Bon IverBon Iver

„For Emma, Forever Ago“ war vor drei Jahren eine sensationelle Überraschung. Ein sanftes, zärtliches, in moosgrüne Melancholie getauchtes Album, das unsagbar viel Fingerspitzengefühl offenbarte. Musik von solcher Zartheit ist in Zeiten des steten Wandels, der allumfassenden Technisierung, des Schnellerhöherweiters ein rares, dafür jedoch umso ersehnteres Gut.

2008 war das Jahr, in dem „Skinny Love“ und „Flume“ einsame Herzen sehnsuchtsvoll mit Feuer aufluden, 2011 werden Bon Iver weiter Öl in eben jene Feuer gießen: Die zweite LP gleicht mehr einem Band-Album als der Vorgänger, der noch sehr eigenbrötlerisch anmutete. Was klar wird: Hier sind Menschen am Werk, die es vermeiden möchten, der Wiederholung anheim zu fallen. Darum liest sich die Tracklist des neuen Albums auch wie eine Reiseroute, die im australischen Perth beginnt, an einigen US-amerikanischen Ortschaften vorbeiführt und schließlich in den 80er Jahren endet. Doch langsam, immer der Reihe nach.

Eigentlich ist bereits der Opener viel zu schön für diese Welt: „Perth“ beginnt mit einer herrlich perlenden Gitarre, bevor dem Song mit mutigem Getrommel ein Rückgrat gebaut wird und sich Justin Vernons Stimme über das Stück legt wie der morgendliche Tau. Ein unfassbar intensives Stück, das dieses Album eröffnet. Und tief ins Schwarze trifft. „Minnesota, WI“ besticht durch diese minimale Vertracktheit, diese sensible Verschrobenheit, die ihresgleichen sucht: Blasinstrumente und pluckernde Elektronik verschwimmen zu einem pittoresken Ganzen.

Nicht weniger eklektisch gerät „Holocene“, mit dem sich Bon Iver ein weiteres Denkmal bauen: Folk und Elektronik, Pop und Anspruch kann man 2011 kaum schöner und bezaubernder unter einen Hut bekommen. Selbst ein Stück wie die auf den ersten Blick recht gewöhnliche Folk-Hymne „Towers“ dringt tief ins Bewusstsein ein, baut sich dort ein Synapsennest und wird so schnell nicht wieder Adieu sagen. Schwer vorstellbar, dass jemand dieses Album von sich weisen würde, doch vielleicht gibt es Menschen, die mit der vermittelten Nähe nicht zurecht kommen. Denen die gebotene Intimität nicht behagt und die diese Reise vorzeitig abbrechen, um alleine zurückzubleiben. Man möchte ihnen Beileid aussprechen.

Hernach wird es ruhiger, Bon Iver lehnen sich zurück, ohne sich zu bequemen. Selbst die ruhigsten Momente sind von einer unnachahmlichen Intensität. In „Calgary“ angekommen, wird es wieder etwas verspielter: Der Falsettgesang klingt klar und erhellend, das behutsame Stück durchbricht mit der Zeit seinen Seidenkokon. Und zwar als edler, schimmernder Falter. Das 80s-infizierte „Beth/Rest“ beschließt das Album mit ambitioniertem Soft-Rock, wie ihn jüngst Destroyer auf die Spitze trieben.

„Bon Iver“ übertrifft „For Emma, Forever Ago“ in vielerlei Hinsicht. Die zehn Songs klingen kompositorisch dichter, markiger, gründlicher durchdacht und belebter. In der Musik von Justin Vernon und Co. steckt eine Menge Seele und das merkt man ihr in jeder Sekunde an.

Still alive for you. Love.

87

Label: 4ad/Beggars Group

Referenzen: Phosphorescent, Bowerbirds, Bonnie ‘Prince’ Billy, Fleet Foxes, Nick Drake

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VÖ: 17.06.2011

5 Kommentare zu “Bon Iver – Bon Iver”

  1. Laslo sagt:

    Guter Review für das für mich bis jetzt wohl beste Album ’11

  2. Fabian sagt:

    Super Review, für mich auch ein überwältigendes Album… Langsam glaube ich Justin Vernon kann gar nichts falsch machen.
    Das Album heißt jedoch offiziell: Bon Iver, Bon Iver.
    Quasi ein Double Self-titled Album :D

  3. Pascal Weiß sagt:

    Irgendwie packt mich das hier im Gegensatz zum Vorgänger – „Holocene“ ausgenommen – nicht vollends. Obwohl an den Songs an sich ja nicht viel auszusetzen ist.

    Wenn ich dann aber diese fulminante 4-Song-EP von How To Dress Well (http://yourstrulysf.bandcamp.com/album/just-once-ep ) höre, die zudem zu 3/4 „nur“ aus bekannten Stücken in orchestraler Version besteht, dann weiß ich sofort was mir fehlt.

  4. […] den weiteren großen Highlights zählen Bon Iver, Ja, Panik, Matana Roberts, Robag Wruhme, Liturgy, 13 & God und die Fleet Foxes, die übrigens […]

  5. […] Ago“ auf der Hand, auf „Repave“ kombiniert er noch ein wenig des weichgezeichneten Pop seiner letzten Veröffentlichungen hinzu. Dass dabei der immer ein wenig postrockende Ansatz seiner instrumentalen […]

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