Von der Notwendigkeit des "Prae"

Recht viele wunderschöne Dinge beginnen mit der sehr kleidsamen, aber auch ein wenig resignativen Vorsilbe „Post“: Postrock, Post-Pop, Post-Hardcore und, vor allen Dingen und im letzten Jahrzehnt geradezu omnipräsent, Post-Punk. Interessant ist dabei, dass diesem trotz des auch kommerziellen Erfolges von Bands wie Franz Ferdinand und Interpol nie ein wirkliches Revival widerfuhr. So richtig vereinnahmt worden schien das, was Ende der 70er Jahre nicht nur aber vor allem in Großbritannien geschah, nie zu sein.

Denn die Musikpresse betonte zwar stets und gerne die Nähe zu Bands wie zum Beispiel Gang of Four oder den Talking Heads, führte aber gleichzeitig oft die ewigen Lieblinge (nun, zumindest fast) aller Hörenden und darüber Schreibenden, The Velvet Underground, ins Feld, um zu zeigen: Hier wird etwas zusammengeführt, ein Staub gewordener Geist benetzt, neu angerührt und damit dann am Ende, wie sollte es auch anders sein, etwas gerettet, und zwar die beliebte, aber ein wenig peinliche Tante aller guten Musik nach den 60ern, die olle Rockmusik. Na, vielen Dank auch.

Gerade dies wollte der Post-Punk nicht, es ging darum, sich gegen das zu stellen, was der Punkrock in seiner für alle greifbaren und von Wirtschaftsunternehmen geförderten Form letztendlich auch nur war: eine neue, recht aggressive und am Ende auch passive und plakative Form der Rockmusik, in der jugendliche und maskuline Auflehnung eine griffige Entsprechung in Produktform fand. Bedenkt man aber, welche Bands zum postulierten Post-Punk-Revival zählten, nämlich auch dröge und rockistische Gesellen wie The Bravery, Louis XIV, The Hives, Hard-Fi, Kaiser Chiefs, The Pigeon Detectives und Arctic Monkeys, dann kann es mit einem wirklichen „Revival“ nicht so weit her sein. Der Bezug wurde vielmehr wieder einmal durch eine Presse geschaffen, die sich das Privileg, Labels und Marken zu gründen, ungern nehmen lässt, ist dies doch eine der wichtigsten Dienstleistungen, die sie ihren Anzeigenkunden erbringen kann, um so eine Plattform für deren Erzeugnisse schaffen.

Jedenfalls: Mit Post-Punk hatte all das vor gut zehn Jahren wenig zu tun, am ehesten dürfte man diesem seit nunmehr dreißig Jahren im Twee begegnen. Dort findet sich nämlich vieles von dem, worum sich die Erben des enttäuschenden Punk bemühten. Was das war, lässt sich anhand von Martina Lenzins Comic „rpm“ recht anschaulich erfahren.

Gegliedert ist der sehr schön aufgemachte Band durch in einer Zeit, die am ehesten unserer Gegenwart entspricht, geführte Interviews mit Personen, die alle in Bezug zu der fiktiven Band „The Does“ standen. Der Name ist gewissermaßen programmatisch: Kern der Story ist das Bestreben, selbst etwas zu tun und damit Anspruch und Möglichkeit des DIY-Prinzips, Autonomie, umzusetzen. Auf bekannte und gewissermaßen kanonische Bands trifft man dabei nicht, „rpm“ ist kein Geschichtswerk sondern eine Geschichte. Außerdem würde die Orientierung an großen Namen dem Grundgedanken, selber tätig zu sein, widersprechen.

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In „rpm“ entwickelt sich aus einem Fanzine durch direkte Anfrage der Gruppe „The Does“ das Label „Counter Product“, auf dem eine Veröffentlichung eben dieser erscheinen soll. Es wird nun aufgezeigt, was alles dabei zu bedenken ist: Wo nimmt man wie auf, wie presst man die Platten, wie werden sie verpackt, wie am Ende vertrieben? Bis zur Klärung dieser Punkte hat man einen Einblick ins England der ausgehenden 70er Jahre des letzten Jahrhunderts erhalten, erfährt etwas über selbstverwaltete Lebens- und Kulturprojekte, das Vorhandensein von Neonazismus und Homophobie, Proteste und Polizeigewalt, das Aufkommen der CD, das Münden des Post-Punks in die New Romantics mit dem bevorzugten Medium des Musikvideos, überhaupt den vermeintlichen Tod und das nicht immer unfreiwillige Assimilieren des Post-Punk durch die etablierte Musikindustrie. Bemerkenswert ist dabei die Beiläufigkeit, mit der diese Komplexe folgerichtig eingeführt und angeschnitten werden, ohne das Gefühl zu wecken, es ginge dabei um irgendeine Belehrung. Dennoch weiß man am Ende um ihre Bedeutung und fühlt sich weniger informiert als vielmehr im besten Fall von der Unzufrieden- und Getriebenheit der Figuren des Comics angesteckt.

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Denn soll das alles gewesen sein, diese kleine Episode in der Gesichte der Popkultur, ein wenig Idealismus und Romantik, dann war’s vorbei, weil die Menschen sich der allgemeinen Langweile verschreiben mussten oder aber zu erfolgreich wurden, um daraus keinen Nutzen zu ziehen? Der Post-Punk scheint wie überhaupt jegliche emanzipatorische Bewegung mit den Mitteln der Popmusik versagt zu haben, er hat den Kapitalismus flexibler gemacht und hat seinem Bestreben, jegliche Nische zu füllen, zugearbeitet. Er nahm ihm die Notwendigkeit der selbstinitiierten Martktforschung, des Trial & Error, ab. Bevor nämlich einfach irgendwelche Produkte auf den Markt geworfen werden und man schaut, welches sich durchsetzt, zeigen die KonsumentInnen einfach selbst, was sie haben möchten. Das galt in Ansätzen für den Post-Punk, noch viel mehr aber die Gegenwart, wenn die Grenze zwischen Produktion und Reproduktion, ProduzentInnen und KonsumentInnen nunmehr nur noch eine erklärte, aber keine tatsächliche ist.

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Wir haben, und hier kommt die Verärgerung auf, geradezu verwirrend viele Möglichkeiten zur Produktion und Kommunikation und alles, was dabei rauskommt, sind ein Facebook-Account, ein paar Streams bei Soundcloud und, wenn’s hochkommt, noch ein Blog. Wir sind der Resignation, die in dem Wort „Post“ steckt, verfallen, wir glauben, es sei alles schon einmal probiert worden und die Geschichte habe die Ideen widerlegt oder aber gezeigt, dass sie sich eh im Kapitalismus von selbst verwirklichen, ein Contra also gewissermaßen altbacken und unnotwendig sei. Wir glauben, am Ende der Geschichte angelangt zu sein, an einem Punkt, an dem eben alles nur noch „Post“ sein kann. Dadurch machen wir uns an einer möglichen, besseren Gesellschaft schuldig.

Es ist an der Zeit, dass aus dem „Post“ ein „Prae“ wird.

Martina Lenzin spielt Bass und singt bei den Honeyheads und gibt gemeinsam mit Marlene Krause die Comicanthologie „Two Fast Colour“ heraus. Wir stellten bereits ihre DIY-Comicskizzen“The Astra Stube Chronicles“ vor, die sie während ihrer Arbeit am Tresen der Location anfertigt.
rpm“ ist via Reprodukt erschienen.

Ein Kommentar zu “Von der Notwendigkeit des „Prae“”

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