
Das Modular-Festival ist eines der kulturellen Highlights in der Fuggerstadt Augsburg. Dieses Jahr haben die fleißigen Macher The Notwist zum Headliner erkoren, was sich als gelungene Wahl erweisen soll. Und auch der geografisch-historische Bezug stimmt: So erklärt Frontmann Markus Acher später, dass seine Band Anfang der 90er Jahre ihre ersten Konzerte außerhalb Weilheims eben in Augsburg spielte.
Nach zwei regionalen Vorgruppen, die sich mal an Indierock der Kategorie Kings Of Leon, mal an tanzbarem Bloc-Party-Epigonentum versuchen, betreten The Notwist gemeinsam mit ihren Live-Musikern die Bühne des eigens für das Festival errichteten Kulturstadions auf dem Augsburger Rathausplatz. Die Tatsache, dass es sich bei diesem Auftritt um ein Open-Air-Konzert handelt, ist der Sache natürlich dienlich: Sonnenuntergang und Sternenhimmel bilden nacheinander eine perfekte Kulisse für den schwelgenden Indietronic-Sound der Weilheimer.
Das Set setzt sich größtenteils aus Stücken der letzten beiden Alben zusammen. Den Abend eröffnen die oberbayerischen Indie-Pioniere mit „Boneless“, jenem kleinen und scheuen Pop-Song, der sich zwischen die komplexen Klang-Aufbauten ihrer letzten LP „The Devil, You & Me“ gemogelt hatte. Das Lied tippelt dabei so beschwippst über die Köpfe der Zuschauer hinweg, dass sogleich all die gut gekleideten Menschen – die vor der Bühne stehen oder auf der Tribüne sitzen – anfangen, im Takt zu wippen. Hier und heute soll jeder auf seine Kosten kommen, das wird früh klar. Bereits jetzt folgt „Pick Up The Phone“, dieser fabelhaft ins Melancholische kippende Song, der so sinnbildlich für all das steht, was The Notwist ausmacht: Sehnende Verzweiflung in Kombination mit tänzelnder Euphorie, die im Einklang miteinander die Einzigartigkeit der Weilheimer manifestieren.
Abwechselnd spielen sie die Stücke ihrer letzten Meisterwerke: „Neon Golden“ und „The Devil, You & Me“ zählen zu den besten und innovativsten Platten des letzten Jahrzehnts. Jedes Fiepen, jede kleine Sollbruchstelle ist dem Hörer mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen. Das Tolle an einem Abend wie heute ist die Erkenntnis, dass The Notwist stets Überraschungen bereithalten: Die ersten Stücke werden in ihrer ursprünglichen Pracht dargeboten, doch mit der Zeit wird der Drang zur Abstraktion größer, die Band dekonstruiert ihre Stücke, lässt sich auf einen verhängnisvollen Flirt mit dem ollen Onkel Freejazz ein, nimmt Abfahrten, wo kein Licht mehr scheint und fühlt sich dabei sichtlich wohl. Den ersten Teil des Sets beenden sie mit „Off The Rails“, einem Stück über die alltäglich ersehnte Flucht aus ebenjenem Alltag, die Suche nach der sorglosen Transformation. Kein Zurück mehr, nur nach Vorne, ins Ungewisse sozusagen. Die alten Kleider abstreifen, den frischen Augenblick mit jeder Pore aufnehmen. Tiefes Einatmen und weiter.
Im zweiten Teil ihrer Show, getarnt als Block aus drei Zugaben, wagen The Notwist einen Blick zurück, spielen Songs des wichtigen Brücken- und Orientierungsalbums „Shrink“, das bereits auf brillante Weise Indiepop, Electronica und Jazz-Fragmente kombinierte. „Day 7“ und „Chemicals“ geraten so zu den heimlichen Highlights, da diese Songs nach wie vor emotionale Lawinen lostreten können. Kaum zu glauben, dass diese Songs nun bereits dreizehn Jahre auf dem Buckel haben, klingen sie doch so frisch wie eh und je. Die Gitarren knattern, während sanfte, elektronische Flächen das Fundament bilden. Darüber balanciert die stets in sich ruhende Stimme Markus Achers: “The shore, I can see the shore from here. I see your town, I see your house, and you.”
Im letzten Teil werden noch einmal die ganz großen Gefühle offenbart: „Consequence“ ist immer noch rührend und packend und euphorisierend zugleich. Tatsächlich liegen sich die Leute in den Armen, wandern glänzende Blicke in Richtung Sternenhimmel, genießen die Besucher diese herrliche Atmosphäre. Mit dem folkigen „Gone Gone Gone“ verabschieden sich The Notwist standesgemäß von den freudetrunkenen Besuchern: „We will never let you go. I will never let you go.“
Fotos: Maike Baltner