; blendet dann auf und entlädt sich sakral und feierlich wie kein zweiter Song in diesem Jahr, bevor er sogleich wieder wegdimmt.
Balam Acab nimmt bereits im Eröffnungstitel das Konzept seines Albums vorweg: Es geht um die Idee der Schönheit im Unperfekten, getaucht in eine Atmosphäre des Unwirklichen. Seit letztem Jahr nennt man das bekanntermaßen Witch House, wobei „Wander/Wonder“ mehr in den dunklen Untiefen zu zerfließen scheint, nicht so monumental und intensiv wie Salem daherkommt oder so humpelnd und r’n’b-mäßig wie die ungleich stärkeren Entwürfe von How To Dress Well.
Die Herangehensweise jedoch ist konzeptionell ähnlich, die Klangentwürfe deswegen auch nicht mehr so spektakulär neu wie seine ersten Gehversuche, die bereits 2010 für anerkennendes Schulterklopfen seitens der Musikkritik gesorgt haben. Auf Balam Acabs Debüt werden nun diese Details noch kleinteiliger verästelt. Fetzenförmige Miniatur-Loops und Laut/Leise-Verschiebungen bilden dabei die Grundlage für die Effektivität seines Schaffens. Beats werden entschleunigt, Stimmen gepitcht, bis hinterher niemand mehr genau weiß, was genau der Ursprungszustand war und man diesen Prozesszustand des Veränderten als gegeben hinnimmt.
Wie soll man auch den Überblick behalten? Wahrscheinlich weiß Alec Koone, der Mann hinter diesem Projekt, selbst gar nicht mehr genau, welche Transformationen seine Töne hinter sich haben. Tonnen von digitalem Unrat und Klimbim destilliert er akribisch aus dem Internet. Tonfolgen, die er auf dem Laptop notdürftig verbeult, mit simplen Akkordfolgen aus dem Klavier verziert und Beats dazu addiert, denen er vorher den Akku rausschraubt. Wenn das Ergebnis noch zu freundlich und nahbar klingt, wird mit literweise Regen aus Gießkannen nachgeholfen und für die stimmige mysteriöse Optik gleich noch das Licht ausgeknipst.
So klingen Titel wie das entfernt schwebende „Now Time“ oder das irisierende „Motion“ gänzlich entrückt und melancholisch. Das Dunkle bahnt sich seinen Weg durch Rausch und Rauschen, für einen Funken Hoffnung bleibt aber in jedem Song noch genug Platz. Beängstigend wird es nie. Der permanente Hall ist ausschlaggebend dafür, dass „Wander/Wonder“ auch immer eine spezielle räumliche Dimension entfaltet. Man denkt an urbane Ruinen, düstere Katakomben, leerstehende Häuser und Industrieanlagen. Es ist die Ästhetik des Verfalls, die anscheinend magnetisch auf Alec Koon wirkt. Der versucht, dem toten Baustoff mit seiner Musik wieder Leben einzuhauen. Ein Leben jedoch, das postapokalyptische Züge trägt: Ein schemenhafter Nachhall des Lebendigen, eine geisterhafte Ahnung, die an den Wänden des Schattenreiches widerhallt.
Dieses Bühnenhafte trifft man immer wieder, das in Nebel getauchte Nirgendwo. Wo genau? Das lässt sich nicht genau lokalisieren, zu unübersichtlich sind die weiten Räume, in denen Balam Acabs Beats verhallen, zu versteckt die Nischen, aus denen Rauschen und Stimmversatzstücke quellen. Klackernde Synkopen, Gefühle, die sich schwimmend oder vaporisiert verlieren. Zerstäubt und verteilt auf hängenden Flächen, die aber nie ins Kitschige driften. Vage, verschwommen, unfassbar im Wortsinne entzieht sich dieses Album einer stimmigen Beschreibung.
Überhaupt die Stimmen! Der Gesang ist fratzenhaft geformt, ist oft bloße Erinnerung an die Stimmen und Menschen dahinter. Manchmal klingt das wie Disney-Filme aus den 40er Jahren, die, auf zerkratztes Celluloid gebannt, entmenschlichte Züge tragen. Worte werden zunehmend unwichtig, sind nur bloßer Träger von Emotion und Baustein der Atmosphäre, die die Düsternis magisch an sich saugt. Nur die Tiefenbässe verharren hier in der Form des Physischen, alles andere ergießt sich melancholisch und scheinbar außerhalb unserer Zeit ins Körperlose. Manch einer mag an dieser Stelle den Klängen eine spirituelle Dimension attestieren und liegt sicherlich damit nicht ganz falsch. Lauscht man diesem Album, berührt das in seinen erhabenen Momenten („Welcome“, „Oh, Why“) auf eine ganz eigenartige Weise, während einige Titel einfach zu wirkungslos verstreichen, um aus diesem sehr guten Debüt ein fantastisches zu machen.
Label: Tri Angle
Referenzen: oOoOO, Holy Other, How To Dress Well, Salem, Forest Swords
VÖ: 26.08.2011
[…] an Schätzen zu finden, das zeigten unter anderem die Werke von Roman Flügel, Walls, Tropics, Balam Acab, Zomby, Machinedrum und Plaid in aller Deutlichkeit. Deutlich wurde auch, dass sich die […]