Scott Matthew – Gallantry’s Favorite Son
Singer/Songwriter, die uns in nahezu tagebuchartiger Direktheit ihre alltägliche Seelenpein offenbaren, gibt es wie Sand am Meer. Diejenigen aber, bei denen dieser Striptease in schmerzhafter Schönheit aufgeht, kann man an einer Hand abzählen. In letztere Kategorie gehört auf jeden Fall Scott Matthew und das schon seit jenem Moment, in dem er uns in John Cameron Mitchells wundervoll menschenfreundlichem Sexfilm „Shortbus“ zum ersten Mal auffiel. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass Matthews Trauer sich, vielleicht auch vor seinem queeren Hintergrund, nie in schnödem Selbstmitleid genügt, sondern immer auch den Unmut über die Normen einer zweifellos furchtbaren Welt, in der wir nun mal leben, umfasst.
So auch auf Matthews neuestem Album „Gallantry’s Favorite Son“, welches dem Oeuvre des Wahl-New-Yorkers einige weitere kleine Farbsprenkler hinzufügt, aber im Großen und Ganzen alles beim Alten belässt. Zwar klingt das ganze Drama aus Banjo, Streichern, Xylophon und Co. durch unbedarft vor sich hin gepfiffene Melodien und ungewohnt helle Backgroundchöre in Songs wie „Felicity“ oder „The Wonder Of Falling In Love“ diesmal etwas verspielter und vielleicht aufgelockerter als zuvor. Die leichtfüßigen Elemente wirken aber stets höchstens wie ein paar verirrte, nachmittägliche Sonnenstrahlen, die in das ansonsten abgedunkelte und deprimierende Zimmer scheinen. Auch auf seinem dritten Soloalbum entscheidet sich Scott Matthew wieder für die Dunkelheit und somit die einzige angemessene Form der Romantik. Und auch wenn „Gallantry’s Favorite Son“ mit „No Place Called Hell“, Matthews persönlichem Song gegen eine repressive Gesellschaft, vergleichsweise enthusiastisch endet, wünschen wir uns, dass diesem gewaltigen Drama namens Leben in diesem Fall noch viele weitere Episoden folgen werden.(Bastian Heider)
Referenzen: Chris Garneau, Antony & The Johnsons, Patrick Watson, Andrew Bird, Rufus Wainwright, Perfume Genius
Label: Glitterhouse | VÖ: 10.06.2011 | Links: Albumstream / Homepage / Facebook
WU LYF – Go Tell Fire To The Mountain
Es verwundert wenig, dass die Songs von WU LYF, die häppchenweise über anderthalb Jahre zu effekthascherisch-ominösen Bildmotiven ins Netz gestellt wurden, große Neugier auslösten. Der Soundentwurf des Quartetts aus Manchester ist zwar wenig revolutionär – der hallend-klargitarrige Gegenwartspostrock von Explosions In The Sky, mit Gesang und Kirchenorgel in rhythmisch lebhaftes Songformat verfrachtet – aber aufregend, ihm scheint stets das erdig aufgeraute Versprechen innezuwohnen, dass etwas Großes bevorsteht, mindestens eine Revolution oder Himmelfahrt. Das Problem ist nur, dass dieses permanent über „Go Tell Fire To The Mountain“ hängt, ohne angemessen eingelöst zu werden.
