Der Liedschatten (25): Pat Boone Vs. Evil Elvis

Wie damals noch möglich, standen von Mitte August bis November zwei Interpreten mit je einer eigenen Veröffentlichung gemeinsam an der Spitze der deutschen Singlecharts. Mit dieser Praxis hatten wir uns ja an anderer Stelle schon einmal beschäftigt. Auch das Covern eines Stücks in der entsprechenden Landessprache stellte keine Besonderheit dar, ein Hit in einer Fremdsprache ist seit 1959, dem Jahr, in dem wir unsere Betrachtungen unter dem Namen „Liedschatten“ begannen, der BRD noch nicht untergekommen. Der Musikmarkt war in erster Linie durch den Rahmen des Nationalen bestimmt, seinen übergreifenden Charakter entwickelte er erst im Laufe der 60er Jahre.
Ein erneutes Beispiel hierfür bringen uns zwei grundverschiedene, aber gleichermaßen gescheiterte Existenzen mit einer jeweiligen Version des Liedes „Speedy Gonzales“ zur Ansicht. Zuerst bekannt gemacht wurde das Stück durch den biederen Pat Boone. Der galt zur Zeit seiner größten Popularität in den 50er Jahren aufgrund seiner familienkompatiblen Darbietung gefahrloser Lieder, von denen sich auch um den Erhalt der allgemeinen Moral besorgte Christenmenschen erheitern und umschmeicheln lassen durften, als Gegenpol zu Elvis Presley. Dessen Musik hingegen brachte in Form eines „(…) Trojan horse“ Unheil „to America’s youth, desensitizing them to the evil’s of Hellish rock n‘ roll.“ . Er diente als Behältnis für höllische Geister, stiftete Leute zum Mord an und besänftigte Stürme mit seinen „psychic powers“, was man halt so macht, wenn man seine Seele an den Teufel verkauft hat. Sich seine Anzüge nach dem Look irgendwelcher okkulter Meister schneidern lassen, so was in der Art. Und, ganz klar, die Welt auf den Antichristen vorbereiten, indem man bei seinen Konzerten satanische Texte verliest. Da es aber noch heute evangelikal-paranoide Ergüsse wie diesen hier gibt, aus denen die Offenbarungen zum Teufelspaktler Presley stammen, kann er seine Aufgabe nicht sonderlich gut erledigt haben. Nun, es ist noch nicht aller Tage Abend.
Jedenfalls haben Pat Boone und Elvis Presley auch etwas gemeinsam, nämlich die Umstände des jeweiligen Karrierebeginns. Beide adaptierten den Stil afroamerikanischer MusikerInnen, denen aufgrund der rassistischen Segregation in den USA kein Erfolg beschieden sein konnte, und auch Boone wurde langfristig zu einem der ersten Teenageridole aufgebaut. Als seine jugendfreie Version des R’n’B im Zuge der British Invasion an Popularität verlor, widmete er sich stärker dem Gospel und Country, außerdem noch musikfernen, agitatorischen Tätigkeiten, die mit seinem Bekenntnis zum Christentum und republikanischen Konservatismus im Zusammenhang stehen.
In dieser Funktion wettert er als Kreationist gegen die Evolution, erzählt Märchen, in denen das arme, gottesfürchtige Schneewittchen durch Drogen und unchristliche Sexualität verdorben wird (und Prince Charming von Zwergen vergewaltigt wird, AIDS bekommt und an einer Überdosis stirbt), erklärt als guter Homophober jedes emanzipatorische Bestreben in sexuellen Belangen für Terrorismus und hält den Liberalismus für einen todbringenden Krebs, ist also ein wirklich unsympathischer Zeitgenosse. „Who else has remained so true to his faith, family values, and love of God while being mobbed by screaming teenage girls, starring in Hollywood movies, befriending royalty, presidents, and rock stars alike, and staring out from the cover of Rolling Stone magazine?“, fragt der Promotext eines seiner Bücher nicht zu Unrecht. Schon in den 50ern weigerte er sich, eine Kußszene zu drehen, da seine Filmpartnerin verheiratet war, mit Marilyn Monroe wollte er gar nicht erst vor der Kamera stehen.
