Der Liedschatten (27): Pop hat nie gewonnen

Es war ja nur eine Frage der Zeit, mehr nicht, und Fragen der Zeit, die stellt man meist erst dann, wenn’s eh schon zu spät ist, und man stellt sie nicht gerne, weshalb sie gar nicht erst gestellt werden, bevor nicht irgendetwas schon eingetreten ist … es müsste also richtig heißen: eine Frage der Zeit? Vielleicht eher eine Frage für die Zeit, und nur für sie, mich hat niemand gefragt. Euch vielleicht?
Doch ach!, was winden wir uns wie die Aale, sagen wir’s frei heraus: Es ist wieder einmal notwendig, sich mit Freddy Quinn zu befassen. Das ist nicht weiter verwunderlich, hatte er doch immerhin zehn Nummer-Eins-Hits, nur einen weniger als The Beatles. Diese Information wird nun schon zum dritten Mal an dieser Stelle verbreitet. Ebenso dürfte klar geworden sein, dass Charts und der durch sie messbare Erfolg nichts mit dem, was Musik sein kann, zu tun haben. Auch das klingt vertraut, doch der Freddy, der bringt uns die Wiederholung vieler Dinge, ebenso wie der Schlager. Und sollte Euch irgendwer zu erzählen versuchen, die Welt der populären Musik sei früher offener, bunter, risikofreudiger, natürlicher, ehrlicher und lauter so tumbes und ödes Phrasengewinde gewesen, dann könnt ihr abwinken. Das macht ihr dann bitte in einer schönen, sanft fließenden Bewegung, mit gaaaaaanz leicht, kokett-lasziv geschlossenen Lidern (das kriegt man hin, wenn man sie entspannt, probiert’s mal aus), gebt Euch der Schwerkraft anheim, aber lächelt dabei. Wer Euch dann noch böse ist und VerächterInnen des Guten zu schimpfen vermag, musste sich nicht schon drei Mal mit Quinnschen Liedern beschäftigen und ist, bei Unempfänglichkeit gegenüber der Geste, vielleicht sogar ein grobsinniger Stoffel.
Das sind wir aber nicht, wir hegen junge Triebe erblühender Gedanken in unserem Busen, deren schwerer Duft von Zukunft kündet, einem Morgen, das nicht immer licht ist, sondern in rauchiger Luft treibende Wolken ebenso zu bieten hat wie die lustige Grinsesonne unsere Kindheitsbilder. Und weil dem so ist und sich der Autor so lange wie möglich vor Freddy Quinn zu drücken versucht, möchte er Euch nun ein klitzekleines Geheimnis verraten, den kleinen zarten Trieb mit dem Strahl Eurer Aufmerksamkeit beschenken. Passt auf:
Ein kleiner Exkurs oder: Wer Schlichtes flieht, gelangt zum Pop. Ein Versuch zu dessen Ehrrettung. Schuld ist seit jeher der Schlager, und zwar an sich selbst.
Diese Popmusik, von der immer die Rede ist, die ist gar nicht so groß wie immer getan wird. Eine Erzählung nach dem Schema „Dies und das geschah im Mainstream, das aber an anderer Stelle, in der Subkultur“, durch die sie ihre tragische Größe mitsamt resignativem Nimbus erst erhalten würde, ist nur der Versuch, kommerzielle Musik, den Schlager, aufzuwerten und „natürlicher“ erscheinen zu lassen, indem man seine Wurzeln in die Popmusik verlegt. Was seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts geschah, war jedoch nur ein Wachsen des Schlagers, eine mehr oder minder schöpferische Erweiterung seiner Spielarten aus den Mitteln der Popmusik, nicht etwa die Etablierung oder gar ein „Sieg“ mit anschließendem „Ausverkauf“ dieser. Eine Geschichtsschreibung, die sich jener von Seiten des kommerziellen Erfolges und der Bekanntheit zu nähern versucht, ist nur eine Geschichte des Schlagers. Dieser war, wie an „Tanze mit mir in den Morgen“ mit seinem unverständlichem Bezug zum Tango, aber auch verschiedenen Interpreten wie Ted Herold zu merken ist, stets und seit den 60ern in einem immer stärkeren, da notwendigeren Maße bestrebt, aktuelle Strömungen aufzugreifen und, wenn auch gebrochen, zu spiegeln.
