Dockville 2011: Schlamm, Musik und Kunst


Das Dockville war schon immer ein besonderes Festival. Nicht nur, weil es den Versuch unternimmt, Kunst und Musik zu vereinen, oder wegen seiner Lage in Hamburg auf der größten Binneninsel der Welt im Problemviertel Wilhelmsburg. Auch nicht unbedingt aufgrund seiner Hafenindustriekulisse. Nein, das Dockville ist das Festival der ständigen Veränderung und der besonderen Umstände, kein Dockville hat bisher dem anderen geglichen. Immer hat es seinen chaotischen Charme bewahrt, ob organisationsbedingt, aufgrund schwieriger Wetterverhältnisse oder beidem.

Sei es 2009, wo am gut besuchten Samstag auf einmal das Bier ausging, unglaubliche Hitze und Staub den Musikgenuss erheblich minderten und Stromausfälle die Nebenbühne regelmäßig lahmlegten; oder 2008, wo man noch ungestört das große Gelände erkunden und von einem kleinen Sandhügel aus überblicken konnte. Unvergessen das anarchische Flair des erstens Dockville 2007, wo Müllinstallationen nicht von echtem Müll zu unterscheiden waren und bei der Organisation nichts richtig gut funktionieren wollte. Und die alljährlichen Veränderungen des Ortes selbst nicht zu vergessen: Jahr für Jahr beansprucht die Hafenindustrie ein wenig mehr vom vorherigen Festivalgelände, sodass man es jedes Jahr verändert erkunden und sich dabei praktischerweise auch die verschiedenen Kunstwerke zu Gemüte führen kann. Kein Dockville lief bisher so glatt, wie man es von „normalen“ Festivals gewohnt ist. Dass sich das Dockville 2011 nahtlos in diese Tradition einreihen würde, war bereits klar, kurz nachdem man Freitags sein Festivalband abgeholt hatte.

Tag 1 – Schlamm, Musik und Kunst

Schlamm war das zentrale Wort für dieses Wochenende. Das Gelände war wie der Campingplatz ein einziges Matschbad, sodass es erst drei Stunden, nachdem die erste Band spielen sollte, öffnete weil zumindest der Platz vor der Hauptbühne noch mit Kies gefestigt wurde. Für die Nebenbühne gab es wohl zu wenig Kies, man steckte bis zu den Knöcheln im Dreck. Pech, wer da keine Gummiestiefel dabei hatte. Nicht besser stand es um die insgesamt fünf anderen kleinen Bühnen: Der „Maschinenraum“, ein großes Konzertzelt, blieb den ganzen Freitag geschlossen. Das „Nest“ und das „Butterland“ – zwei von Bäumen umgebene Rückzugsorte zum Entspannen oder Tanzen zu relaxter Elektromusik – wurden vom Schlamm auch nicht verschont. Einzig das „Horn“ – ein zu einer Bühne umfunktioniertes Kunstwerk aus dem letzten Jahr – und das kleine Konzertzelt „Spinnaker“ konnten problemlos benutzt werden.

Als das Gelände schließlich öffnete, spielten zumindest Herpes schon, sodass wegen des verspäteten Einlasses nur Toy Horses und Rue Royal ausfielen. Allerdings sollte auch der Poetryslam stattfinden. Hier wurde nach langem Warten am Eingang die Geduld der Besucher nochmal mit 40 Minuten Verspätung auf die Probe gestellt. Warum auch immer, das Mikrofon – doch wohl alles, was man für einen Poetryslam braucht – funktionierte. Aber noch war niemand besonders verärgert oder genervt, schließlich war man ja zum Spaß hier und immerhin schien die Sonne. Als es dann los ging, erlebte der, der vom diesem Medium noch nicht gelangweilt ist, Texte auf sehr hohem Niveau. Viele Gesichter waren darunter bekannt, wenn man vor etwa zwei Jahren ein paar Slams in Hamburg besucht hatte. Bente Harlemann war natürlich auch vertreten, sogar doppelt, im Team „Totale Zerstörung“ und alleine. Ihr Team bot Slamkunst auf höchstem Niveau, was aber unfreiwillig auch an einen von Deutsch-Einserkandidaten einstudierten Gedichtvortrag in der Schule erinnerte. Alleine präsentierte sie wieder einen ihrer Texte über Sex (seit mindestens drei Jahren ihr Hauptsujet), aber beschrieb das Thema immerhin nicht mehr mit Lebensmittel-Metaphern sondern direkt. Das Publikum nahm es begeistert auf und vergab Höchstnoten, mehr nach meinem Geschmack war aber der Text des jungen Martin Haupt. Dieser trug eine abstraktere Textcollage vor, die nur rhythmisch und vom groben Thema her zusammenpasste und mit ihren englischen Zeilen eindeutig von Ja, Panik beeinflusst war.

