
Nette, kleine Festivals haben meistens ein Problem: Sie sind zwar sehr sympathisch, weniger hektisch als Großveranstaltungen und liebevoller organisiert, aber oft ziehen sie auch eine Mischung aus halbgaren Headlinern und mittelmäßigen unbekannten Bands an. Das Appletree Garden Festival schien auf den ersten Blick von diesem Schlag zu sein: Johnossi und Metronomy als Headliner und dazu eine Reihe von Bands, die die meisten Besucher wahrscheinlich gar nicht oder nur flüchtig kannten. Wehmütig betrachtete man da das Line-Up des letzten Jahres, bei dem z. B. Get Well Soon, Die Sterne und Gisbert zu Knyphausen zum 10-jährigen Jubiläum gebucht werden konnten. Da allerdings einige Freunde das Festival ebenso besuchten, und immerhin José González‘ das Bandprojekt Junip auf dem Spielplan stand, fand der Autor – bereit, sich positiv überraschen zu lassen – doch den Weg nach Diepholz.
Der erste Eindruck bestätigte die Erwartungen: klein und nett. Obwohl das Festival ausverkauft war, passten die ca. 3000 Besucher locker auf den vorgesehenen kostenlosen Campingplatz. Die Bühne war innerhalb weniger Minuten erreichbar, sodass man die Bands auf der Hauptbühne hörte und so praktischerweise auf dem Campingplatz nach kurzem Reinhören spontan entscheiden konnte, ob man ein Konzert besuchen wollte. Ebenso musste keiner, der nicht wollte, ein Konzert wegen Überschneidungen verpassen: Auf den zwei Bühnen wurde abwechselnd und mit 15-minütiger Pause gespielt. Nur das Wetter spielte nicht mit: Kälte, Wind und Regenschauer trübten die ansonsten harmonische Stimmung des Festivals. Das lag aber auch daran, dass das Publikum einen hohen Anteil wetterunbeständiger junger Mädchen aufwies, die wirkten, als wären sie zum ersten Mal auf einem Festival. Das waren wohl die Auswirkungen von Bands wie Beat!Beat!Beat! und Johnossi und von dem harmlos netten Eindruck, den das zweitägige „Appletree Garden“ auf den ersten Blick macht.
Tag 1 – Das Grundniveau und wenn Heilige Maschinen werden
Die ersten Bands hatten gespielt und nun war klar, dass das hier mehr war ein eine Feel-Good-Veranstaltung für Festival-Anfänger: Moss aus den Niederlanden, die für die kurzfristig erkrankten Champions einsprangen, erledigten ihren Job als Opener noch solide, aber ohne nachhaltigen Eindruck zu machen. Bye Bye Bicycle, die danach auf der Hauptbühne dran waren, spielten ein richtig gutes Konzert. Zu ihrem Wave aus den 80ern konnte man guten Gewissens tanzen und die gelungen Publikumsanimationen mitmachen. Erwähnenswert auch das Banner auf der Bühne, welches mehrere Zeichnungen zeigte des futuristisches Künstlerkollektivs Archigram zeigte. Das passte zum 80er-Charme der Band, die allesamt auch wie aus dieser anderen Zeit aussah, aber dabei nicht staubig, sondern eher so stilsicher wie Franz Ferdinand wirkte.
Auf der „Waldbühne“ fand danach das Konzert von Black Atlantic statt. Zwar rissen diese nicht so mit wie Bye Bye Bicycle und wirkten insgesamt ein wenig unterkühlt für ihre gefühlvolle Musik, aber sie konnten mit ihrem an Bands wie Seabear erinnernden Pop das Grundniveau halten, unter das bei diesem Festival nur wenige Bands rutschten. Wie Beat!Beat!Beat! zum Beispiel. Die vier Musiker sahen mehr aus wie Schulbuben in Kinder-Indieklamotten von H&M, und auch ihre Musik konnte nicht überzeugen. Mit „harmlos und langweilig“ ist diese wohl am besten beschrieben, der unoriginellen Indie-Musik fehlte etwas Herausragendes, oder genauer: eine vernünftige Leadgitarre. Die Band klang, als würde sie nur mit zwei Rhythmusgitarren arbeiten, was zwar keinem weh, aber auch niemandem gut tut.
Weitaus besser machte es die zweite Gruppe des Tages mit „Bicycle“ im Namen: Bombay Bicycle Club. Die Besonderheit dieses Quartetts war Frontmann Jack Steadman, der eigentlich kein Gesangstalent ist und wie eine Mischung der Stimmen von The Wave Pictures, Bright Eyes und Placebo klang … Das hatte Charme und passte zum folkigen Charakter der Band, die ein wenig wie Sunset Rubdown in herkömmlichem Songschema ankam. Auch beim Publikum kam das gut an, ein wenig übertrieb es aber mit seiner Begeisterung: Es wurde gepogt, an bessere Plätze gedrängelt, an unpassenden Stellen wurden weiter hinten Kreise zum Herumspringen gebildet; eine absolut unpassende Choreografie zu einem eigentlich gelungenen Auftritt.
