Halbschlaf in Dunkelgrau – die Rückkehr des Gothic-Rock?

Vielfalt im Rückblick. Wie sonst lässt sich 2011 bislang als große Wundertüte erklären, in der sich längst vergessene musikalische Richtungen und verschollenes Instrumentarium scheinbar mühelos in den Vordergrund drängen. Softrock. Ist mindestens mit Bon Iver und Destroyer zum neuen Säulenheiligtum geworden. Die 90er und ihre Gitarren-Bands. Sind mit Yuck, Milk Maid & Co. so präsent wie lange nicht mehr. Und dann noch die Rückkehr des Saxophons in den Vordergrund des Rampenlichts. Hier darf nahezu allerorten wieder sowohl richtig gebratzt als auch schwelgerisch gejammert werden. Leise, still und heimlich darf sich seit Anfang des Jahres jedoch ein weiteres Relikt aus grauer Vorzeit wieder als angesagt bezeichnen: Nennen wir es Gothic Rock.
Und die Spanne ist groß. Haben bereits Cult Of Youth mit ihrer eher volkstümlichen Herangehensweise und Iceage mit vehementer Punk-Dreistigkeit Ausrufezeichen gesetzt, entstauben Ulterior und Puerto Rico Flowers die verlassenen Wege, die nach den Sisters Of Mercy wohl niemand mehr betreten wollte. Dürfen die das? Und ob.
Die zeitgemäße Variante bieten hierbei eindeutig die Londoner von Ulterior. Das im Frühjahr veröffentlichte Debut „Wild In Wildlife“ ist schon ein markiges Statement, wie der Opener „Sex War Sex Cars Sex“ eindrucksvoll und kraftvoll beweist. Rückbesinnung schön und gut, und doch sind die Musiker rechtzeitig im Hier und Jetzt angekommen. Das versinnbildlicht vor allem die illustre Kollegenschar, die von The Horrors bis zu These New Puritans reicht, mit der das englische Quartett bereits live zusammengespielt hat – altgediente Recken wie die zuvor genannten Sisters Of Mercy und Teile von Spacemen 3 inklusive.
Diese Einflüsse hört man „Wild In Wildlife“ auch an, dem weiß Gott kein x-beliebiger Post-Punk-Plagiarismus vorgeworfen werden sollte. Natürlich haftet den Songs zeitweilig auch der Hang zum Zitierwillen an: „Catherine“ wäre sicherlich auch in Interpols Diskographie kein Lückenfüller geworden und das epische Titelstück sprengt Rahmen, aus dessen Bruchstücken Killing Joke ein ganzes Album gemacht hätten. Ulterior klingen aber eben nicht wie sondern nur nach diesen Referenzkollegen und das fügt sich, vor allem auch auf der aktuellen Single „Sister Speed“ zu einem geschmackvollen Genrecocktail zusammen.
Eine Helligkeitsstufe dunkler ertappt man die Puerto Rico Flowers. Die Band aus Philadelphia klingt roher als ihre englischen Kollegen, schöpft aber aus dem gleichen Zitatenschatz. Die erste Single „3 Sisters“ ist dabei die leuchte Fackel: So klänge es wohl, wenn sich Depeche Mode vor zwanzig Jahren einen Interpol-Song vorgeknöpft hätten. Gebremstes, prägnantes Schlagzeug, trocken wie die Atacama-Wüste und eine Gesangsmelodie so klar wie das ewige Eis – mit diesen Versatzstücken können die Amerikaner schon eine ganze Menge anstellen.
Der „Rock“-Moment tritt wiederum besonders bei „The Pain Comes Slowly“ hervor und auf dem verschlungenen „Keep Me Around“ darf der umtriebige und als Gastmusiker sehr geschätzte Kurt Vile sein Unwesen treiben. Als kleines Gimmick geben das an dieser Stelle anhörbare Album „7“ und auch die vorangegangene EP bzw. Single „4“ und „2“ die Titelanzahl der jeweiligen Veröffentlichungen wieder. Wenige Stücke, so auf das erste Ohr, doch das ist ja ohnehin ein Trend, der sich ebenfalls in diesem Jahr in vielen Veröffentlichungen bemerkbar gemacht hat.
Damit wären wir dann ja auch wieder bei den eingeschlagenen Wegen für 2011. Mal sehen, ob sich dann im Herbst jemand an die Renaissance der Panflötenträume macht.