Dank des verspäteten Beginns konnte man aber nicht Ende und Ausgang des Slams erleben, wenn man Balthazar auf dem „Vorschott“ sehen wollte. Beziehungsweise hätte man das bestimmt können, hätte man gewusst, dass die Künstler der Nebenbühne an diesem Tag mit einer halbstündigen Verspätung auftreten würden. So wartete man, während auf dem Horn der Slam noch zu Ende ging und ärgerte sich schon ein bisschen, auch weil man auf dem Weg zur Bühne durch den Schlamm waten musste und nun vor der Bühne stehend, wenn man keine der seltenen seichten Stellen erreicht hatte, mit den Füßen drin steckte. Aber dann fingen Balthazar an und belohnten fürs Warten. Das federleichte, von Prefab Sprout beeinflusste Gitarrenspiel und der entspannte Gesang der Belgier fesselten sofort und versöhnten ein wenig mit dem verkorksten Festivalstart. Schade war dafür, dass man wegen der Verspätung nur die letzten beiden Songs von Those Dancing Days sehen konnte, allerdings war deren Sound auch suboptimal, die Stimme der Sängerin schlecht zu hören. Danach hatte man Zeit, das Gelände zu erkunden, Freitag war der vom Line-Up her schwächste Tag und bis zu Andreas Dorau gab das Programm nicht viel her. Diesem ging eine Performance vom Showcase Beat Le Mot voraus, die sich als Bremer Stadtmusikanten verkleideten und ihre Geschichte mit der Musik von Andreas Dorau sangen, was leider nicht dada oder absurd, sondern einfach nur albern und auch ein wenig traurig wirkte. Dorau danach machte seine Sache gut, aber für den, der wegen Musik und nicht für Unterhaltung bei dem Dockville war, bot er doch zu wenig.

Da ich frühzeitig vom Dorau-Konzert verschwand, blieb wieder Zeit, die Kunst des Festivals eines Blickes zu würdigen. Vieles, was an einem festen Ort installiert war, war hierbei allerdings weniger Kunstwerk als Designobjekt, das Begegnungsorte für die Besucher schuf. Genannt seien da die Aussichtsplattform aus Holz, von der man das ganze Festival überblicken konnte oder eine Art Baumhaus, wo man sich abseits lauter Musik und Trubels bei gutem Wetter unterhalten hätte können. Von den angekündigten spontanen Kunstaktionen auf dem Festival bekam ich nichts mit, obwohl ich mich die ganze Zeit auf dem Gelände aufhielt. Vielleicht sind sie vielleicht wegen des Regens ausgefallen oder konnten einfach unter der Besuchermasse nur selten bemerkt werden. Unübersehbar sollte aber eine kleine Hütte am Sonntag werden, die im Rahmen einer Kunstaktion und unter großer Besucheraufmerksamkeit abgebrannt wurde. Insgesamt kam die Kunst aber sehr kurz bei diesem Dockville, Führungen gab es nicht und wegen des Bodens musste man vielleicht auch zu sehr darauf achten, wo man hin trat um die Kunst wirklich wahrnehmen zu können, die beim Dockville schon immer mehr vom Entdeckt-Werden als vom Präsentiert-Werden gelebt hat.

Die Editors sollten dann endlich das zweite Highlight des Tages sein. Diese durften auf der Hauptbühne spielen und gaben ihren Pathos und ihre tollen Melodien gekonnt ans Publikum weiter. Mit ein paar neuen Songs zeigten sie auch auf, in welche Richtung ihr neues Album gehen wird – Electro-Elemente werden an Bedeutung gewinnen. Marteria bot abschließend wieder eine hervoragende Show, ließ die Lüttville-Kinder (ein vom Dockville gegründetes Feriencamp) auf der kleinen Bühne zu seinen Songs tanzen und klang weniger dumpf, noch mehr nach richtig gutem Rap als auf seiner Platte. Von den jüngsten Geschehnissen ließ er sich nicht abhalten, „Verstrahlt“ und „Amys Weinhaus“ zum Besten zu geben. Unnötig waren vielleicht die Auftritte zweier Gastrapper, und sein Alter Ego Marsimoto mit seiner Heliumstimme hätte vielleicht nicht gleich drei Songs rappen müssen. Nichtsdestotrotz ein gutes Ende für einen chaotischen und teilweise ärgerlichen Tag.

