Der Liedschatten (28): Ein Kessel Buntes mit Hut

Ab der heutigen Ausgabe sind wir in dem für die Popmusik sehr bedeutsamen Jahr 1963 angelangt, in dem auch die beiden ersten Alben der Beatles erschienen. Diesen werden wir uns aber erst später widmen können, denn „Jegliches hat seine Zeit“. Durch dieses Sprüchlein kann nicht nur die Bibel selbst vor Ungläubigen glänzen, auch die Puhdys zehrten von ihm. In ihrem gar nicht mal so verkehrten Song „Wenn ein Mensch lebt“ von 1977 heißt es: „Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt / sagt die Welt, dass er zu früh geht / Wenn ein Mensch lange Zeit lebt / sagt die Welt es ist Zeit / dass er geht […] Jegliches hat seine Zeit / Steine sammeln, Steine zerstreuen / Bäume pflanzen, Bäume abhauen / leben und sterben und Frieden und Streit“. Außerdem enthält er noch die regelrecht anmutigen Zeilen „Meine Freundin ist schön / als ich aufstand ist sie gegangen / weckt sie nicht, bis sie sich regt / ich hab‘ mich in ihren Schatten gelegt.“

Ach, wie versöhnlich. Ein schöner Schlager einer zweifelhaften Band, an dieser Stelle würdigend erwähnt, das geschieht doch viel zu selten. Da entschuldigen wir doch auch gerne einmal die offensichtliche Nähe zum Song „Spicks and Specks“ der Bee Gees, dieses, ähem, nennen wir es einfach einmal Zitat, ebenso wie bei dem grotesk-anzüglichen „Geh zu ihr“, wo es heißt „Geh zu ihr und lass Deinen Drachen steigen / Geh zu ihr, denn Du lebst ja nicht vom Moos allein.“, dort „stand Slades „Look What You Dun“ Pate“, ja, so wollen wir das sagen.

Entfernen wir uns nun jedoch aus der Musikgeschichte der DDR, bevor am Ende noch darauf hingewiesen wird, dass auch Citys „Am Fenster“ recht gelungen ist und eine lyrische Höhe aufweist, die sie mit Slogans wie „Ohne Bass und ohne Haare mit City durch die 80er Jahre“ beileibe nicht erreichen konnten. Dieser Widerspruch lässt sich aber leicht auflösen, der Text dieses Stückes „liedhafter Rockmusik“ (so hieß das in der DDR) stammt nicht von der Band selbst, sondern von Hildegard Maria Rauchfuß, einer Lyrikerin der sogenannten Ostzone. In der gab es ja aber gar keine Charts, und wir wollten uns doch durch eben diese auf kurzweilige Art unterhalten lassen. Flugs geht’s also zurück in die BRD, mal sehen, worauf wir dort heute treffen.

Billy Mo “Ich kauf‘ mir lieber einen Tirolerhut”, März – April 1963

mo_tiroler„You aren’t living, you are dying. Every meal you eat is a hangman’s meal since it could be your last. The moment you come into the world, you are sentenced to become a heap of bones in a rotting casket.“ Solch eine geradezu existenzialistische Äußerung, wie sie Billy Mo im Interview mit dem Magazin „Ebony“ 1967 brachte, erwartet man von einem Schlagersänger nicht unbedingt. Vielleicht lag es am Erscheinunsgort das Magazins mit der Story über Peter Mico Joachim alias Billy Mo, Amerika nämlich. Oder gab es so etwas auch in der „BRAVO“ zu lesen? Das wäre interessant zu wissen. Bis zur Klärung dieser Frage aber ist davon auszugehen, dass simplere Bekenntnisse wie „Ich kauf‘ mir lieber einen Tirolerhut“ in der BRD eher Zustimmung erhielten. Dem in Trinidad geborenen Trompeter verhalf es jedenfalls zu einer Karriere im Bereich der „home-grown speciality“ der „Germans“, dem „Oompahpah Sound“, was sich am ehesten mit „Blasmusik“ übersetzen lässt.

Tirol, das ist Österreich oder Italien, nicht die BRD, und zu „Deutschland“ gehörte es nur in dessen Inkarnation als „Großdeutsches Reich“. Wie kommt es da zum Tirolerhut? Man sollte in diesen Text vielleicht nicht allzu viel hinein interpretieren, soll er doch auf den Worten „Da klau‘ ich mir lieber einen Tirolerhut“, mit dem Mo sich an einem bereitliegenden solchen gütlich halten wollte, nachdem man ihn um seine Gage prellte, basieren. Da es auch nicht den „einen“ Hut als explizites Modell mit spezieller Geschichte gibt, sondern nur verschiedene Varianten, lässt sich davon ausgehen, dass es hier keinen Sinn zu entdecken gibt und der Erfolg des letztendlich sinnlosen Stückes auf der Kombination konservativer Symbolik in Form der Tracht mit dem „Exotischen“ basiert.