Ganz anders war das nächste Konzert, wieder auf der Waldbühne: Gebannt lauschten die Leute und bewegten sich fast unwillkürlich zu den Klängen der Elektropop-Band When Saints Go Machine aus Dänemark, die die Menge elektrisierte. Sänger Nicholas Manuel Vonsild hatte mit seiner hohen, an Antony erinnernden Stimme große Präsenz, seine drei Mitmusiker an Keyboard und Schlagzeug bauten minimalistisch Spannungsbögen auf, entluden sie in treibenden Rhythmen und lieferten zusammengenommen das beste Konzert des Festivals ab. Dabei waren sie anfangs sichtlich nervös (man konnte sie hinter der Bühne beobachten) und am Ende entsprechen gerührt und verblüfft von der ihnen entgegenströmenden Begeisterung, die sie mehr als zu Recht ernteten. (Anm. der Redaktion: Leider haben wir versäumt, ihr wirklich turbulentes und tolles Debüt zu rezensieren – hört doch unbedingt mal rein; es lohnt vor allem die Rough-Trade-Shop-Edition samt Bonus-CD). Metronomy, der Headliner auf der Hauptbühne, spielte danach ein gutes Konzert, kam aber gegen seine beiden Vorgänger nicht an. Wieder einmal war die falsche Band oben auf dem Plakat gewesen.
Tag 2 – Regen, nackte Menschen und groteske Albernheit
Der Vormittag des zweiten Tages war von Regenschauern geprägt, doch zu der geplanten Kunstaktion, bei der sich Freiwillige auf dem Festivalgelände unter Ausschluss der Öffentlichkeit entkleiden und nackt fotografieren lassen sollten, war es wieder trocken. Für einige wirkte das bemüht weltverbessernd und voller Klischees (ein Herz aus nackten Menschen, hach …), für andere bot es eine gelungene Abwechslung zur üblichen Festivalroutine abseits der Musik.
Vergleichbare Highlights mit denen des Vortages bot der Samstag nicht. Tim Neuhaus machte etwas zu netten und somit zu harmlosen Pop, der gerade noch genügte, um nicht zu langweilen. Dass sein kranker Schlagzeuger fern geblieben war, merkte man dabei kaum, am ehesten blieb noch Neuhaus‘ leicht irr wirkendes, sympathisches Lächeln in Erinnerung. Die Isbells danach blieben ähnlich schwach in Erinnerung. Sie machten okayen Folkpop, waren aber mehr für eine musikalische Begleitung des Nachmittags vor den Hauptattraktionen geeignet. Negativ fiel dagegen Bodi Bill auf, die handwerklich guten Elektropop lieferten, dem aber eindeutig die Seele fehlte. Keinen Moment nahm man ihrem Sänger ab, dass er seine einfühlsamen Texte ernst meinen könnte. Dabei half nicht, dass ein Keyboarder wie Giovanni di Lorenzo aussah, was den Kostümen (Motto Steinzeit) und dem Bühnenbild eine grotesk-alberne Note gab.
Junip waren der erste Höhepunkt des Tages. Ähnlich wie ihrer Platte fehlte es den Songs live zwar an der letzten Eingängigkeit, um vollends mitzureißen, aber José González holte mit seiner Band das Meistmögliche aus der Musik heraus und spielte ein wunderschönes Konzert. Nicht nur der Geruch von Zigaretten lag dabei in der Luft, wobei man eigentlich nichts weiter als die Musik Junips brauchte, um entspannt und glücklich zu sein. Das vorletzte Konzert von Hundreds war dann wieder sehr guter Elektropop, der zwar nicht an When Saints Go Machine heranreichte, das wäre aber auch zu viel verlangt. Johnossi machten den Abschluss des Festivals und machten dies überraschend gut: Sie spielten viele Hits ihres guten Debüts und auch neuere Songs, die nicht allzu negativ auffielen wie zum Beispiel „Party With My Pain“, das halbe Cover von „Delivery“ der Babyshambles. Spaß machte es, sodass es schade war, dass das Konzert vorschriftsgemäß nach einer Stunde um halb zwei schon vorbei war.
Das Konzept des Festivals als gemütlicher Gegenpol zu anonymen und kommerziellen Großfestivals geht dank des klugen Bookings von Geheimtipps auf. Selbst die schwächsten Auftritte waren nicht weniger als mittelmäßig, Headliner, die Schlimmeres erahnen ließen machten ihre Sache gut und viele Unbekannte überraschten. Das Appletree Garden ist mehr als ein netter Wochenendausflug mit ein wenig Musik, sondern eine echte Bereicherung für die Festivalsaison.
Der Bericht scheint mir ein wenig zu sehr unter Einfluss des schlechten Wetters geschrieben worden zu sein. Zudem kommt die wirklich tolle Show von Retro Stefson mit keinem Wort im Bericht vor. Alleine sie hätte für mehr Sonne zwischen den Zeilen ausgereicht.
Ich war auch ein wenig krank während des Festivals, das hatte vielleicht seinen Einfluß :/
kann ja sein, dass der Autor die Band gar nicht gesehen hat? Ansonsten finde ich nicht, dass da so viele „Geheimtipps“ aufgetreten sind. Wenn man ein bisschen aufmerksam Blogs und Zeitschriften liest, sollte man eigentlich alle Bands kennen.
Wo genau war der Autor bei „Future Islands“? Das war zumindest mein Höhepunkt des Tages. „Who Knew“ sollen ja auch ganz gut gewesen sein, hab ich gehört. Aber das ist natürlich wie alles einfach eine Frage des eigenen Geschmackes. Wirklich schade finde ich nur, dass „Future Islands“ unerwähnt blieben, deren Sänger wahrlich eine „Rampensau“ ist, die man live nicht verpassen sollte und was besonderes darstellte an dem Wochenende.
Ich habe mich sehr wohl gefühlt an diesem kleinen beschaulichen Ort. Trotz des nicht immer so guten Wetters. Menschen, Konzerte, Gelände. Alles sehr toll gewesen. Auch nebensächliche Dinge wie das Fussballturnier auf dem Campingplatz waren ein Erlebnis.
„I <3 Appletree Garden Festival."
[…] Dockville, Appletree … Es waren weniger die Tonaufnahmen, die zu Beginn der zweiten Jahreshälfte die […]