Tag 2 – Ein bisschen Sonne

Wer das Glück hatte, nicht im Matsch campen zu müssen sondern in einer Hamburger Wohnung schlafen konnte, fuhr am Samstag ausgeruht, sauber und optimistisch zum Festival. Die Sneaker wurden in Gummistifel umgetauscht, das Wetter war gut und das Programm hatte viel zu bieten. Los ging es mit den Schweden Golden Kanine, die zu dem warmen Sonnenschein die passende Musik lieferten und sehr sympathisch auftraten. Kellermensch, die belgische Band, die als nächstes auf der Hauptbühne „Großschott“ auftrat, erinnerte vom Aussehen und Auftreten her an eine Band aus der Metal-Ecke, ähnelte aber musikalisch eher Bruce Springsteen und machte fesselnde Rockmusik. Den rundum gelungen Nachmittag beschlossen Blackmail mit einem zufriedenstellenden Auftritt, der nur daran litt, dass der neue Frontmann Mathias Reetz die vibrierende Stimme Aydo Abays nicht ersetzen konnte. Ein Auftritt ohne Sänger wäre da, so hart das klingen mag, besser gewesen, aber vielleicht kann Reetz‘ Stimme ja noch an Kraft gewinnen.

Der Platz vor dem Vorschott, auf dem nun Yuck spielen sollten, war nicht weniger matschig als am Vortag. Man steckte eher noch tiefer fest – und wurde eigentlich schon erwähnt, wie Schlamm stinken kann? Aber auch daran gewöhnte man sich, auch machte das Wetter weiterhin mit. Richtig gut war es inzwischen geworden, und so war der feine Auftritt von Yuck zu genießen. Den Hype konnten sie allerdings nicht bestätigen, ihre Musik ist sehr gut, zumindest live aber nicht überragend. Ohne Verzögerungen der Spielzeiten blieb diesmal genug Zeit, um nach dem Auftritt zur Hauptbühne zu gehen und sich schon mal einen guten Platz für Casper zu sichern. Dieser zog dann eine mitreißende Show ab, trat sehr souverän auf und wusste genau mit dem Publikum umzugehen, um eine euphorische Stimmung zu verbreiten. Er schaffte es sogar, dass die Zuschauer trotz des Schlamms zum Takt sprangen und eine „Wall of Death“ mitmachten. Technisch beging Casper allerdings vor allem anfangs einige Fehler und musste einige Wörter auslassen, weil ihm der Atem fehlte. Seine Band spielte auch nicht besonders exakt und so lebte das Konzert vor allem von Caspers Bühnenpräsenz, die aber völlig ausreichte, um ein großartiges Konzert entstehen zu lassen. Schade nur, dass er relativ wenig von seinem neuen Album spielte, dagegen aber einige ältere Mixtape-Stücke auf der Setlist standen.

Pünktlich erreichte man danach Die Goldenen Zitronen, die in ihren typischen albernen Verkleidungen auftraten. Die momentane „Aufwertung“ Wilhelmsburgs machten sie zum Thema, indem sie mit ironischem Stolz ihren Beitrag dazu erwähnten, diesen Ort richtig schön kultig zu machen. Ihr Auftritt war sehr homogen und kam mit Ausnahme von „Mila“ ohne ihre bekanntesten Lieder aus. Deutlich wurde, dass die Musik ohne den Gesang Schorsch Kameruns ohne Weiteres in einer Disco laufen könnte. Den Abschluss machte an diesem Tag Santigold, die mit einer grandiosen Popshow das Publikum begeisterte. Zwei Tänzerinnen choreografierten ihre Songs und des Öfteren wechselten diese oder die gut gelaunte, vom Publikum begeisterte Santigold ihre Kostüme. Danach konnte man sich in eine durchtanzte Nacht stürzen, denn das Programm bot mit Slagsmalsklubben, SBTRKT, Mount Kimbie und DJ Phono im Maschienenraum noch viele Highlights. Wobei man sich gewünscht hätte, SBTRKT und Mount Kimbie hätten einen früheren Slot bekommen, denn irgendwann wird die Müdigkeit stärker als die Freude an der Musik.