Wenn in den 60er Jahren aus afroamerikanischer Musik und Folk entstandene Genres des Pop im Zusammenhang mit der Erschließung des Teenagers als Gruppe und ihrer wirtschaftlichen Kraft an Bedeutung gewannen, so wurde die Musikindustrie des „Alten“, des „Schlagers“ davon also nicht hinweggespült oder überrannt, sondern sie passte sich an. Politische und gesellschaftliche Umwälzung gegen Ende dieses Jahrzehnts, die auch nicht vom Himmel fielen oder nur die Folge außerparlamentarischer Kämpfe waren, sondern Erfordernissen einer kapitalistischen Ordnung entsprachen, taten ihr übriges zu einer Modernisierung des Unterhaltungsbereiches.
Und auch der dem Schlager wesentliche geringe Anspruch ist eine veränderliche Größe, an den Inhalten und Formaten des Fernsehens und Internets geschulte Menschen der heutigen, bei weitem liberaleren Zeit dürften darunter etwas anderes verstehen als die „jungen Leute“ der 60er. Der Schlager wird industriell produziert und abgesetzt, nicht mehr, und dazu bedient er sich immer dann neuer Reize und Themen, wenn die alten nicht mehr ziehen, siehe Gestalten wie Jennifer Rostock, Unheilig oder auch David Guetta. Das macht ihn aber noch lange nicht zur Popmusik, diese existierte vielmehr als jugendkulturelles Phänomen der 60er Jahre, bis sie schließlich in der Gegenwart in Form eines beinahe bürgerlichen Bildungskanons institutionalisiert wurde oder sich größtenteils unbehelligt in alles andere als populären Genres weiterentwickelte. Gerade der Bereich des Populären aber ist, bis auf ein paar historische Aufnahmen, allen voran The Beatles, dem Schlager vorbehalten, der wie seit eh und je weiter Identitäten und Träume verkauft. Handelte es sich bei diesen früher um ewiges Eheglück, so kann es heute schon einmal um ziemlich plumpen und sexualisierten Hedonismus gehen, das Prinzip aber ist gleich. Und wenn die Filialen einer Modekette wie „H&M“ mit The Velvet Underground beschallt werden, ist der Pop, den diese verkörperten, noch lange nicht tot oder verraten, er klingt gegenwärtig einfach anders als eine Band, deren Musik mittlerweile von einem Kapitalismus toleriert wird, der eben alles willkommen heißt, wofür sich ein Markt findet. Auf keine Fall aber fand hier eine Degeneration von „rebellisch und wahrhaftig“ zu „plötzlich Mainstream“ statt, die Geschichte des Pop gehört allen, und eine Handelskette kann ebenso ein Image aus ihr beziehen wie irgendeine natürliche Person.
Falls also irgendwer wieder einmal mit dem dumpf-eitlen Kulturpessimismus hantiert und so tut, als sei die Musik schlecht geworden, nachdem sie gut gewesen war, kann damit nur der Schlager gemeint sein. Etwas so plumpes aber über Pop zu sagen ist kaum möglich, mit diesem befasst man sich, vom Schlager wird man nur erfasst. Seine KonsumentInnen erkennt man daran, dass sie die funktionale Seite der Musik überbetonen und einen Geschmack haben, wer aber Pop hört, entwickelt Interesse an Kunst, ohne deshalb zwangsläufig über Bildung verfügen zu müssen. Vielleicht könnte man ja an dieser Stelle so etwas wie sein „emanzipatorisches Potential“ ausmachen … Nun, wir haben noch ein paar Folgen des „Liedschattens“ zu bewältigen und werden die Überlegungen, deren noch bestehende Unbeholfenheit, und wirklich nicht mehr, soeben gezeigt wurden, mit Sicherheit weiter- und auch ausführen, spätesten dann, wenn uns Freddy mal wieder begegnet, bei dem ihr Euch dann auch hierfür bedanken dürft, denn: was soll man nur schon wieder über ihn schreiben? Schauen wir mal.