Pat Boone / Rex Gildo “Speedy Gonzales”, August – November 1962
Dieser ehrbare Mann ermahnt nun also „Speedy Gonzales“, das Trinken sein zu lassen und endlich Heim zu kommen. Das Stück beginnt mit einem Spoken-Word-Teil, der Protagonist wandelt im Mondschein zwischen schlichten Haciendas. Auf einmal hört er den klagenden Ruf eines jungen mexikanischen Mädchens.
Der Moment, in dem dieser einsetzt, ist etwas wirklich Besonderes, offenbart er doch eine völlig neue Facette des Leidens an der Schwelle zum Wahnsinn. Kein Wunder, wird die Dame doch arg vernachlässigt, das Dach ist undicht, die Hündin wird bald werfen, der Fernseher ist kaputt und die Coke alle. Speedy Gonzales aber behauptet, Essen für seine Mutter holen zu müssen und eilt in die Stadt, wo er mit irgendeiner Flo dem Alkoholmissbrauch frönt. Diese alberne Mahnrede scheint Pat Boone wie auf den Leib geschnitten, ist sie aber nicht, das Original stammt von einem gewissen David Dante, erschien bereits 1961, spart sich das Intro und ist weitaus dynamischer als die erfolgreichere Coverversion.
Noch weniger forsch als diese ist wiederum Rex Gildos Interpretation, wobei der Text hierbei fast sinngemäß ins Deutsche übertragen wurde, eine Besonderheit, die sich bei der, nun ja, universellen Aussage des Songs (generell: Untreue und Alkoholismus sind nicht gut, bei Gildo im Speziellen: Untreue ist nicht gut, besonders nicht, wenn sie mit der Frau eines „Catcher-Königs“ vollzogen wird) anbot.
„Speedy Gonzales“ sollte der letzte Top 40 Hit des von Gotteszorn durchdrungenen Pat Boone gewesen sein, für den schwulen „Sexy Rexy“ (diesen Spitznamen führte er einst tatsächlich) alias Ludwig Franz Hirtreiter wurde es der erste Nummer-Eins-Erfolg. Wer vermag, kann darin die Ironie irgendeines Schicksals erblicken und dazu noch das Leben Rex Gildos, der seine sexuellen Präferenzen nie öffentlich bekannte, ein tragisches nennen. Schließlich verbrachte er seine letzten Jahre in Abhängigkeit von Alkohol, Tabletten und Auftritten in Baumärkten, wobei er dem Bestreben seines Publikums, ihn auf ein fröhliches „Hossa!“ zu reduzieren, stets mit toupierter Gesichtsbräune entgegenkam. Das ging so lange gut, bis er sich 1999 aus dem Fenster stürzte und an den Folgen verstarb.
Um all dem Schrecklichen und Traurigen in der heutigen Folge etwas entgegenzusetzen, sei zum Ende hin noch angemerkt, dass dem zentralen Schmerzensschrei des Songs eine lichtere Zukunft als dem sinistren Pat Boone und unseligen Rex Gildo beschieden war: Er fand Platz in Elton Johns nostalgischem Abgesang auf den Rock’n’Roll, dem liebenswerten „Crocodile Rock“.
Muss zugeben, auf diese Folge hatte ich mich schon gefreut. Ich wurde nicht enttäuscht, feiner Text mal wieder.