Dabei bietet gerade Tirol mit seiner Geschichte zwischen „Multinationalität“  und Deutschnatiotionalismus  eine Projektionsfläche für Stammesromantik und „Heim ins Reich“-Fantasien, deren Erfüllung in, je nach Gruppierung, einer Tiroler Einheit, der Angliederung an Österreich oder gar den Anschlusses dessen an Deutschland liegen kann.

Billy Mo steht als Freimaurer über jedem Verdacht, sich in irgendeiner Weise für solche Gespinste begeistert zu haben. Anscheinend war er für die Möglichkeit, mit Liedern wie diesem Erfolg zu erlangen, ebenso empfänglich wie für eine gemütliche Vereinsmeierei, die ihn zur Mitgründung des Musikzugs „Wunstorfer Auetaler“ in seinem langjährigen Heimatort Wunstorf in Niedersachsen bewogen haben dürfte. Zu Gute halten muss man ihm dabei, dass seine Mischung aus niedrigschwelligem Humor und (vermutetem) praktischem Kalkül bei weitem sympathischer ist als das überzogene Herumalbern eines Bill Ramsey. Behalten wir den bereits verstorbenen Billy Mo trotz der zeitüblichen Sünden (zu denen das Auftreten in volkstümelnden Schlagerfilmen gehört) in guter Erinnerung, wer weiß, vielleicht war seine Karriere ja auch Ausdruck einer unbeholfenen Offenheit der BRD gegenüber der Welt, die sich so nicht in jedem albernen Liedchen der 60er Jahre finden lässt.

5 Kommentare zu “Der Liedschatten (28): Ein Kessel Buntes mit Hut”

  1. Ich hege den Verdacht, dass du in die Tiroler Provenienz des Hutes ein wenig viel hineininterpretierst ;) Dass Tirol über die in den 30ern üblichen Anschlussgelüste an Deutschland
    hinausgehende Sehnsüchte nach deutscher Vorherrschaft hatte, wäre mir wirklich neu.

    Das Lied übrigens ist dank seiner Trolligkeit grundsympathisch.

  2. Lennart sagt:

    Jepp, da hast Du sicher größtenteils Recht. Allerdings gibt’s da wirklich einige Hirngespinste, auch heute noch, wollte sogar Sachen verlinken, aber hatte mir’s anders überlegt.
    Da gibt’s jedenfalls schon noch ein paar Hanseln, die sich komische Sachen wünschen. http://www.brennerbasisdemokratie.eu/?p=7400

  3. SomeVapourTrails sagt:

    Als Südtirol nach dem ersten Weltkrieg an Italien fiel, war das durchaus ein willkürlicher Akt, der sprachliche Gegebenheiten völlig ignorierte. Nach gut 100 Jahren und dem Zusammenwachsen durch die EU noch immer Grenzen aufweichen zu wollen anstatt in grenzübergreifend verbundenen Regionen zu denken, ist halt eine hilflos wirkende Masche, mit der Ewiggestrige die Bastion Heimat stärker festigen möchten. Solch Bierzeltnarren gibt es überall, werden für ihren Krawall vielleicht geschätzt oder gar gewählt, aber immer auch im Wissen, dass sie nichts bewegen können, immerhin aber als Radaubrüder ein Erregungspotential speisen können. Tiroler sind in erster Linie Tiroler (Stammesrommantik trifft es da schon gut) und haben mit Österreich schon eher wenig und mit Deutschland gar nichts am Hut, schon gar nicht am Tirolerhut ;)

    PS.: Auch wenn ich deinen Einschätzungen nicht immer gänzlich zustimme, diese aufarbeitende, um die Ecke denkende Reihe finde ich klasse. Weiter so.

  4. Lennart sagt:

    Vielen Dank! WIrd gemacht. Und „um die Ecke“, jepp, so ist es dann wohl… manchmal sind’s auch recht schmale Eckchen, kleine, von denen sich nicht jedeR so schnell gepieckst fühlt…

  5. […] „oompah“-Sound hatte sich bereits beim Lied vom Tirolerhut bewährt, hier aber dürfte der Erfolg im Wettbewerb ausschlaggebend gewesen sein. „Puppet On A […]

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