Freddy Quinn “Junge, komm bald wieder”, Dezember 1962 – März 1963
„Junge, komm bald wieder“ ist ein Evergreen, daran lässt sich nicht rütteln. Wollen wir ja auch gar nicht. Viel zu dem Lied sagen braucht man nicht, Junge geht heimlich zur See, Mutter macht sich Sorgen, Junge soll doch bitte zurück kommen und daheim bleiben. Spoken Word gibt’s, ein süßliches Arrangement, also ähnlich wie bereits schon „Die Gitarre und das Meer“ und „Unter fremden Sternen„. So etwas versteht jedeR, der Erfolg verwundert ebenso wenig wie die Karriere des Titels als geflügeltes Wort, als sprichwörtliche Wendung mit nachweisbarem Urheber also. Dieser ist nicht Quinn selbst, das Stück stammt aus dem Schlagerfilm „Heimweh nach St. Pauli“. Komponiert wurde es von Lotar Olias, der sich bereits kurz vor NS-Zeiten hervortat, und zwar als Komponist für unsäglichen Dreckskram im Sinne der Nazis, der Text stammt vom Boxpromoter Walter Rothenfels.
Es sei für an einer Apologie des Schlagers interessierte Menschen noch auf ein Manuskript einer Sendung des Deutschlandradios mit dem Titel „Lieder lügen nicht. Theodor Adorno hört Freddy Quinn – Dichter und Denker zur Kultur des deutschen Schlagers“ hingewiesen. Dort lässt sich unter anderem erfahren, dass Peter Handtke nichts gegen Schlager hat.
Werter Lennart, ich komme in Frieden. Das will ich schon vorausschicken, ehe ich zum Widerspruch ansetze. So sehr ich deine Kolumne schätze, so sehr fallen mir zwei Argumentationsmuster auf, denen ich so nicht folgen möchte.
Du hast bereits in zumindest einer früheren Ausgaben die Nazi-Vergangenheit eines Texters thematisiert. Auch dieses Mal betonst das Wirken des Komponisten während der NS-Zeit. Quasi als untermauerndes Argument, wonach Schlagermacher immer Dreck am Stecken haben. Aber so einfach ist dies nicht. Viele große Künstler waren glühende Antisemiten, sollte man ihr Werk deshalb ignorieren, sofern es sich nicht durch eine verächtliche Weltanschauung selbst disqualifiziert? Was auf vermeintlich große Geister zutrifft, hat auch für kleinere Lichter zu gelten. Man sollte durchaus darauf hinweisen, dass manch in der nachkrieglichen Unterhaltungsbranche agierender Zeitgenosse systemstützender Mitläufer (oder mehr) während NS-Zeiten war. Das allein macht einen Schlager von 1963 nicht per se mies oder verdammenswert.
Zweiter Kritikpunkt: Pop ist und war gut, Schlager ist und war schlecht. Mieser Pop (Unheilig) ist eigentlich ja Schlager. So könnte man deine Sichtweise zwar verkürzt (aber nicht entstellt) zusammenfassen. Popmusik als Phänomen einer Jugendkultur der Sechziger Jahre ist natürlich nicht mit gegenwärtigem Pop zu vergleichen, aber hält der von dir gelobte Urzustand der Popmusik denn wirklich einer kritischen Überprüfung stand? Ist die Wurzel des Pop tatsächlich so genießbar, ehe sie vom Schlager-Parasiten befallen und ausgehöhlt wurde? Wenn die Beatles stets als leuchtendes Beispiel gefeiert werden, dann wird mir mulmig. Weil die Beatles erst die typischen Boyband-Phasen durchlaufen haben (auf Hitpotential getrimmte Lieder, hysterische Fans), ehe sie später tatsächlich substantielle Musik fabrizierten. Die Popmusik der Sechziger hat nicht minder auf den Kommerz geschielt und dieser Kommerz wurde meist erst von denen überwunden, die bereits Erfolge verbuchen durften. Da gaukelt man sich leicht etwas vor, wenn man den Schlager immer auf Kitsch und Kommerz bezieht, den reinen, feinen Pop als gesellschaftsrelevante Kunst glorifiziert. Die Mechanismen des Populären haben sich nicht wirklich gewandelt, entziehen sich auf gewisse Weise auch einem allzu rigiden Gut-Böse-Denken.