So beginnt „Such A Sad Puppy Dog“ mit sakral hallenden Orgeltönen, über die Sänger Ellery Roberts wie ein weniger souliger Sam Herring heiser krächzt, dass nur gelegentlich pathosgeladene Wortfolgen verständlich werden. Mogwai-mäßig schwillt melodisches Gitarrenspiel an, das Schlagzeug wuchtet beschwörend, irgendwann löst sich die Instrumentaldichte wieder auf bis der dauerpräsente, schmale Orgelton ins nächste Stück weiterträgt – wo mit wenig Veränderung das ominös Gleiche passiert, wie auch im übernächsten, das mit seinem kumpeligen „We Bros“-Singalong zumindest ins Arena-Vorprogramm von U2 passt. Ähnlich wie die im Vorfeld extravaganten Songtitel zu so ordinären wie „Spitting Blood“ gekürzt wurden, wirkt auch die Musik selbst in der Summe weniger abenteuerlustig, dafür nutzt sich die kleine Klangpalette über mäßig einfallsreiches Songwriting zu schnell ab. Das atmosphärische und dramatische Potential, das WU LYF hätten entfalten können, fällt der Monotonie der ewig kinderlosen Bedeutungsschwangerschaft anheim. (Uli Eulenbruch)
Referenzen: Wilderness, Explosions In The Sky, TV On The Radio, Yeasayer, Wolf Parade
Label: Lyf Recordings | VÖ: 10.06.2011 | Links: Albumstream / Homepage / Facebook
Psychedelic Horseshit – Laced
Es gibt sie noch, die ewig widerspenstigen Grantler im weitestgehend harmoniebemühten US-Indie-Gefilde. „I hate the beach“, nölt Matt Whitehurst über amateurhaft wirkender Maschinen- und Handperkussion, „I don’t need to pretend that I enjoy the weather“ und „everything’s the same, boring and adjacent“ giftet er in „Tropical Vision“ gegen modische Strandmusik-Klangästhetiken. Ohne dabei die Musik von Psychedelic Horseshit in seine grauen Wolken mitreinzuziehen, denn die zeichnet sich wie schon ihr 2007er Debüt, das die Lo-Fi-Frühwerke Times New Vikings nochmal um ein paar Dezibel über-übersteuerte, durch catchige Melodien aus – ist seitdem allerdings eine gehörige Spur experimentierfreudiger geworden.
Die Experimentierfreudigkeit von „Laced“ deutete bereits das letzte Album „Too Many Hits“ (auf Doppel-7″ veröffentlicht!) an, doch schon der in seiner grellharmonischen Verschlurft leicht an Black Dice erinnernde Noisepop von „Time Of Day“ spannt so ein herrlich zerquarztes Klangportfolio auf, dass man glatt eine komplett neue Band dahinter vermuten könnte. Weg vom Rock, hin zum elektronisch unterstützten Freischwimmen. Auch wenn „Revolution Water“ und der mittige Siebenminüter den Bogen überspannen, bleiben die meisten Songs wie „French Countryside“, das Panda Bear sämtlicher Echos beraubt und auf einen böse umblubberten Acid-Trip schickt, oder der von Küchenutensilien beschepperte Bizarro-Lagerfeuercountry „Another Side“ herrlich origineller und verstrahlt-eingängiger Freak-Pop. (Uli Eulenbruch)
Referenzen: Black Dice, Pink Reason, Animal Collective, Eat Skull, Fuck Buttons
Label: Fat Cat | VÖ: 10.06.2011 | Links: Albumstream / Homepage
White Denim – D
White Denim sind eine dieser Bands, die es nicht schwer machen, einem ans Herz zu wachsen. Trotz ihres nach wie vor irren Mischmaschs aus Space Rock, P-Funk oder 60s Psychedelic wird auf ihrem neuen Album weiterhin meist auf breitbeinige Posen verzichtet. Wenngleich vierminütige Schwebe-Instrumentals wie „At The Farm“ endgültig jedem letzten Zweifler den Wind aus den Segeln nehmen, der vehement behauptet, „D“ stünde nicht für „Drugs“. Natürlich tut es das. Aber ohne das ganze unnötige Gehabe.
Sieht man von dem Gratis-Zwischenwerk „Last Day Of Summer“ ab, ist dies der Nachfolger des schwer beeindruckenden „Fits“, das vor gut zwei Jahren nicht nur diejenigen freute, die gerade im „Electric Ladyland“ versanken. Doch anstatt den eingeschlagenen Weg weiter auszureizen, entscheiden sich White Denim dafür, die Songs luftiger zu arrangieren, ohne an Komplexität oder Spielfreude einzubüßen. Hervorzuheben ist der wunderschöne Träumer „Street Joy“ genauso wie die abschließende Country-Coolness „Keys“ oder das preschende „It’s Him“. Oder fast alles dazwischen. Vermutlich der ideale Soundtrack zur kommenden vierten Staffel von „Breaking Bad“. Wo wir wieder bei den breitbeinigen Posen wären. (Pascal Weiß)
Referenzen: Jimi Hendrix, Spiritualized, Lower Dens, Women, Smith Westerns
Label: Cooperative | VÖ: 27.05.2011 | Links: Albumstream / Homepage / Facebook
Habe mich jetzt erst mit der WU LYF beschäftigt. Gefällt mir außerordentlich gut, was aber auch daran liegen mag, dass es mich ein wenig an Modest Mouse erinnert. Manchmal.