Tag 3 – Regen macht das Laufen leichter

Der Sonntag begann mit Regen. Was allerdings sogar einen positiven Einfluss auf die Platzverhältnisse hatte, im von Regenwasser verdünnten Schlamm blieb man weniger stecken. Die Besucher reagierten inzwischen gelassen auf den Boden und das Wetter. Die, die das Ganze zu sehr nervte, waren schon nach Hause gefahren oder gar nicht erst zum letzten Tag gekommen. Die Verbliebenen nahmen den Matsch mit Humor oder ignorierten ihn einfach, wozu gibt’s denn Gummiestiefel? Immerhin gab es so wenig Gedränge, und eine Weile nach Spacemann Spiffs frischem und sympathischem Auftritt klarte es sogar auf, nur noch ab und zu gab es Schauer. Noah And The Whale gaben ein okayes Konzert, in dem sie zwar eine gewisse Grundqualität bewiesen, aber mit der Zeit auch zu wenig Vielfalt boten. Das Finale des Poetryslams, welches zeitgleich stattfinden sollte, war aber auch keine Alternative – es fiel wohl wegen Regens aus.

Edward Sharpe and the Magnetic Zeros legten anschließend dafür einen wunderbaren Auftritt hin. Zwar kamen die Songs alle nicht an ihren Hit „Home“ heran, aber der Frontsänger unterhielt sympathisch und offensichtlich total stoned das Publikum, die Begleitsängerin lachte oft verlegen süß und bescherte mit ihren Gesangsparts die besten Momente des Konzerts. Bei The Pains Of Being Pure At Heart schüttete es dann nochmal richtig, ehe sich das Wetter endgültig mäßigte, schmälern konnte der Regen das gelungene Konzert der New Yorker ohnehin nicht. Kante legten danach bei einem sündhaft wenig besuchten Konzert den besten Auftritt des Festivals hin. Mit perfekt zum Wetter passenden Songs wie „Ich Habs Gesehen“ erzeugten sie Gänsehautstimmung, publikumsfreundlich wurden die eingängigsten Stücke ihrer Diskografie ausgewählt, das heißt vor allem Songs aus „Die Tiere Sind Unruhig“ und ihre größten Hits „Zombie“ und „Die Summe Der Einzelnen Teile“.

Aufgrund des Bodens und der Regenschauer überlegten es sich die Zuschauer zweimal, ob sie die Konzerte von den Headlinern …Trail Of Dead oder Kele noch erleben wollten. Wer nicht gerade Fan einer der beiden Bands war, fuhr schon vorzeitig nach Hause, froh, endlich dem Matsch entkommen zu sein und in der Hoffung, nächstes Jahr besseres Wetter erleben zu können. Das grandiose Line-Up und das innovative Konzept des Festivals, welches diesmal aufgrund des Schlammes sogar kurz vor der Absage stand, hätten bessere Verhältnisse verdient gehabt.

Bilder: Stefan Malzkorn

5 Kommentare zu “Dockville 2011: Schlamm, Musik und Kunst”

  1. Zahnwart sagt:

    Gefällt mir sehr gut, der Text. Nur dass Santigold so begeistert war, glaube ich nicht unbedingt, im Gegenteil hatte ich die Befürchtung, dass sie den Auftritt abbrechen würde, als bei „Creator“ das Publikum auf die Bühne geholt wurde und kurz Krawall zu machen drohte.

  2. qwertz sagt:

    Schöner Artikel! Kante fand ich am Sonntag auch am besten. Wetter und Musik harmonierten hervorragend.
    Ach so, und Kellermensch kommen aus Dänemark und nicht aus Belgien. ;)

  3. […] Dockville, Appletree … Es waren weniger die Tonaufnahmen, die zu Beginn der zweiten Jahreshälfte die […]

  4. […] wie Schlammcatchen und Sumpf-Wettschwimmen die Klassiker Limbo und Flunky Ball ersetzen (wie es im letzten Jahr der Fall war)? Würden die ausgestellten Kunstwerke in die politische Wirklichkeit eingreifen oder […]

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