hallo christoph,
besten dank für die rückmeldung! das ist ja dann mal eine ganze menge. also, zu
erstens: ich bin gar nicht der meinung, musik eines mitläufers sei schlechter, weil er ein mitläufer war. in diesem fall sollte die erwähnung auch nicht mehr besagen als: der mensch ist ein unsympath, erst 1932 sa-märsche schreiben, und dann auch noch solche schlager. und ja, ich vermute eine nähe zwischen schlagern und konservativem denken, wobei letzeres wieder gemeinsamkeiten mit politischen richtungen besitzt, die ich überhaupt nicht mag. wobei jetzt wieder gesagt werden könnte, ja, aber kurt / weill, die haben doch auch schlager geschrieben… und das wäre auch richtig, und mit denen würde ich dann eben nicht so hart ins gericht gehen. hier kommen einfach zwei dinge zussammen. und ich werde zu jedem nazi immer und immer wieder und wiederholt: „dummer, blöder nazi!“ sagen.
zweitens: klar, der popmusik wurde nicht durch indies zu größe verholfen, auf gar keinen fall, und das glaube ich ja auch nicht. und gerade, weil in den 60ern kommerz und kunst zusammengingen, was nicht per se gut und toll sein muss, aber damals einfach der fall, war’s halt ein phänomen, eine ausnahme aus der regel.
und die beatles sind ein leuchtendes beispiel, lass‘ von mir aus das „leuchtend“ weg, aber ein bespiel für diese phänomen sind sie, auch hatte ihre karriere hatte eine dynamik, der die wirtschaftlichen strukturen damals noch nicht gewachsen waren. sie haben eben nichts typisches durchlaufen.
und der „reinen, feine“ pop, dem ich als „gesellschaftsrelevante(r) Kunst“ anhänge, der war damals eben ausnahmsweise auch einmal populär, die meiste zeit seit den 60eer sah das dann ganz anders aus. deswegen ist dieses jahrzehnt nicht „reiner“ oder „besser“. nostalgie ist mir, glaube ich, fern, außer, wenn ich madrigale höre.
auch wurde der pop nicht befallen, sondern der schlager wurde vom pop befallen, so rum. das populäre, der schlager, existierte schon vor dem pop, das nicht aauf popularität angewiesen ist, um relevante kunst zu sein. dann kam jedenfalls pop auf, und der schlager „wurde“ zum pop (jedoch nie endgültg), nicht andersrum, der pop wurde nicht zu schlager, lief diesem aber tatsächlich zeitweilig den rang ab. und klaro, unheilig ist auf jeden fall schlager, und er ist kitsch und kommerz, und ich bin gerne dazu bereit, ihn als „gar nicht gut, überhaupt nicht gut“, und das nicht nur in ästhetischer hinsicht, zu bezeichnen. weder pop noch schlager sind per se „gut“, letzterer aber ist im zweifelsfall immer schlechter. auch sollte man beides nicht miteinander verwechseln.
und schließlich kam in den 60ern tatsächlich musik wie die von white noise, kaleidoscope, den beach boys (pet sounds), left banke undd anderen auf, die kein schlager waren, keine offensichtliche kunst, sondern eben pop.
liebe grüße
lennart
„Pop ist und war gut, Schlager ist und war schlecht. Mieser Pop (Unheilig) ist eigentlich ja Schlager. So könnte man deine Sichtweise zwar verkürzt (aber nicht entstellt) zusammenfassen.“
jepp, das ist gut so, las es grad noch mal. bloß, dass pop nicht zwangsläufig gut ist… und unheilig nicht eigentlich, sondern tatsächlich mieser schlager ist.
fein, jetzt fühle ich mich nicht mehr unverstanden (-: , jetzt sind wir nur noch anderer meinung.