Also ich sehe in Stars immer auch die Zeichen der Zeit – oder eben als Gegenentwurf vorherrschender Anschauungen (wie Elvis zu seinen Anfängen). Warum also sollte das bigotte Amerika der 50er-Jahre nicht ein braves, biederes, mit den damaligen Werten ausgetattetes Teenager-Idol hervorbringen? Und oft halten sich Menschen, wenn ihr Stern am Verglühen ist, dann besonders an die Werte, die den Aufstieg begünstigt haben. Unter dem Aspekt betrachte ich Boone nicht wirklich negativ, auf tragische Art konsequent.
Speedy Gonzales funktioniert als quirliges Lied seiner Zeit, kein evolutionäres Abfallprodukt der Musikgeschichte, denn Hits sind heute keinen Deut besser, eher schlechter. Und die gegnwärtigen Stars und Sternchen noch immer traurige Spiegelbilder unserer traurigen Zeit.
Zu Gildo: Wer sein Image immer eindimensional aufbaut, den Schein als Sein öffentlich praktiziert, der wird in Lebenskrisen eben auch tiefer fallen (das meine ich nun gänzlich ironiefrei), was wiederum nur konsequent ist.
Klar, das hier ist weder Soziologie, noch Musik- oder Geschichtswissenschaft. Und durch den Kontext lässt sich so ziemlich alles relativieren. Das aber ist etwas, was ich an dieser Stelle auf keinen Fall tun möchte, und das bewußt. Bei der Reihe handelt es sich ja auch um keine Geschichtsschreibung mit Anspruch an eine mögliche Verwendung als Handbuch, es ist eine Kolumne, aus der gerne auch einmal eine Glosse wird.
Begegne ich dabei Denkweisen, die ich nicht mag, dann wird’s aus der Gegenwart heraus behandelt, ganz klar. Es ist mir ein ehrliches Bestreben, ohne Zwang respektlos zu sein, und das wird sich auch bei der Behandlung neuerer Titel nicht ändern. Einiges, auch aus der ersten Hälfte der 60er, wird aber auch durchaus positiv betrachtet (werden).
Eine Sache noch zu diesem Text hier: Christliches Denken Boone’scher Prägung ist durchaus noch ein Problem der Gegenwart und nicht zu entschuldigen.
Hmm, du hast da etwas als Kritik verstanden, was gar nicht so gemeint war. Ich wollte einerseits nur darauf hinweisen, dass man Songtexte der 60er durchaus kritisch sehen kann, aber auch die Banalitäten der Gegenwart ein Schmunzeln bis Kopfschütteln erzeugen können. Die von dir dargereichte Sichtweise Boones ist nicht entschuldbar, aber damals wie heute ein Erklärungsmuster, dass mich nicht wirklich entsetzt. Weil oftmals auf verwirrende Veränderungen in der Welt mit Intoleranz und Verschwörungstheorien und Sündenböcken reagiert wird.
Lese deine Auslassungen sehr gerne, stimme dir zu, dass man nicht alles immer relativeren muss. Aber manchmal macht der Kontext aus einem kotzbrockigen Monster halt doch nur einen bemitleidenswerten Idioten.
„Aber manchmal macht der Kontext aus einem kotzbrockigen Monster halt doch nur einen bemitleidenswerten Idioten.“
Mhm… ich glaube, da liegt der Punkt, ich sehe den Idioten, aber zum Mitleid fehlt mir etwas, das möchte ich an dieser Stelle nicht aufbringen, vielleicht kann ich es nicht. Für eine Gestalt vom, ähem, Format Rex Gildos vermag ich es am ehesten noch zu empfinden.
Und was die Gegenwart anbelangt hast Du wohl Recht, da es nie einen Bruch oder eine Abkehr von von solchem Krams wie dem hier gab, sondern nur Modifikationen, ist es auch kein Wunder, wenn sich die Texte nicht viel nehmen.
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[…] vor Mickie Krause. Nach der bisherigen Beschränkung auf die InterpretInnen, zum Beispiel „Sexy Rexy“, bieder-augenzwinkernde Anzüglichkeiten eines Bill Ramsey oder die unwirkliche Abwesenheit des […]